GM hat den Vogel abgeschossen. Mit dem für 2010 angekündigten Ende der Marke Pontiac fällt auch der Firebird endgültig vom Himmel. Obwohl die bekannteste Baureihe der Indianer-Marke bereits seit 2002 nicht mehr produziert wird, konnten die Fans hoffen, dass irgendwann dem bereits existierenden neuen Chevrolet Camaro wieder ein Firebird zur Seite gestellt wird. Doch jetzt ist alles vorbei, die Marke Pontiac wird sterben. Es bleiben nur die Legenden und Erinnerungen an den einzigartigen, großvolumigen US-Sportwagen übrig - zum Glück auch ein reich bestückter, mit 10.000 bis 20.000 Euro pro Exemplar sogar bezahlbarer Fahrzeugbestand. Pontiac - die "Haudrauf"-Marke bei GM Der markante Markenname Pontiac trat bereits 1893 in Erscheinung, als Edward M. Murphy seine Pontiac Buggy Company gründete und in Pontiac, Michigan, Pferdekutschen herstellte. Der Name stammte daher nicht ausschließlich von Chief Pontiac, einem Häuptling der Ottawa-Indianer, der im 18. Jahrhundert einen Aufstand gegen die damalige britische Kolonialherrschaft anführte, sondern war zugleich auch Produktionsstandort der Kutschenfirma. Als Murphy sich 1907 dazu entschloss, Automobile zu bauen, taufte er seine Firma in Oakland Motor Car Company um, die jedoch bereits 1909 von General Motor geschluckt wurde. Siebzehn Jahre später debütierte auf der New York Motor Show das erste im Verbund von GM bei Oakland gebaute Pontiac-Automobil. Es lockte mit einen Reihensechszylinder zum Preis eines Vierzylinders und verkaufte sich so gut, dass GM 1932 die bis dahin noch existierende Marke Oakland vom Markt nahm, während Pontiac bestehen blieb. Seither spielte Pontiac im Markenverbund des Generals die Rolle des sportlich-modernen Haudraufs mit oft eigenständiger Technik. So durfte der Firebird Trans Am als einziges US-Coupé bis 1979 den 6,6-Liter-Bigblock-V8 behalten. Ferner leistete sich die Marke Eigenarten wie den 61er Tempest mit Transaxle-Getriebe, GMs ersten und damals einzigen zahnriemengetriebenen SOHC-Reihensechser, die erste GM-Allrad-Limousine Pontiac 6000 STE als Antwort auf den Audi 5000 (Audi 100/200) oder den Mittelmotor-Flitzer Fiero. Am besten umschreibt Pontiacs Werbeslogan aus den 80er Jahren die Philosophie der Sport- und Spaßmarke: "We build excitement" - "Wir bauen Begeisterung", die im kompakten Heckklappen-Trans Am ab Baujahr 1987 mit bis zu 240 PS starken V8-Motoren sogar erfahrbar wurde. Filmreife Draufgänger: Burt Reynolds, Detektiv Rockford und David Hasselhoff fahren Pontiac Ganz entscheidend zum Ruhm der Marke und besonders des Firebird trugen auch die beiden Road Movies mit Burt Reynolds bei, der als schnauzbärtiges, "ausgekochtes Schlitzohr" mit einem schwarzen Trans Am durch die USA bretterte. Die Streifen hießen in den USA Smokey and the Bandit I (1977) und II (1980) und machten den darin wild herumkreiselnden V8-Boliden zu einem der bekanntesten Filmautos. Mit dem neuen, 1982 vorgestellten Trans Am, der als besserwisserisches Quasselauto K.I.T.T. in die TV-Geschichte einging, sorgte "Knight Rider"David Hasselhoff für Recht und ziemlich viel Unordnung. Wir hingegen folgen mit unserem lindgrünen Firebird Formula 400 den Spuren von James Garner, dem lässigen, sympathischen Antihelden, der von 1974 bis 78 in "Detektiv Rockford, Anruf genügt" oft pleite war und dennoch einen aktuellen, goldfarbenen Firebird Esprit bewegte. Ein starkes Gefühl, wenn man wie Rockford als Single ein knapp fünf Meter langes, 1,6 Tonnen schweres, ziemlich niedriges Coupé mit 6,6-Liter-V8 und 193 PS fährt, das man am besten so beschreibt: Geiz ist nicht wirklich geil. Oder bildhaft ausgedrückt: Ein 74er Pontiac Firebird Formula 400 unterscheidet sich von einem aktuellen Smart in etwa so wie die Count Basie Big Band von einem MP3-Player. Genießen wir also diese opulente Form des Fahrens, so lange wir es uns noch leisten dürfen. Stämmiges Pontiac Firebird Formula 400-Auftreten dank "Wide-Track"-Fahrwerk Zunächst ist es die Freude an der zeitlos gezeichneten Pontiac Firebird Formula 400 Coupé-Karosserie mit dünnen, vollkommen noch den Sechzigern verpflichteten A-Säulen, die eine relativ steil stehende und hohe Windschutzscheibe umrahmen. Die A-Säulen sind zudem optisch nicht direkt mit dem Wagenkörper verbunden, sondern wirken so, als würden sie aus dem nach oben gebogenen und seitlich herumgezogenen Abschluss der Motorhaube herauswachsen. Dieser Design-Kniff, der vor allem dazu diente, die Scheibenwischer zu kaschieren, ist typisch für fast alle Amis aus den Siebzigern - auch für das Firebird- Schwestermodell Chevrolet Camaro, das bis auf Unterschiede im Interieur, der Motorisierung, der Chassis-Abstimmung und der Front- und Heck-Gestaltung mit dem Feuervogel identisch ist. Dann staunen wir über die sportlichen Proportionen, die fast einem Jaguar E-Type-Coupé entsprechen, nur dass der Pontiac deutlich breiter mit seinem "Wide-Track"-Fahrwerk auf der Straße steht. Die gewaltige Motorhaube und Wagenfront beanspruchen fast die gleiche Länge wie der zweitürige Coupé-Aufbau mit dem sanft auslaufenden Fastback-Heck. Die sich jäh und steil aufbauende Windschutzscheibe verstärkt dabei den ausgeprägten Langhaubeneffekt. Echtholz gestaltetes Pontiac Firebird Formula 400-Cockpit gefällt Unser unrestauriertes Firebird-Modell aus Erstbesitz zeigt auch ein vollkommen intaktes, nicht unterrostetes Vinyldach, die aus Kunststoff geformte Formula-Motorhaube mit funktionslosen Ram-Air-Lufteinlässen, die Stahlfelgen im typischen Honeycomb (Honigwaben)-Muster aus aufvulkanisiertem Gummi sowie den fast originalen Chromschmuck. Die an der Wagenflanke angebrachten Schutzleisten entsprechen nicht der US-Spezifikation, können aber eine krumme, wenngleich gut gemeinte Dreingabe des Schweiz-Importeurs gewesen sein. Obwohl die Soft-Polsterung der Kunstledersitze in etwa die Spannkraft eines halben Dutzend altbackener Cheeseburgers besitzt, überblickt der Fahrer dank aufrechter, aber nicht unbequemer Sitzposition hervorragend die hellgrüne, stark hügelige Haubenlandschaft. Das in Echtholz gestaltete Cockpit gefällt durch seine komplette Instrumentierung und sparsame Schalterbestückung und entspricht der gehobenen Esprit-Version. Bis zu 7,4 Liter Hubraum waren im Pontiac Firebird Formula 400 möglich Als Ergänzung hierzu erhält man mit dem Formula-Paket neben den speziellen Felgen und der Ram-Air-Motorhaube noch eine Doppelauspuffanlage, ein strafferes Fahrwerk und den 170 PS starken 5,7-Liter-V8, wahlweise gegen Aufpreis auch die 6,6-Liter-(193/225 PS) und 7,4-Liter-Maschine (250/290 PS). Wir begnügen uns mit dem 400er, der noch immer im riesigen Motorraum des Firebird etwas verloren wirkt, aber umso beflissener zur Sache geht, wenn man ihn darum bittet. Und das gelingt mit der geringsten Bewegung des rechten Gasfußes, die den Pontiac mit etwas Verzögerung durch seine gewichtige Coupé-Karosserie wie einen Rodeo-Bullen aus der Startbox treibt. Zeitgleich mit dem dezenten Aufknurren des V8 hebt sich nämlich auch die schwere Wagenfront - das ergibt die leichte Startverzögerung -, die dann während des flotten Beschleunigungsvorgangs weiter steil am Wind steht und erst mit Zurücknehmen das Gasfußes wieder in Normalstellung absackt. Bei Ampelstarts mit dem Pontiac Firebird Formula 400 kann viel Gummi auf der Strecke bleiben Der gewaltige, gewichtige Pontiac Firebird Formula 400 ist nämlich im Grunde seines großen Herzens ein ausgeprägter Softie, der zwar super beschleunigt und - jawoll! - sogar super bremst, aber dabei immer leicht ins Taumeln und Schaukeln gerät wie Hoss Cartwright beim Square Dance. Das ist zum Glück ziemlich harmlos, da der große Pontiac schön berechenbar bleibt und nicht etwa störrisch herumbockt. Er schreckt auch vor flott gefahrenen Kurven nicht zurück, in die der Fahrer zunächst den schweren Motor und dann sich selbst mit Hilfe einer butterweichen, indirekten Lenkung energisch hineinbitten muss. Dabei schiebt der Pontiac brav über die Vorderräder, kann aber plötzlich mit dem Heck auskeilen, wenn der Fahrer zu viel Gas gibt, weshalb der beflissene Automatik-Ami einen Gang runterschaltet und auf einen Schlag seine fast 200 PS auf die starre Hinterachse packt. Besonders auf regennassen Pflasterstraßen wird das brave Coupé zum Risiko, da hier schon ein normaler Ampelstart zwei Fahrspuren in Anspruch nehmen kann, über die der Firebird wie betrunken auf der Reeperbahn nachts um halb eins davonschlingert. Firebird Formula 400 im völlig unverbastelten Originalzustand Man wird sich also davor hüten, allzu oft die 193 Pontiac-Pferde voll in Anspruch zu nehmen, zumal der Fahrer dabei regelmäßig von seinem glatten Sessel zu rutschen droht. Gut, dass ihn die ausladende Türverkleidung und die hohe Mittelkonsole mit dem aufklappbaren Utensilienkasten auf dem Sitz halten. Keine Frage, dieser Firebird Formula 400 im völlig unverbastelten Originalzustand von 1974 (einschließlich der Reifen!) ist vor allem ein Gleiter und findet deshalb sportiven Fahrstress ziemlich ätzend. Der Pontiac gleicht damit Detektiv Rockford, der ebenfalls körperliche Auseinandersetzungen scheute und in seinem antrittsstarken Firebird lieber das Weite suchte. Wenn es aber darauf ankam, konnten beide kräftig dreinschlagen. Trotzdem überzeugten sie mehr mit ihrem kameradschaftlich-saloppen und dabei stets verlässlichen Auftritt. Das gilt übrigens für fast alle netten, reiferen, vierrädrigen Amerikaner.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 25.06.2010
8
MotorKlassik