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Carly Aktive Emissionssteuerung: Erhöhte AGR-Rate in Umweltzonen - Kurzzeitig saubere Abgase per App

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Eine neue Taktik in der Diesel-Diskussion: App-Entwickler Carly will Dieselautos in Innenstädten sauberer machen. Das soll ohne teure Hardware funktionieren: über das AGR-System.

App-Prototyp: Die aktive Emissionssteuerung von Carly erkennt per GPS, ob sich ein Auto in einer Umweltzone befindet, und verbessert dort die Abgaswerte App-Prototyp: Die aktive Emissionssteuerung von Carly erkennt per GPS, ob sich ein Auto in einer Umweltzone befindet, und verbessert dort die Abgaswerte Quelle: picture Alliance / dpa & Carly

München – Die Luft in Innenstädten muss sauberer werden. Das verlangen das EU-Recht und die Fürsorge für die Stadtbewohner. Nur beim „Wie“ herrscht Uneinigkeit: Umweltverbände fordern Fahrverbote, Hersteller wollen neue Autos verkaufen, Politiker setzen auf Nachrüstungen. Eine schnelle Lösung gibt es bisher nicht.

Eine neue Idee bringt nun ein App-Entwickler ein. Das Unternehmen Carly hat eine Software entwickelt, die alte Diesel temporär sauberer macht. Sie stellt fest, wo das Auto fährt. Fährt es durch eine belastete Gegend, verbessert das Programm die Reinigung der Abgase, für eine kurze Zeit sinkt der Ausstoß von Stickoxiden. Verlässt der Fahrer die problematische Zone, läuft die Abgasreinigung wieder wie vorher.

Ohne Nachrüstung: Bessere Abgaswerte in Innenstädten

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die Betrugssoftware des VW-Konzerns. Sie säubert für einen kurzen Zeitraum in einem definierten Umfeld (in diesem Fall: auf dem Prüfstand) die Abgase stärker als im Normalbetrieb. Carly überträgt das Prinzip auf den Straßenverkehr. Die Idee: alte Diesel könnten ohne teure Umbauten überall dort sauberer fahren, wo es nötig ist. Mit der passenden gesetzlichen Grundlage könnten so Fahrverbote und Einschränkungen verhindert werden.

Carly testet die Software mit einem BMW 640d xDrive. Bei Tests der Universität Heidelberg stieß das Auto in regulären Betrieb 772 bis 1.124 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus. Mit angepasster Abgasreinigung sank der Wert auf 270 bis 405 Milligramm. Durchschnittlich sei der NOx-Ausstoß bei allen Lastzuständen um 64 Prozent gesunken. Der prognostizierte Preis für die App: 50 Euro – falls jemand die Idee übernimmt. Carly geht es nur um die Demonstration der Möglichkeiten.

Die Technik der Carly-App: Mehr Arbeit für das AGR-Ventil

Die Software verwendet die originale Abgasreinigungsanlage des Autos. Konkret geht es um die sogenannte Abgasrückführung. Sie leitet Abgase zurück in den Brennraum und kühlt damit die Verbrennung. Stickoxide entstehen bei extrem hohen Verbrennungstemperaturen. Sinken die Temperaturen, sinkt der Schadstoffausstoß.

Die Carly-App erhöht die Frequenz der Abgasrückführung. Das Ventil arbeitet also häufiger, wenn die Abgase sauber sein müssen. Außerhalb der vorab definierten Gegenden kehrt es in den Modus zurück, den die Hersteller ursprünglich programmiert haben. Die Umschaltung soll automatisch oder auf Wunsch des Fahrers geschehen. Das System greift über den Diagnosestecker auf die Bordelektronik zu.

Im Gespräch mit MOTOR-TALK erklären Carly-Geschäftsführer Avid Avini und Entwickler Marco Landwehr die Idee hinter ihrer App, und liegen damit nah an dem, was die Industrie als "Software-Update" bezeichnet. Hersteller wie BMW, Mercedes und VW erhöhen im Rahmen dieser Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge die AGR-Raten in den meisten Fahrbereichen. Carly erhöht diese Raten noch weiter, aber nur in bestimmten Zonen in der Innenstadt. Dort sollen die NOx-Emissionen stärker sinken. An Orten ohne NOx-Problem arbeitet das AGR-Ventil im ursprünglichen Modus.

Eine deutliche Verbesserung erreiche man durch die Eliminierung des sogenannten Thermofensters. Die Abgasrückführung schaltet sich üblicherweise ab, wenn bestimmte Umgebungstemperaturen unterschritten werden, um Nachteile oder Beschädigungen zu verhindern. Bei Carly hänge diese Steuerung von Motorlast und -temperatur ab. Das Ventil stelle den Betrieb erst ein, wenn der Motor auszukühlen drohe. Bei Volllast schaltet es in allen Fällen ab.

Risiko: Erhöhter Verschleiß von AGR-Systemen

AGR-Systeme sind nur begrenzt belastbar. Sie funktionieren nicht in jedem Lastzustand und verschleißen auf Dauer. Ruß und Asche können sich am Ventil absetzen (Verkokung). Kondenswasser und Ablagerung können eine harzähnliche Substanz bilden (Versottung). Diese Probleme haben viele schon mit der serienmäßigen Software.

Ein Dauerbetrieb mit deutlich höhrerer Rückführungsrate würde diese Effekte verstärken. Die Frequenz des AGR-Systems lässt sich daher nicht beliebig erhöhen. Eine zu hohe Rate würde Laufruhe und Partikelbildung beeinflussen. Bei hoher Last muss die AGR-Rate in jedem Fall reduziert werden, um die Bauteile zu schützen. Dauerhaft bessere Abgase sind auf diese Art nicht realisierbar.

Ein Gedankenanstoß, den die Hersteller umsetzen könnten

Landwehr hat früher selbst in der Motorenentwicklung gearbeitet. Er sagt, dass die Maßnahme die Haltbarkeit des Motors nicht negativ beeinflusst. Zwar fahre man in bestimmten Bereichen höhere AGR-Raten als die Hersteller, außerhalb von begrenzten Zonen aber mit serienmäßiger Strategie. Wenn man nicht ständig in Umweltzonen fährt, soll es keine Probleme geben.

Ein wichtiges „Wenn“. Denn Hersteller können solche Fahrprofile bei Autobesitzern nicht ausschließen. Ein serienmäßiges Auto darf nicht kaputtgehen, weil es immer in der Umweltzone unterwegs ist. Carly rechnet bewusst mit dem Profil eines Diesel-Fahrers, der nur manchmal in der Stadt und viel auf langer Strecke fährt.

Auf den Markt kommt die App ohnehin nicht. Avini erklärt, er wolle damit einen Denkanstoß geben. Ursprünglich sollte der Vorschlag in Textform an die Hersteller gehen. Stattdessen entwickelte seine Firma das System kurzerhand selbst. Er halte es für sinnvoll, die Stickoxidbelastung gezielt dort deutlich zu reduzieren, wo es nötig ist, und nicht überall ein bisschen. Der Test-BMW habe auf diese Weise gut 15.000 Kilometern abgespult.

Risiko: Erhöhter Verschleiß von AGR-Systemen

BMW nimmt den Vorschlag distanziert auf. Auf Nachfrage von MOTOR-TALK sagte ein Sprecher, dass die App der Marke noch nicht bekannt sei und erst umfassend analysiert werden müsse. Er weist auf die Gefahren bei gravierenden Eingriffen in die Abgassteuerung hin: „Willkürliche Veränderungen einzelner Parameter, die das Motorbetriebsverhalten verändern, sehen wir generell kritisch.“

Man könne nicht einfach bestimmte Funktionen modifizieren. „So kann eine einseitige Veränderung der AGR-Rate zu einer deutlich höheren Rußbildung führen, auf welche die Regenerationsstrategie des Partikelfilters nicht ausgelegt ist“, befürchtet er. Derzeit würden zusätzliche Informationen zur Funktionsweise fehlen: „Für genauere Beurteilungen muss jedoch die konkrete Wirkweise der App nachvollzogen werden.“

 

Carly ist überzeugt von der Idee und will weiter forschen. Es soll eine zweite Version geben für Fahrzeuge, die ihre Abgase mit der Harnstofflösung AdBlue reinigen. Hier nehmen die Hersteller laut Landwehr zu viel Rücksicht auf den Komfort der Besitzer. Weil die nicht ständig AdBlue tanken sollen, würden die Systeme nicht effizient arbeiten.

Die neue App soll die Einspritzmenge der Lösung erhöhen, was den Stickoxidausstoß senken würde. Auch hier gibt es Grenzen: Eine zu hohe Konzentration führt zum Ausstoß von Ammoniak im Abgas. Aber es ist ohnehin nur eine Idee an die Adresse von Herstellern und Umrüstern, um den Stickoxidausstoß in Städten mit vorhandenen Mitteln zu senken. Um die vollständige Entwicklung und eine Zulassung will sich Carly nicht kümmern.

Avatar von SerialChilla
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