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Classic Driving News

La Petite Princesse

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Vor rund 50 Jahren überraschte Facel-Véga mit der Facellia - eine kleine feine Zugabe zu den V8-Modellen, die weiterhin das Programm krönten.

Die BB war schwanger. 1959 zeichnete sich bei Frankreichs Sexbombe Brigitte Bardot im Frontbereich eine zusätzliche Rundung an ungewöhnlicher Stelle ab. Ihr gewölbter Bauch verriet, dass demnächst Nachwuchs ins Haus stand. Nachwuchs erwartet auch Jean Daninos, obwohl es an ihm keine körperlichen Veränderungen zu entdecken gab. Denn bei ihm handelte es sich um einen Sprössling ganz anderer Art.

Der Traum vom französischen Herzen im Facel Véga

Daninos war Gründer der Firma Facel, wobei sich der Name Facel aus der langen Bezeichnung Forges et Ateliérs de Construction d?Eure et de Loire ableitet. Vor dem Zweiten Weltkrieg produzierte Facel Werkzeuge für die Flugzeugindustrie, später Küchen- und Büroausstattungen und natürlich Karosserien wie etwa für Simca oder Ford. 1954 gründete Daninos die Automarke Facel Véga, wobei Véga auf einen gleichnamigen Stern von besonderer Strahlkraft hinweist.

Facel Véga bereicherte die Autowelt mit extrem teuren Luxuswagen sportlichen Charakters, für deren Temperament ein großvolumiger V-Achtzylinder aus amerikanischer Produktion sorgte. Doch genau das schmeckte Daninos so wenig wie Coca Cola zum Frühstückscroissant. Er träumte von einem Auto mit französischem Herzen - einen passenden Organspender fand er zunächst aber nicht.

Umso mehr staunten die ausgesuchten Pressevertreter und Gäste, denen Daninos im Rahmen einer kleinen Pressekonferenz Ende September 1959 in Paris sein neues Baby präsentierte ? einen schicken offenen Zweisitzer, der einen attraktiv aussehenden Zweinockenwellen-Vierzylindermotor mit Facel Véga-Schriftzug auf dem Ventildeckel unter der vorderen Haube verbarg. Das Geheimnis um das plötzliche Auftauchen dieser Maschine blieb bei diesem Termin ungeklärt. Die Anwesenden erfuhren lediglich, dass der Querstromzylinderkopf aus Aluminium in Kooperation mit Weslake entwickelt worden sei.

Wie sich später herausstellte, hatten der einst in Diensten von Talbot-Lago stehende Ingenieur Carlo Marchetti und Jean Cavallier den Motor verwirklicht. Cavallier leitete das Werk Pont-à-Mousson, das Facel bereits mit Getrieben versorgte. Daninos taufte seinen wahr gewordenen Traum Facellia, und er hoffte, mit dieser kleinen Schönheit möglichst viele neue Kunden anzulocken.

Facel-Végas einzigartige Formensprache 

Einer, der heute die Facellia so reizvoll findet wie Daninos damals, weil in ihr keine amerikanische, sondern eine französische Seele wohnt, ist Christian Diemer. Zusammen mit Volker Dalheimer leitet er in Saarbrücken eine Werkstatt für Oldtimer, die sich unter anderem intensiv mit Fahrzeugen der Marke Facel Véga befasst. Ihm gehört die auf diesen Seiten zu sehende Facellia, die zu einem Fototermin ins nahe gelegene Frankreich entführt wurde.

Dort scheint der Bekanntheitsgrad dieses Exoten wesentlich höher als hierzulande zu sein. Zumindest bei älteren Leuten, an denen der Wagen in dem kleinen Dorf Hombourg-Haute langsam vorbeirollt, lässt sich das Wort Facel von den Lippen ablesen. Ob HK 500, Excellence, Facel II oder Facellia, Chefingenieur Jacques Brasseur hat es geschafft, alle Modelle so zu gestalten, dass sie der Betrachter als Mitglieder der gleichen Familie erkennt. Allein die Front mit den drei Kühlergrillelementen und der senkrechten Scheinwerferpartie ist für einen Facel so charakteristisch wie die üppige Nase für den damaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle.

Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass anfangs nur von einer Facellia als Cabrio die Rede war. Tatsächlich folgte erst einige Monate später ein Coupé mit einer breiten hinteren Dachsäule, während die hier gezeigte viersitzige Variante mit dem weit nach hinten gezogenen Dach und dem Stummelheck zum Pariser Salon im Herbst 1960 erschien.

Der Gewinn an Innenraum bei diesem Facellia F2 Coupé ging zwar in den Augen vieler zu Lasten der Attraktivität, aber keinesfalls der Extravaganz. Und das war gut so. Die großen Facel Véga nahmen es preislich locker mit einem Maserati oder Aston Martin auf ? daher konnte auch die kleine 1,6-Liter- Facellia kein Sonderangebot sein. Ihr Preis von etwa 20.000 Mark übertraf im Jahr 1962 zum Beispiel den eines Mercedes 190 SL um 4.000 Mark.

Luxus im Innenraum

Doch was bekam der Käufer dafür als Gegenwert? Da wäre zunächst einmal die schlichte, aber dennoch elegant geformte Karosserie, die in zwei zarten, abgerundeten Heckflossen ausläuft. Darin integriert sind die filigranen, länglichen Rücklichtgläser, kaum breiter als der Daumen eines altgedienten Karosseriespenglers. Nahezu alle Glanzteile wie Stoßstangen und Zierleisten bestehen aus rostfreiem Edelstahl.

Der erste Blick nach dem Einsteigen gilt dem schmucken Instrumentenbrett, scheinbar ein Meisterwerk aus Edelholz, das sich ohne jegliche Rundung über die gesamte Innenraumbreite erstreckt und eine ungewöhnlich große Distanz zu den Passagieren hält, woraus ein großzügiges Raumgefühl resultiert. Facel-Kenner wissen, dass sich das Holz bei näherem Betrachten als perfekte Täuschung erweist. Daninos hatte ein Faible für Metall, und Cheflackierer Marcel Bigot ersann eine spezielle Maltechnik, um kaltem Metall die Ausstrahlung von warmem Edelholz zu verleihen.

Doch selbst das Wissen um diesen Kniff beeinträchtigt das Gefühl von Luxus in dem dank großzügiger Verglasung lichten Innenraum nicht. Dafür sorgen die zahlreichen chromumrandeten Jaeger-Instrumente, die feinen Kippschalter und die scheinbar aus dem Vollen geschnitzten verchromten Hebel für Heizung und Belüftung. Selbst die Passagiere im Fond, die nicht allzu groß sein sollten, erfreuen sich an Details wie den in seitlichen Ausbuchtungen untergebrachten Aschenbechern, die von darüber angebrachten Leuchten erhellt werden. Der Fahrer muss sich allerdings damit abfinden, dass ihm sein Ledersitz keinerlei Seitenhalt gewährt und der auf dem Instrumentenbrett positionierte Rückspiegel die Sicht beeinträchtigt.

Der Facel-Motor will gedreht werden

Und der Fahreindruck? Die Lenkung arbeitet leicht und direkt. Hingegen erfordert das robuste Vierganggetriebe einen gewissen Kraftaufwand, um die exakt definierten Schaltstufen einzulegen. Mit rund 1.100 Kilo Leergewicht ist die Facellia nicht gerade ein leichtes Mädchen, dennoch bewegt sie sich auf Landstraßen merklich behänder als die 600 Kilo schwereren V8-Modelle. Die beeindrucken mehr durch ihre brachiale Leistung, sollen sie doch beim Gasgeben Pflastersteine aus der Straße gerissen haben.

Dazu reichen die nach SAE-Norm gemessenen 115 PS des Facellia-Vierzylinders natürlich nicht. Das von der Konstruktion her an einen Alfa-Motor erinnernde Aggregat wirkt im unteren Drehzahlbereich etwas träge. Wer schnell sein will, was die sicheren Fahreigenschaften unterstützen, muss den Motor drehen. Dann stellt sich zwar auch eine sportliche Geräuschkulisse ein, doch die damit verbundene Lautstärke zügelt schon bald einen allzu forschen Gasfuß. Landstraßentouren mit 80 bis 110 km/h, wobei dann im vierten Gang 3.500/min anliegen, gestalten sich vergnüglich, während man sich für Autobahnfahrten zumindest einen Overdrive wünscht.

Der Motor in Diemers Facellia läuft ohne Probleme, denn es handelt sich um die Ende 1960 eingeführte überarbeitete Version mit geänderten Kolben, Laufbuchsen, reduzierter Verdichtung und einem optimierten Kühlkreislauf. Denn der Ur- Motor erwies sich damals als ein Desaster, er war nicht ausgereift. So kam es massenhaft zu Schäden, die frühzeitig den Ruf der Facellia schädigten und das Unternehmen schließlich in den Ruin stürzten. Die Rettungsversuche mit Motoren anderer Hersteller wie von Volvo im Facel III kamen zu spät.

Daninos hatte mit seinem Nachwuchs kein Glück, ebenso wenig wie die BB. Während sie selbst schuld war, weil sie von ihrem Sohn nichts wissen wollte, tat Daninos alles für das neue Familienmitglied. Doch es war nicht genug.

 

Quelle: Motor Klassik

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