Seit 30 Jahren verpasst Lancia den Anschluss an seine beste Zeit. Jetzt hat man aufgehört, es zu versuchen: nur Ypsilon, nur Italien. Fans rebellieren per Grafikprogramm.
Turin – Selten wurde eine ökonomische Entscheidung mit mehr Pathos kommuniziert. Fiat-Konzernchef Sergio Marchionne verglich seine Situation mit der Schlüsselstelle im Film "Sophies Entscheidung". Im Streifen kann nur eins von zwei Kindern überleben. Der FCA-Konzern wog 2014 ab zwischen Lancia und Alfa Romeo. Alfa gewann. Seit diesem Jahr ist Lancia außerhalb von Italien tot. Allein der Ypsilon hält die Marke in ihrer Heimat am Leben. In sozialen Medien kämpfen Fans unter Hashtags wie #Ilovelancia und #savelancia für ein Modellprogramm wie zur besten Zeit der Marke. Doch es sind gerade die eigenen Legenden, an denen Lancia in der Neuzeit zerbrach. Warum darf Alfa leben und Lancia nur vegetieren?Quelle: Andrea Bonamore via Facebook @ilovelancia Zum Zeitpunkt der Entscheidung arbeiteten Lancia und Alfa unprofitabel. Ihre großen Namen boten aber Potenzial – Sportlichkeit und Design schrieb jede Marke auf ihre Webseite. Beide verfügen über Tradition und Pokalsammlungen. FCA brauchte einen Player oberhalb des Volumenmarktes - und setzte auf Alfa. Für zwei Revitalisierungen waren Markt und Kontostand zu knapp. Nach eigenen Angaben wird der Konzern bis 2020 fünf Milliarden Euro in den Relaunch von Alfa investieren. Die Limousine Giulia und das SUV Stelvio sind der Anfang, sechs weitere Modelle sollen folgen. „Lancia hat außerhalb Italiens so gut wie keine Relevanz“, begründet Marchionne die Entscheidung gegen den Traditionshersteller aus Turin. Aufstand der HobbygrafikerSeither kämpfen italienische Fans um die Zukunft der Marke. Vom Rechner aus. Mehr als 5.000 unterschrieben eine Onlinepetition, fast 20.000 Likes bekam die Facebookseite „Ja zu Lancia, nein zu Marchionne“. Aktuell ist auf Facebook die Seite „I love Lancia“ die größte Nummer. Gebäudetechnik-Student Andrea Bonamore zeigt dort mit fiktiven Studien, wie Lancia heute abseits des Ypsilon aussehen könnte. Andere Nutzer tun es ihm gleich. Daneben beklagen sie in Youtubevideos die Opferung der Marke zugunsten des Konzernwohls. Und den Deutschen ist Lancia egal? „Es gab einige Reaktionen seitens der Vereine und Fanclubs“, sagt ein Sprecher von FCA Deutschland. „Nur: Die Lancia-Fans waren in der Mehrzahl keine Käufer von neuen Lancia-Fahrzeugen. Man muss aber dazusagen, dass wir vielleicht nicht immer das passende Modellangebot für einen echten Lancisti hatten.“ Chrysler war nicht die Lösung - aber auch nicht das ProblemQuelle: Fiat Chrysler Lancia, das waren in den vergangenen Jahren Chrysler mit neuem Markenlogo. Der Chrysler 200 wurde zum Flavia, der 300 zum Lancia Thema. Der Van Voyager wechselte unter gleicher Typenbezeichnung die Marke. Badge-Engineering bei Lancia, das einst als Marke der Ingenieure galt? Das von der Kultsendung Top Gear eine Liebeserklärung erhielt, das die ersten Autos mit einem elektrischen Anlasser (Teta, 1913) oder selbsttragender Karosserie (Lambda, 1923) baute? Das passt nicht. Doch das weiß heute ohnehin kaum noch jemand. Die breite Masse trauert anderen Lancia nach: Allen voran dem Delta HF Integrale aus den 1980ern. Kompakter Allradler mit 2,0-Liter-Turbomotor und bis zu 215 PS. Der Kult um das Auto wurde von Lancias damaligem Engagement im Rallyesport angeheizt. Mit dem Delta Integrale holten die Italiener von 1987 bis 1992 die Rallye-Weltmeisterschaften für Hersteller. Zuvor sorgten bereits kompromisslose zweisitzige Mittelmotor-Sportwagen wie der Stratos und der 037 für Bestzeiten auf Rallye-Sonderprüfungen und für sportliches Image. Markenrettung, darunter stellen sich viele Fans eine würdige Neuauflage dieser Modelle vor. Studien im Stil des kantigen Delta Integrale werden im Netz gefeiert. Im Gegensatz dazu scheinen die Modelle nach 1993 keine Relevanz zu haben. Lancia zerbricht an der eigenen Glorie vergangener Tage – und das nicht erst, seit Sergio Marchionne Chef ist. Bereits die Sportler ab Mitte der 90er-Jahre wurden an den früheren Spitzenmodellen gemessen und für unzureichend befunden. Der Nachfolger des Integrale, der Delta HF ab 1996 mit 193 PS? Zu schwach, zu brav. Das rare Lancia Kappa Coupé von 1997 mit einem 3,0-Liter-V6? Zu behäbig, zu schwammig, nicht vergleichbar mit 037 Stradale und Stratos. Dem aktuellen Ypsilon geht es ähnlich. Lancia postet den Kleinwagen auf Facebook und schreibt: "Es ist unmöglich, sich nicht in dieses Auto zu verlieben". Die Antwort eines Fans: "Bringt den Delta Integrale zurück. Lancia, ihr seid nur noch ein Witz." Ein Fall unter Hunderten. Auf der Lancia-Seite wird so gut wie jeder Beitrag zum Ypsilon mit einer Forderung nach dem Delta kommentiert. Auf den privaten Fanseiten sowieso. Fazit: Der Ypsilon läuft, Integrale und Stratos hätten es heute schwererQuelle: Andrea Bonamore via Facebook @ilovelancia Was viele Lancisti übersehen: Selbst für echte Nachfolger der glorreichen Sportler bliebe das Potenzial überschaubar. Früher war der allradgetriebene Delta Integrale König, heute wäre er einer von vielen. Audi hat den RS3, Mercedes den A45 AMG, VW den Golf R. Motorsporthintergrund bieten der Rallycrossableger Ford Focus RS und der Subaru Impreza STI - ebenfalls eine Modellreihe, die in der Vergangenheit die Rallye-Weltmeisterschaft für ihren Hersteller holte. Ein Mittelmotor-Stratos Baujahr 2018 brächte Publicity, die neue Alpine A110 macht es vor. Doch das Sportwagensegment steht bei lediglich 1,1 Prozent Marktanteil. Sportwagenhersteller verdienen Geld mit SUV-Modellen. Angekündigte Kleinserien des Stratos aus privater Finanzierung gingen nie in Produktion. Eine Modellpalette mit nur einem Fahrzeug ist wenig ruhm-, aber dafür erfolgreich. Der Ypsilon gehört in Italien zu den meistverkauften Autos: 2016 war er mit gut 65.000 Exemplaren zweiterfolgreichstes Auto nach dem Fiat Panda. Kein Grund also, ihn einzustellen. Lancias Motorsportvergangenheit zählt nicht mehr. Das Marketing des Ypsilon zielt auf weibliche Kundschaft mit einem Faible für Kunst und Mode. Die 95 PS des 1,3-Liter-Diesels markieren die Leistungsspitze. Im Heimatland wird Lancia nicht so rasch sterben. Doch es ist nicht das Leben, das sich begeisterte Lancisti für ihre Marke wünschen. Weiterlesen: Das sagt Rallye-Legende Walter Röhrl zum 037. |