15 Jahre hat es gedauert - jetzt ist der "eCall" in neuen Automodellen Pflicht. Viele Leben sollen dadurch gerettet werden. Das Wichtigste zum neuen System im Überblick.
Brüssel - Mehr als 25.000 Menschen sterben jährlich bei Verkehrsunfällen in der Europäischen Union, 135.000 werden schwer verletzt. Das Notrufsystem eCall soll künftig viele von ihnen retten. Nach mehr als 15 Jahren Vorlauf wird die Notrufautomatik am 31. März für alle neu zugelassenen Automodelle in Europa Pflicht. Die EU erhofft sich sehr viel von der Neuerung, auch die Autoindustrie und der ADAC begrüßen sie. Andere Experten hingegen sind skeptisch. Was kann eCall eigentlich?Nach einem Unfall wählt das Auto automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 und stellt eine Telefonverbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle her. Ausgelöst wird das System durch sogenannte Crash-Sensoren und über die Steuerung der Airbags. Melden sich die Insassen nicht - etwa, wenn sie ohnmächtig sind - kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen. Denn eCall übermittelt über Satellit gleichzeitig Daten zum Standort des Wagens und zur Fahrtrichtung. EU-Kommission und Europaparlament setzen große Hoffnung auf das System, das schon 2002 gepriesen und schließlich 2015 gesetzlich festgeschrieben wurde. "Mit eCall wird sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern", rechnet die Europaabgeordnete Olga Sehnalova vor. "Das führt zu einer Verringerung der Todesopfer und der Rettung von bis zu 1.500 Menschenleben pro Jahr." Die EU-Kommission schätzte die Zahl im Jahr 2013 sogar auf 2.500. Doppelt so schnelle ReaktionszeitMit Blick auf die Lage in Deutschland hat Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst, deutliche Zweifel. Im Durchschnitt dauere es heute bundesweit knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort sei. Eine Verringerung um 50 Prozent würde bedeuten, dass es nur noch fünf Minuten wären. Kaum realistisch, meint König. Da spielten ganz andere Faktoren eine Rolle als nur der rasche Anruf bei der Leitstelle, etwa die Logistik der Rettungswagen. In einigen EU-Ländern liegen die sogenannten Hilfsfristen nach Angaben des österreichischen Roten Kreuzes bei bis zu 20 Minuten. Und auch in Deutschland gilt: Jede Beschleunigung der Rettungsmaßnahmen hilft. König nennt die Faustformel: Pro Minute sinkt bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent. "Wenn nur ein Menschenleben gerettet wird, dann ist das eine gute Investition", meint Achim Hackstein, Vorsitzender des Fachverbands Leitstellen. Ob sich eCall wirklich bewährt, wird sich wohl erst in einigen Jahren herausstellen. Denn Pflicht wird das System nur für neue Modelle - also nicht einmal für jeden Neuwagen. Bei frisch homologierten Fahrzeugtypen dauert es also eine Modellgeneration, bis die Technik ins Auto kommen muss. Für ältere Fahrzeuge kann das System nachgerüstet werden. Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?Datenschützer haben immer wieder schwere Bedenken gegen eCall vorgebracht. "Das aus Datenschutzsicht ursprünglich weitgehend neutrale Auto wird so schnell zur Datenschleuder", monierte der ehemalige Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, im Januar im "Neuen Deutschland". Der ADAC hat weniger Vorbehalte. "Das gesetzliche eCall baut erst nach einem Unfall eine Verbindung auf. Damit werden Autofahrer und ihre Fahrten nicht "getrackt"", erläutert Sprecher Johannes Boos. "Für diesen gesetzlich vorgeschriebenen eCall sehen wir unmittelbar keinen Missbrauch des Datenmonopols." Augen auf bei HerstellerangebotenKritischer beäugt der ADAC Kommunikationsdienste, die Fahrzeughersteller in eigener Verantwortung anbieten. Mercedes-Benz etwa hat schon seit 2012 eigene Notrufzentralen. Auch PSA bietet eigene Systeme schon länger an. Boos warnt, einige Hersteller schlössen mit ihren Kunden Verträge mit weit umfangreicheren Datenpaketen als eCall. Bisweilen gebe es Klauseln, dass das Herstellersystem bei einem Unfall Vorrang vor eCall bekomme. Das wiederum sehen auch die Rettungsdienstexperten König und Hackstein kritisch: Automatische Notrufe müssten immer direkt an die Rettungsleitstelle gehen, fordern beide. ***** In eigener Sache: Wir verschicken unsere besten News einmal am Tag (Montag bis Freitag) über Whatsapp und Insta. Klingt gut? Dann lies hier, wie Du Dich anmelden kannst. Es dauert nur 2 Minuten. Quelle: dpa |