1978. Von der CB 750 Four spricht kein Mensch mehr, die Verkaufszahlen bröckeln. Honda benötigt dringend ein neues Superbike - und bringt die CBX: Sechs Zylinder, 24 Ventile und 105 PS. Die Welt hält den Atem an. Die Honda CBX parkt versteckt in einer dunklen Garage, eingeklemmt zwischen einem alten Holzschrank, diversen Kisten voller Ersatzteile und gebrauchten Reifen. Es dauert eine ganze Weile, bis sie sich zu erkennen gibt. Doch dann herrscht kein Zweifel: sechs Zylinder in Reihe - ein Motorblock so unverkennbar wie die Silhouette des Eifelturms. Es ist eine Machtdemonstration, was Honda 1978 der Weltpresse auftischt. 1048 Kubik, 105 PS, 24 Ventile und 220 Sachen schnell - mit dem neuen, CBX getauften Superbike will der Konzern endgültig jene leidige Diskussion beenden, wer denn nun das schnellste Serienmotorrad der Welt im Stall hat. Es geht dabei nicht nur um das Image oder um das Blaue Band, vielmehr geht es für Honda um alles. Der Reihensechser läuft seidenweich und vibrationsfrei Die Zeiten, in denen der größte Motorradhersteller der Welt Vergleichstests gewinnt - Vergangenheit. Die Konkurrenz beschleunigt mittlerweile radikaler, fährt schneller und bremst besser. Sinkende Verkaufszahlen sind die Folge, trotz der großen Modellpalette fehlt es an einem echten Knüller - die Bestseller heißen Kawasaki Z 1000, Suzuki GS 750 oder Yamaha XS 750. Zurück zu unserer Honda CBX, die inzwischen aus ihrem dunklen Verließ hinaus auf den Hof gerollt wurde. Wie es aussieht, ist sie schon lange nicht mehr bewegt worden. Eine feine Staubschicht überzieht das gesamte Motorrad, ein Modell aus der ersten Serie im beneidenswert schönen Originalzustand. Die vergangenen 33 Jahre sind zwar nicht spurlos an dieser CBX vorbeigegangen, aber die leichte Patina steht ihr gut. Ein Tuch und etwas Wasser genügen, um dem roten Lack wieder Glanz einzuhauchen. Der Zündschlüssel steckt bereits im Schloss. Klick - im Cockpit, das aus Tacho, Drehzahlmesser und Voltmeter besteht, leuchten die Lämpchen für Öldruck- und Lehrlaufkontrolle auf. Der linke Daumen schiebt den Chokehebel nach vorn, der rechte betätigt den Anlasser - im nächsten Moment erwacht das Triebwerk der Honda CBX aus seinem Tiefschlaf, verfällt ohne zu Klagen sofort in einen seidenweichen und nahezu vibrationsfreien Rundlauf. Respekt. Nur der Klang ist für ein angebliches Superbike eindeutig zu leise. Im Standgas muss man schon genau hinhören, ob der Motor überhaupt läuft. Seine Wurzeln hat der CBX-Motor im Rennsport Dafür ist er optisch umso präsenter. Völlig unverkleidet hängt dieses Sixpack in einem unten offenen Brückenrohrrahmen - ganz offensichtlich sollte nichts den Blick auf dieses mit zahlreichen technischen Finessen versehene Kraftwerk behindern, dessen Wurzeln im Rennsport liegen. Gleich zweimal kassierten die sechszylindrigen Honda- Werksrennmaschinen in der 250er- und in der 350er-Klasse mit "Mike the Bike" Hailwood im Sattel den Weltmeistertitel. Aber einen Sechszylinder für die Stadt bauen? Das hatte sich bisher nur Benelli getraut - ein, wie sich schnell herausstellte, glückloses Projekt. Honda war also gewarnt - und entschied sich dennoch für diese Motorvariante. Sechs Kraftkammern mit jeweils vier Ventilen, so die Rechnung der Ingenieure, liefern etwa zehn PS mehr Leistung als vier. Damit schien das Mehrgewicht von rund fünf Kilo gegenüber einer Vierzylinder-Lösung mehr als aufgewogen. Zudem sprachen höhere Drehzahlen für den Einsatz eines Sechszylinders - den legendären GP-Maschinen hatten die Techniker sagenhafte 22.000(!) Umdrehungen pro Minute gestattet. Der Rest der Honda - elegant und zeitlos. Der breite Tank wirkt von der Seite überraschend zierlich und geht nahtlos in die flach gehaltene Sitzbank über, die wiederum in einem Spoiler endet. Eben klassischer Motorradbau. Für Quartett-Fans: Von 0 auf 100 in 3,9 s Jacke zu, Helm auf, Handschuhe an. Zaghaft ordne ich mich in den Münchner Stadtverkehr ein. Kurs Süd, in Richtung Starnberger See. Die Honda CBX - sie gibt sich entgegen aller Erwartungen handzahm und brav, ist trotz eines Gewichts von 275 Kilo mit zwei Fingern beherrschbar. Lichtjahre war sie damals von uns und unseren 50igern entfernt, ein Geschoss wie aus einer anderen Galaxie, so mächtig und stark wie kein anderes Großserienmotorrad bis dahin. Und nun rollt sie durch München, offensichtlich so alltagstauglich wie ein neumodischer 250er-Roller. Alles passt, jeder Griff sitzt, nicht einmal die Kupplung klemmt. Und erst dieser Motor. Nimmt jederzeit Gas an, ohne sich zu verschlucken, zieht sofort an, auch wenn die Nadel im Drehzahlmesser gerade erst aus ihrer Lethargie erwacht. Das ehrfürchtige Gefühl von früher weicht Gelassenheit. Die Angst, mit dem mächtigen Triebwerk zwischen den Autos hängenzubleiben, entpuppt sich ebenfalls als vollkommen unbegründet: Der Motor der Honda CBX schwellt nur optisch seine Brust. Nicht einmal 60 Zentimeter misst der Sechszylinder von links nach rechts - jeder zeitgenössische BMW-Boxer ist gut 15 Zentimeter breiter. Die letzten Meter in München, dann endlich die Schnellstraße. "Ein wachsamer Blick auf den Drehzahlmesser ist dringend angeraten", schrieb Tester Franz Josef Schermer in der Motor Klassik-Schwesterzeitschrift MOTORRAD (11/1978), als er die erste in Deutschland zugelassene Honda CBX fahren durfte. "Nur allzu schnell klettert die Nadel in den roten Bereich jenseits der 9.500/min." Keine Ahnung, wie oft ich damals diese Sätze gelesen habe. Und ich hätte alles dafür gegeben, nur einmal den Platz des Testers auf der Honda CBX einzunehmen. Von null bis Tempo 100 in 3,9 Sekunden. Noch imposanter der Sprint bis 160, den die Honda CBX in 7,9 Sekunden erledigt. Werte jenseits von Gut und Böse - und Suzuki, Kawasaki und Yamaha plötzlich in der zweiten Liga. Für Honda-Fans war die Welt wieder im Lot. Zumindest in dieser Disziplin. Also, jetzt, Hahn auf. Der A6 im Rückspiegel nervt ohnehin schon viel zu lange - und Tschüss. Dieses Triebwerk! Noch immer eine Wucht. Dreht turbinenartig hoch und reicht seine 105 PS butterweich via Fünfganggetriebe und Kette nach hinten durch. Altersmüdigkeit? Von wegen! Die Honda CBX will es genau so, fühlt sich zwischen 6000 und 9000 Touren am wohlsten. Fahrwerk hoffnungslos unterdimensioniert Fast wäre ich mit dreiviertel gesetzten Segeln an der Starnberger Ausfahrt vorbeigerauscht. Die erste wirkliche Kurve für heute, dazu eine leichte Bodenwelle - und die Honda CBX gebärdet sich plötzlich wie ein Boot in stürmischer See, schaukelt, schlingert und bockt gleichzeitig. Bloß runter mit dem Tempo und den Hobel behutsam wieder auf Kurs bringen. Das Fahrwerk der Honda CBX. Natürlich. Im Vergleich zur Motorleistung vollkommen unterdimensioniert. Eine Telegabel mit nur 35 Millimeter Durchmesser, eine in weichen Kunststoffbuchsen gelagerte Hinterradschwinge und Federbeine, die selbst im Neuzustand bestenfalls mäßig ihren Job verrichteten. Kurz - die totale Katastrophe. Sportlich orientierte Piloten waren entsetzt, und kein Test, in dem Honda nicht für diesen Umstand abgestraft wurde. Der Konzern reagiert prompt, ab 1981 verfügt die Honda CBX über eine stabilere Gabel, eine modernere, "Pro Link" getaufte Hinterradführung mit einem zentral angeordneten Federbein sowie über eine Verkleidung. Honda redet jetzt nur noch von einem Gt-Modell (Grand Turismo). Die Tage der Honda CBX sind bereits gezählt: Sportfahrer greifen zur CB 1100, die Tourenfraktion zur Gold Wing. Ende 1982 läuft bereits der letzte Sechszylinder vom Band. Schwamm drüber. Diesen Motor würde ich sogar in einem Kinderfahrrad akzeptieren. Selbst dort, wo die Strecke zwischen Starnberg und dem Kloster Andechs nur noch aus Biegungen besteht. Längst weiß ich, dass eine Honda CBX in Schräglage weder Gangwechsel noch größere Kurskorrekturen mag. Dass sie sich bisweilen störrisch verhält und nur mit viel Kraft dirigieren lässt. Dass die Telegabel zwar fein anspricht, beim scharfen Bremsen allerdings auch sofort durchschlägt. Doch trotz aller Macken - wir arrangieren uns, wachsen am Ende zu einem gut eingespielten Team zusammen. Mehr geht eigentlich nicht. Sportlichkeit um jeden Preis Für die Entwicklung des neuen Honda CBX-Triebwerks war kein Geringerer verantwortlich als Masaharu Tsubai - der Mann, der bereits in den Sechzigern die legendären Sechszylinder- Triebwerke der erfolgreichen GP-Motorräder konstruiert hatte. Für die Honda CBX schuf der Motoren-Guru schließlich ein leistungsstarkes und revolutionär anmutendes Triebwerk, das zugleich einfach und preiswert zu fertigen war. Die aus einen Stück gepresste Kurbelwelle treibt über eine Zahnkette die Auslassnockenwelle und im oberen Bereich über eine zweite Zahnkette die Einlassnockenwelle an. Eine weitere Zahnkette führt zu einer sich hinter dem Zylinderblock befindenden Zwischenwelle, die die Kraft über geradeverzahnte Zahnräder an die Kupplung überträgt. Um das um 33 Grad nach vorn geneigte Triebwerk möglichst kompakt zu halten, wurden die 230-Watt-Lichtmaschine sowie die kontaktlose Zündanlage hinter dem Zylinderblock platziert. Die Lichtmaschine ist nicht starr, sondern über eine Sinterscheiben-Trockenkupplung mit der Zwischenwelle verbunden, um Schäden am Rotor durch ruckartige Beschleunigung oder Verzögerung zu vermeiden. Die Fünfscheiben-Nasskupplung befindet sich rechts hinter dem polierten Gehäusedeckel. Sechszylinder im Motorrad-Rennsport Die Sechszylinder-Honda-Werksrennmotorräder dominieren 1966 und 1967 die 250er sowie die 350er-Klasse - "Mike the Bike" Hailwood kassiert auf Honda in diesen beiden Jahren vier seiner neun WM-Titel. Die von Masaharu Tsubai konstruierten Motoren der GP-Maschinen leisteten bis zu 60 PS und gestatteten Drehzahlen von bis zu 22.000 Umdrehungen/min. Die RC 116 sowie die RC 174 gehören zu den erfolgreichsten Rennmaschinen der Welt.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 04.08.2011
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