Bei der Rallye Großbritannien, dem letzten WM-Lauf der Saison, haben die aktuellen World Rally Cars mit Zweiliter-Turbomotoren ihren letzten Auftritt. 2011 werden sie von den 1,6-Liter-Boliden abgelöst. Vor der in Wales beheimateten Rallye steht Sébastien Loeb bereits als Weltmeister fest. Es ist ein Abschied für immer, ein Abgesang nach dreizehn langen Jahren. Die aktuellen World Rally Cars (WRC) verabschieden sich bei der Rallye Großbritannien, dem letzten WM-Lauf der Saison, in den Ruhestand. Ab der Saison 2011 werden sie von der neuen Generation abgelöst. Die wird zwar ebenfalls die Bezeichnung World Rally Cars tragen, doch wo bislang aufgeladene Zweiliter-Vierzylinder munter die Kolben rotieren ließen, sorgen fortan 1,6-Liter-Motoren mit Turboaufladung für Vortrieb. Downsizing hält nun auch im Motorsport Einzug. Hochspannung vor der letzten Rallye der Saison Doch bei der Rallye Großbritannien oder Rallye Wales, wie der letzte Lauf der Saison offiziell heißt, dürfen die Ford Focus WRC und Citroen C4 WRC noch einmal mächtig aufgeigen, sich und ihre zweiköpfige Besatzung mit Verve durch die britischen Wälder katapultieren und ihre rund 350 PS und bis zu 800 Nm noch ein letztes Mal in die Waagschale werfen. Die neuen WRC mit nur noch 1,6 Liter Hubraum dürften rund 20 Prozent weniger Leistung an alle Viere schicken. Obwohl mit Sébastien Loeb bereits der alte und neue Weltmeister feststeht, birgt die Rallye Großbritannien doch noch reichlich Spannung. Denn es geht um den Vizetitel der besten Drifter des Globus. Mit Sébastien Ogier (167 Punkte), Jari-Matti Latvala (156 Punkte) und Privatier Petter Solberg (151 Punkte) dürfen sich gleich drei Fahrer berechtigte Hoffnungen auf den Titel des Vizeweltmeisters machen. Petter Solberg kämpft um den Vizetitel Besonders für den Norweger Petter Solberg wäre dies die Krönung einer erfolgreichen Saison. Nach dem Ausstieg seines Arbeitgebers Subaru aus der Rallye-WM im Jahr 2009 stemmte Solberg seine Einsätze mit einem von ihm eiligst aus der Taufe gehobenen Privatteam selbst. In diesem Jahr drang er mit seinem Citroen C4 WRC ein ums andere Mal in die Phalanx der Werksfahrzeuge von Citroen und Ford ein und sicherte sich beim letzten WM-Lauf in Spanien sogar den zweiten Platz hinter Dauersieger Loeb. Dementsprechend hoch motiviert trat Petter Solberg denn auch die Reise in die Wälder rund um Wales an: "Ich freue mich auf diese Rallye. Und ich kann allen Fans versprechen: Es wird vom Start weg ein echter Thriller werden. Anfang des Jahres wollten wir in der Meisterschafts-Endabrechnung einen Podiumsplatz erreichen. Und die Tatsache, dass wir jetzt tatsächlich die Chance dazu haben, ist eine großartige Belohnung für die viele harte Arbeit, die wir während der Saison geleistet haben", so ein optimistischer "Mister Hollywood", wie er von seinen Fans genannt wird. Anfang der Woche absolvierten Solberg und sein Copilot Chris Patterson erfolgreich die letzten Testfahrten über eine Distanz von 160 Kilometern. "Ich bin mir sicher, dass wir jetzt alle nötigen Daten gesammelt haben, um auf den Prüfungen den bestmöglichen Grip zu haben", so Solberg. Heiße Drifts auf kühlem Schotter Die Rallye Großbritannien findet mit Ausnahme des Shakedowns am Donnerstag und einer Zuschauerprüfung auf Schotter statt. In den Wäldern rund um das Rallyezentrum in der walisischen Hauptstadt Cardiff erwartet die 15 eingeschriebenen World Rally Cars eine echte Herausforderung. Denn Mitte November präsentiert sich das Wetter auf der Insel traditionell eher von der nass-kalten Seite, wobei sich gerne auch dichte Nebelschwaden über die Wertungsprüfungen legen. Auch Schneefälle sind keine Seltenheit. Daher ist der korrekte Aufschrieb hier von ebenso großer Bedeutung wie das optimale Setup, um auf den rutschigen Pisten den bestmöglichen Grip zu vorzufinden. Die Rallye-Elite jagt am kommenden Wochenende (11.-14.11.) über insgesamt 359,44 gezeitete Kilometer auf 20 Wertungsprüfungen, welche größtenteils mit denen aus den Vorjahren identisch sind. Neu hinzu kam in diesem Jahr die 15,1 Kilometer lange und ultraschnelle WP Radnor Forest, die letztmalig 1999 gefahren wurde. Zudem musste der Shakedown in den Hafen von Cardiff verlegt werden, da die Bäume entlang der ursprünglichen Strecke im malerisch gelegenen Margam Park an einer seltenen Krankheit leiden. Die Angst der Organisatoren vor einer Verbreitung des gefährlichen Bazillus durch den Rallyetross war zu groß. Ken Block bei Vortests mit schwerem Unfall Gänzlich frei von Angst ist Ken Block, wenn er hinter dem Steuer seines Ford Focus WRC zu Gange ist. Doch bei den Vortests zur Rallye Großbritannien dürfte dem US-Amerikaner der Schreck durch alle Glieder gefahren sein. Vor einer engen Rechtskurve geriet sein Focus WRC auf Aquaplaning, schwamm auf und landete zuerst in einem Graben und anschließend an einem Baum. Da letzterer nicht vom besagten tödlichen Baumvirus befallen war, sondern noch voll im Saft stand, verformte sich der Überrollkäfig derart nachhaltig, dass Block bei der Rallye am Wochenende mit einem Ersatzfahrzeug an den Start gehen muss. Immerhin blieben Fahrer und Copilot bei dem Unfall unverletzt. Bei Ford will man alles daran setzen, den Ford Focus WRC mit einem Sieg in den Ruhestand zu schicken. Zwei Herstellertitel und 44 Gesamtsiege gehen auf das Konto des Focus WRC. Im kommenden Jahr wird er vom neuen Ford Fiesta WRC abgelöst. Doch zuvor soll er Jari-Matti Latvala noch einmal zum Vizetitel verhelfen. Der 25-jährige Finne liegt vor dem 13. und letzten WM-Lauf elf Punkte hinter Sébastien Ogier und deren fünf vor Petter Solberg. "Vor der Saison habe ich mir das Ziel gesteckt, am Ende unter den Top-Drei zu landen. Um den Vizetitel einzufahren, brauche ich ein starkes Ergebnis in Wales. Ich habe meine Karriere in Großbritannien begonnen und hier meinen ersten Sieg geholt, daher ist die Rallye Großbritannien meine zweite Heimrallye", so Latvala. Für Teamkollege Mikko Hirvonen geht es in der Meisterschaft um nichts mehr. Dennoch will der 30-jährige Finne bei seinem achten Start in den walisischen Wäldern den Focus mit Würden in den Ruhestand schicken: "Die Karriere des Autos mit einem weiteren Sieg zu krönen und damit den letzten Sieg mit einem der aktuelle WRC einzufahren wäre fantastisch. Das Problem ist, dass alle Fahrer so denken." Loeb will Sieg Nummer 62 Recht hat er. Denn aus dem Citroen-Lager tönt derweil französische Angriffsmusik. Wer ernsthaft glaubte, dass Sébastien Loeb nach dem Gewinn seines siebten Weltmeistertitels und insgesamt 61 WM-Siegen in Wales mit angezogener Handbremse durch die Wälder rollen würde, den belehrt der Großmeister eines Besseren: "Wenn wir bei einer Rallye starten, dann mit dem Ziel, sie zu gewinnen. Die Bedingungen kommen mit entgegen und es gibt keinen Grund, warum ich hier nicht meinen dritten Sieg bei der Rallye Wales einfahren sollte". Ein weiterer Franzose fährt bei der Rallye Großbritannien im Citroen-Werksteam mit dem Messer zwischen den Zähnen. Sébastien Ogier kämpft bei seinem dritten Auftritt im Werkscockpit um den Vizetitel. "Vor der Saison haben wir nicht damit gerechnet, dass wir am Ende um den zweiten Platz kämpfen würden. Aber jetzt trete ich bei der Rallye Großbritannien nicht mit dem Ziel an, mit Platz drei die nötigen 15 Punkte einzuheimsen. Ich will den Vizetitel und daher werde ich alles für die bestmögliche Platzierung geben", so ein kämpferischer Ogier. Die Messer sind also gewetzt, die Rallye Großbritannien verspricht Hochspannung pur. Und wenn dann am Sonntag das letzte Fahrzeug über die Zielrampe in Cardiff rollt, dann wird er von fern zu hören sein - der Abgesang, das Abschiedslied. Adieu, WRC. Bis zum nächsten Jahr!
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 12.11.2010
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