Es ist die größte Truppenverlegung, die die Formel 1 erlebt hat. Innerhalb von sieben Tagen finden zwei Grand Prix in einer Entfernung von 12.500 Kilometer statt. Am Beispiel Williams zeigen wir, was notwendig ist, um Mensch und Material von Sao Paulo nach Abu Dhabi zu bringen. Die Aktion erinnert an Krieg. Der Formel 1-Zirkus zieht von Sao Paulo nach Abu Dhabi um. Dazwischen liegen 14 Flugstunden oder 12.500 Kilometer. Das Problem dabei: Zwischen den beiden Grand Prix sind nur sieben Tage Zeit. Für die Truppenverlegung ist der Zeitplan noch enger gestrickt. Am Donnerstagvormittag muss in Abu Dhabi alles wieder aufgebaut sein, was am Sonntagabend in Sao Paulo in aller Eile zusammengepackt wurde. Von neun auf sechs Stunden Williams-Teammanager Dickie Stanford erklärt, was in den 88 Stunden zwischen Rennende in Brasilien und Donnerstagmorgen in Abu Dhabi passiert. Mit der Zielflagge in Interlagos begann für die Ingenieure, Mechaniker und Caterer ein Wettlauf mit der Zeit. Eine Arbeit, die normalerweise neun Stunden dauert, musste in sechs geschafft werden. Um 22:00 Uhr Ortszeit Brasilien, also rund sechseinhalb Stunden nach dem Zieleinlauf, musste sämtliches Material verpackt sein. Also zwei Chassis, vier Motoren, mindestens 30 Tonnen Ersatzteile und die gesamte Boxeneinrichtung. Vor dem Einpacken kommt bei einem Formel 1-Team die Zerlegung der Rennautos. "Zuerst wird Benzin abgesaugt. Tank und Leitungen müssen für den Flug leer sein. Dann werden sämtliche Metallteile der Aufhängungen ausgebaut und mittels UV-Bestrahlung auf Risse gecheckt. Sollte es ein Problem geben, müssen wir das sofort wissen, damit in der Fabrik reagiert werden kann. Das gleiche gilt für die Innereien des Getriebes, also Gangräder oder Schaltklauen." Kritische Teile im Handgepäck "Fehlerhafte Teile gehen als Handgepäck nach England zurück. Neun Ingenieure und drei Mechaniker fliegen noch Sonntagnacht über den Umweg England nach Abu Dhabi, geben alte Komponenten ab und nehmen neue nach Abu Dhabi mit. Sie haben auch alle Karbonteile der Aufhängungen dabei. Die Kohlefaserkomponenten können nur in der Fabrik auf Schäden untersucht werden. Wir haben die dafür notwendigen Werkzeuge nicht dabei. Für den Fall, dass es einen großen Unfall gegeben hätte, wäre am Montag eine Nachhut mit Teilen nach London geflogen." In einem dritten Schritt werden die Rennmotoren ausgebaut und von FIA-Inspektoren verplombt. "Das dauert pro Team fünf Minuten", erklärt Chefkommissar Jo Bauer. Das Team hängt dann die Freitagsmotoren in das Heck der Williams FW32. Parallel dazu werden sämtliche Renndaten heruntergeladen, die Kühler getauscht, alles, was mit Elektronik zu tun hat ausgebaut. Verkleidungsteile werden wie die Unterböden, die Hydraulik und die Räder extra verpackt. Frist für Fracht um 22 Uhr Das Cargo-Unternehmen der FOM (Formula One Management) verlangte von den Teams, dass sämtlich Transportkisten ab 22:00 Uhr im Fahrerlager von Interlagos bereitstehen mussten. Dann wurde die Fracht in 200 Lastwagen an den Flughafen von Sao Paulo gekarrt, wo fünf Fracht-Jumbos warteten. Um fünf Uhr morgens am Montag hob die Flotte Richtung Arabische Emirate ab. Die Williams-Truppe hetzte zum Hotel, kurz Duschen, packen, und dann um 00:30 Uhr Abfahrt zum Flughafen. Der Flug von Sao Paulo nach Doha um 04:20 Uhr morgens mit Qatar Airways brachte 32 Williams-Mitarbeiter zunächst nach Katar, wo die gesamte Reisetruppe in einem Hotel eincheckte, um den Mitarbeitern nach 14 Stunden Flug eine Nacht in einem richtigen Bett zu gönnen. Geflogen wird natürlich Economy. Nur die Fahrer und Ingenieure dürfen in den besseren Klassen reisen. Sechs Stunden zum Auspacken Am Dienstagvormittag machte der Williams-Stoßtrupp den kurzen Hüpfer nach Abu Dhabi. "Arbeitsbeginn wird am Nachmittag sein, wenn sämtliches Material im Fahrerlager der Strecke angekommen ist. Wir haben für das Auspacken eine Sechsstunden-Schicht eingeplant. Die Autos werden dabei noch nicht angerührt. Zuerst muss die Boxengarage fertig eingerichtet sein", erzählt Stanford. Der Mittwoch wird ein langer Arbeitstag. Dann muss das Puzzle aus Hunderten von Einzelteilen wieder zusammengesetzt werden. Dauer: neun Stunden. In der Zwischenzeit sind auch die in der Fabrik getauschten und gecheckten Teile in Abu Dhabi eingetroffen. Die England-Division hat sie im Handgepäck dabei. Der für den Transport eingebaute Freitagsmotor kommt wieder raus, der für Abu Dhabi vorgesehene Rennmotor wird zu ausführlichen Checks eingebaut für die in Sao Paulo die Zeit fehlte. Vor dem Freitagstraining wechseln die Mechaniker wieder auf den Freitagsmotor zurück. Gleiches gilt für das Getriebe. Größte Aktion in F1-Geschichte Am Donnerstag werden die beiden Williams FW32 in der Garage stehen, als wäre nichts geschehen. Nur die Menschen sind in den drei Tagen um einiges älter geworden. Dickie Stanford ist schon ewig bei Williams. Der frühere Mechaniker hat viel erlebt, doch der Transport quer über den halben Globus in nur 88 Stunden schlägt alles bisher Dagewesene. "Das war die gößte Aktion, die ich je mitgemacht habe."
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 12.11.2010
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