Der Alpina B6 3.5 S ist der sportlichste E30-M3. Eigentlich war der BMW M3 von Haus aus ordentlich motorisiert, doch Alpina legte noch einiges drauf: mehr Zylinder, mehr PS und mehr Hubraum. Mit seinen ultralässigen 254 PS macht der B6 3.5 S von 1989 richtig Laune. Als BMW 1985 den M3 präsentierte, konnte man meinen, dass die zahlreichen BMW-Tuner jetzt ihre Rolltore schließen müssten. "Hochleistungsversion auf Basis der 3er-Reihe", charakterisierte der Katalog der Automobilrevue das kantige Gefährt mit den auffallenden Spoileranbauten. Satte 200 PS (ohne Kat) bei nur 1.200 Kilogramm Gewicht ermöglichten den Sprint von null auf 100 km/h in sieben Sekunden und eine Spitze von 230 km/h. Was soll man da noch tunen? Der BMW M3 war ein Kind des Motorsports. Um mit einem seriennahen Tourenwagen der Gruppe A an der Spitze mitmischen zu können - weltweit und in der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft - schuf die BMW M GmbH diesen Klassiker. Kernstück des M3-Pakets war neben dem Sportfahrwerk mit verbreiterter Karosserie ein Vierventil-Vierzylinder mit 2,3 Liter Hubraum. Entgegen der damaligen BMW-Tradition kein Reihen-Sechszylinder, sondern nur ein Vierer wie im ehrwürdigen 2002 tii, aber mit mehr Hubraum. Das war für den Rennalltag in Ordnung, denn so sparte man zwei Zylinder und reduzierte damit das Gewicht und den Eigenwiderstand der Maschine, die jedoch etwas rau und ruppig lief. Muscle-Cars aus dem Allgäu Für BMW-Enthusiasten, die kräftige und kultivierte Reihensechser schätzten, blieb daher nur eine Hoffnung: Alpina, übernehmen sie! Alpina-Chef Burkard Bovensiepen in Buchloe ließ sich nicht zweimal bitten und präsentierte im Herbst 1987 den Alpina B6 3.5 S. Die Bayern griffen hierbei auf ein altes Rezept aus den USA zurück - es heißt Muscle Car - und verpflanzten einfach den auf 254 PS getunten 3,5-Liter-Motor aus den größeren BMW-Modellen in den M3. Damit hatten die seit 1983 offiziell als Automobil- Hersteller anerkannten Edelschrauber schon eine gewisse Erfahrung: Auch den E30-Dreiern 323i und 325i presste man bereits ab 1985 den großen Sechszylinder unter die Motorhaube und entließ sie auf herrlich schmalem 205/50er-Reifen in die Freiheit, wo noch kein ESP den Gummiqualm im Keim erstickte. Das waren die BMW Alpina B6 3.5 ohne "S". Und da steht er nun, der Sechszylinder-M3 made by Alpina, und sieht eigentlich ziemlich seriennah aus. Würden ihn nicht die 4.000 Mark teure Sonderlackierung in Alpina-Blau, die typischen seitlichen Streifen und Alu-Felgen sowie die Typenbezeichnungen an Bug und Heck verraten, würde der Alpina B6 3.5 S auch als normaler, leicht tiefer gelegter M3 durchgehen. Luxuriöser Innenraum im supersportlichen Kleinwagen Innen dagegen schwelgt der Alpina B6 3.5 S in teuren Alpina-Komfortzutaten wie Lederausstattung, Sportsitze, Bordcomputer und Tempomat. Das Alpina-Wappen mit Doppelvergaser und Kurbelwelle prangt auf dem Sport-Lenkrad und auf dem Schaltknauf aus edlem Holz. Ganz erstaunlich, wie viel Platz der Kleinwagen bietet. Jawohl, Kleinwagen, denn der aktuelle VW Polo ist mit 1,68 Meter genauso breit wie der Alpina B6 3.5 S mit seinen ausgestellten Kotflügeln. Schlanke Dachpfosten, die niedrige Gürtellinie und eine kaum mehr als zehn Zentimeter dicke Fahrertür lassen genügend Licht und Luft an den Fahrer: Alles so schön hell hier, man fühlt sich fast wie im Raffaelo-Werbespot. Turbinenmotor mit mächtig Druck Der Sechszylinder des Alpina B6 3.5 S schüttelt leicht im Leerlauf, grummelt aber gleichmäßig und zufrieden aus dem Auspuff. Dann der erste Tritt auf die Kupplung. Mann, geht die schwer. Und wo ist denn der erste Gang des originalen M3-Fünfganggetriebes? Er liegt links hinten außerhalb des H-Schemas, weil man den ersten Gang auf der Rennstrecke nur zum Anfahren beim Start und aus der Boxengasse braucht. Johnny Cecotto, Roberto Ravaglia und Steve Soper lassen schön grüssen, erleben wir jetzt ein DTM-Revival? Unterwegs zeigt sich der Alpina B6 3.5 S jedoch so zivil und smart wie ein Sechser-Coupé. Dank des enormen Drucks aus niederen Drehzahlen fährt man die ersten flotten Landstraßen-Kilometer nur nach dem gut gedämpften Motorklang und wechselt beim Beschleunigen die Gänge nach Gefühl. Ein gutes Gefühl übrigens, auch schon wegen des schönen Alpina-Schaltknaufs aus Edelholz. Dann das Staunen beim ersten Blick auf den Drehzahlmesser: Mehr als 3.000/min sind eigentlich nicht notwendig. Der Alpina B6 3.5 S hat also Wanderstiefel an und keine Sprinterschuhe. Seine Hinterachse ist für einen Sportler mit 2,79 (M3 Serie: 3,25) fast schon phlegmatisch lang übersetzt. Immerhin zählt der blaue Bomber dadurch noch heute zu den wirklich Schnellen auf der Autobahn: "Tacho 270 sind im B6 S kein Problem", weiß sein Besitzer Marco Kögel aus Erfahrung, der den Langstrecken-Komfort seines Alpina B6 3.5 S auch bei moderaterem Tempo zu schätzen weiß. Tachoskala und Topspeed enden bei 270 km/h Insgesamt wirkt die gelungene Fahrwerksabstimmung des Alpina B6 3.5 S sogar etwas weicher als die des aktuellen Einser-BMW. Doch wie steht es mit den Sprinter-Qualitäten? Nicht schlecht: Wer den Motor bis 6.000/min ausdreht, der erlebt ab Tempo 140 so etwas wie die Zündung einer zweiten Raketenstufe: Der Alpina B6 3.5 S durcheilt nach weniger als sieben Sekunden die 100-km/h-Marke und stürmt - untermalt von seinem zornigen Sechszylinder-Knurren - ermüdungsfrei der 200-km/h-Marke entgegen. Die Tacho-Skala und der Topspeed enden gemeinsam bei abgelesenen 270 km/h. Messdaten aus der sport auto-Ausgabe 2/1989 bestätigen die hervorragenden Fahrleistungen des Alpina. Zentimetergenaues Kurvenzirkeln Damals musste der Alpina B6 3.5 S sogar gegen den auf 220 PS erstarkten BMW M3 Evolution antreten. Trotzdem behielt der Sechszylinder-M3 seine Nase vorn. Bei der Beschleunigung von null auf 100 km/h nahm der Alpina B6 3.5 S mit 6,6 Sekunden dem M3 zunächst nur 0,6 Sekunden ab. Von null auf 200 km/h waren es aber deutliche 5,5 Sekunden: 28,3 für den B6 und 33,8 für den M3. Auch in der Höchstgeschwindigkeit distanzierte der Alpina B6 3.5 S seinen M3-Konkurrenten mit 255 km/h um 11 Stundenkilometer. Die Sechszylinder- und Hubraum-Übermacht des B6 3.5 S gegenüber dem M3 zeigt sich ebenso im Vergleich der Motordaten: 320 Newtonmeter bei 4.000/min anstatt 245 bei 4.750/min. Außerdem erzielt der Alpina seine Höchstleistung bei bescheidenen 5.900/min anstatt den 6.750/min des M3. Damit verbindet der kompakte Sechszylinder von Alpina das Beste aus zwei BMW-Modell-Welten - den von 211 auf 254 PS erstarkten 3,5-Liter-Sechszylinder in der kompakten, handlichen und ultra-übersichtlichen Dreier-Karosserie. So lässt es sich auf der Autobahn genussvoll, souverän und ausgeruht von Hamburg nach Andermatt reisen, um dann den St. Gotthard-Pass in Angriff zu nehmen. Hier zirkelt der Alpina-Fahrer in seinem grosszügig verglasten Dreier zentimetergenau durch Kehren und über Brücken, erlebt hautnah die Landschaft im mobilen 360-Grad-Kino und genießt die souveräne Kraft seines Sechszylinders. Trotz des Mehrgewichts von etwa einem Zentner auf der Vorderachse zieht der Alpina B6 3.5 S neutral und souverän seine Bahn. Auch in schnell gefahrenen, engen Kurven stellt sich nur minimales Untersteuern ein, das mit dem Gasfuß und dem rechtzeitig eingelegten ersten Gang problemlos neutralisiert werden kann. Verkürzte Federn und speziell abgestimmte Bilstein-Stoßdämpfer machen den Sechszylinder-M3 mindestens so wendig wie das Original. E30-Alpina B6 sind begehrte Sammlerobjekte So kann man dem Alpina B6 3.5 S-Besitzer zu seinem gut erhaltenen Supertourenwagen nur gratulieren. Marco Kögel, der bereits 2004 den Wagen erstanden hat, ist oft mit seinem Alpina-Freund Yannick aus Aix-en-Provence unterwegs, der den identischen Wagen besitzt. Gemeinsame Auftritte der Alpina-blauen B6 - zum Beispiel als Besucher von Le Mans Classic - stoppen oft interessierte Fans, welche die Wagen umringen und nach Details fragen. "Als ich nach dem Rennen in Le Mans an mein Auto zurückkam", berichtet Marco, "klemmten die Adressen mehrere Kaufinteressenten unter den Scheibenwischer." Doch der B6 ist unverkäuflich und Bestandteil einer kleinen Alpina-Sammlung, deren Erstkäufe mehr als 20 Jahre zurückliegen. Inzwischen ist auch dieser BMW Alpina von 1989 wie guter Wein zu einer begehrten Rarität gereift, von der man sich nur ungern trennt. Die Alpina-Story Die Anfänge des BMW-Veredlers mit Hersteller-Status (seit 1983) reichen bis in das Jahr 1961 zurück, als Burkard Bovensiepen eine Weber-Doppelvergaseranlage für den BMW 1500 entwickelte. Dank der positiven Resonanz von Fahrern und Presse erfolgte 1965 die Gründung der Alpina Burkhard Bovensiepen KG. Erfolgreiche Einsätze von 1968 bis 1977 im internationalen Tourenwagen-Rennsport mit Fahrern wie Niki Lauda und Hans-Joachim Stuck und später in der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft machten die Marke schnell bekannt. Alpina profilierte sich auch als Entwickler für BMW, vor allem in den Bereichen Elektronik und Turbo-Aufladung.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 12.12.2011
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