Mannheim – Bus fahren ist wie Bagger oder Trecker fahren: Ein Traum kleiner Jungs. Und manchmal bleibt er auch im Mannesalter. Einmal King of the city sein, mit dem längsten Auto durch die Stadt. Das Zischen der Druckluftbremse und das Heulen des Retarders hören, die Türen per Knopfdruck öffnen und schließen. Und am großen Lenkrad durch Kurven manövrieren. Lässig und majestätisch.
Busfahrer, das waren die Helden der Kindheit. Harte Männer, die mit Kraft und Feingefühl über den langen Schaltknüppel die Gänge wechselten, denen der laute und schwache Dieselmotor nichts ausmachte und die auf Komfort verzichteten.
Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Chauffeure der Stadtwerke federn heute auf pneumatischen Sitzen hinter einem ergonomisch verstellbaren Armaturenbrett und schauen auf digitale Anzeigen für Geschwindigkeit, Drehzahl und Türkontrolle. Die Gänge wechseln automatisch, einige Assistenzsysteme helfen im Stadtgewusel. Auch im Maxi-Bus Mercedes Citaro G. Das G steht für Gelenkbus. So einen dürfen wir fahren.
... bis die erste Kurve kommt
Je nach Ausstattung kann so ein Bus bis zu 350.000 Euro kosten Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Aber erstmal: Haltestelle. Natürlich nur so tun als ob, Passagiere befördern dürfen wir nicht. Der Boden senkt sich leicht zum Fahrgast hin, leise zischend öffnet die Tür. Passagiere könnten jetzt einsteigen, die Fahrkarte lösen und einen Platz suchen. Einen von 144, wobei nur 36 Glückliche einen Sitzplatz finden. Mit einem Knopfdruck schließt sich die Tür. Ein Blick in den Außenspiegel, Blinker setzen und Fuß aufs Gaspedal. Langsam rollt der Bus los, 17 Tonnen Leergewicht und ein zulässiges Gesamtgewicht von 29 Tonnen.
Bus fahren ist so einfach wie Lkw fahren – bis die erste Kurve naht. Dann kommt leichte Panik auf. 18 Meter Fahrzeuglänge lassen sich nicht so einfach um eine Kurve bewegen. Es fühlt sich an, als ob man eine kleine Turnhalle hinter sich her zieht. Bus fahren verlangt von Autofahrern ein Umdenken.
Beim Pkw sitzt der Fahrer hinter der Vorderachse, beim Lkw genau darüber. Als Busfahrer hocke ich nun noch weiter vorne, deutlich vor der Vordachse. Deshalb lenke ich in einer Kurve sehr spät ein, in eine Kreuzung biege ich später ab. Und noch etwas ist anders: Statt ein paar Mal, schaue ich permanent in den Rückspiegel. Der tote Winkel ist riesig, zwei Meter neben und einen halben Meter hinter dem Fahrersitz sieht man nichts.
2,55 Meter misst der Bus in der Breite – ohne Außenspiegel. Mit dem rund 70 Zentimeter ausschwenkenden Heck könnte ich parkende Autos wie Kegel abräumen. Da hilft nur permanente Kontrolle: Der Blick wandert öfter in die Außenspiegel als nach vorne. Der Abstand zu den Seiten ist nicht nur wichtig – er ist das Wichtigste.
Rückwärtsfahren? Nur im Notfall
Die Verbrauchswerte liegen beim Mercedes Citaro G zwischen 25 und 75 Liter auf 100 Kilometer Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Zum Glück fahren Verkehrsbusse in der Stadt nur vorwärts. Die Strecken sind so ausgelegt, dass die Busse locker durchkommen. Normalerweise. Ausnahme: Fahrzeuge versperren den Weg, oder ein Unfall erzwingt eine andere Route. Dann wird es eng. Laut Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ist Rückwärtsfahren zwar erlaubt, unter größtmöglicher Sorgfaltspflicht. „Viele Unternehmen raten ihren Fahrern aber davon ab, einige verbieten ihnen es sogar“, sagt Goerdt Gatermann, Teamleiter beim Mercedes-Busfahrertraining.
Denn das Rangieren mit dem Gespann ist nicht ganz einfach: Einmal in die eine Richtung gelenkt und das Heck knickt in die andere ein. Ein paar Versuche benötige ich, um das Zugfahrzeug richtig zu lenken. Die Hände schwitzen, obwohl kein Passagier an Bord ist und die Fahrt auf einer abgesperrten Teststrecke stattfindet.
Ob das Ungetüm Krach macht? Vom Bock aus ist das schwer zu beurteilen. Fahrer und Motor trennen viele Meter. Entweder es sitzt ein 12-Liter-Sechszylinder-Diesel oder wie hier ein 7,7-Liter-Gasmotor im Heck - und ist deshalb vorne kaum zu hören. Er brummt gedämpft tief vor sich hin. Lediglich über eine Kontrollanzeige weiß ich, dass 301 PS im Heck arbeiten.
25 bis 75 Liter Verbrauch
Gemächlich schieben die 1.200 Newtonmeter Drehmoment des Motors mit der Kennung M 936 G den Bus an. Selbst beim plötzlichen, beherzten Tritt aufs Gaspedal schleicht der 17-Tonner weiter entspannt vorwärts und fährt maximal 90 km/h. Die vier Gänge des Voith-Retarder-Getriebes schalten kurz durch, fast ohne zu rucken. „Der Antrieb ist auf größtmöglichen Komfort für die Fahrgäste ausgelegt“, sagt Gatermann. Der Retarder pfeift beim Bremsen leicht, das Zischen der Druckluftbremsen fehlt. Im Linienbetrieb verbraucht der große Diesel zwischen 25 und 75 Liter auf 100 Kilometer, je nach Witterung und Streckenprofil.
144 Plätze bietet der Mercedes Citaro G insgesamt, 36 davon Sitzplätze Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de
Im Grunde handelt es sich bei einem Gelenkbus um ein Zugfahrzeug mit Einachser-Hänger. Nur, dass die Antriebsachse hinten sitzt. Eigentlich stammt der ganze hintere Teil vom kurzen Solobus. Das spart Kosten. Der Schubgelenk-Bus benötigt eine Knickwinkelsteuerung, damit er nicht den Vorderwagen bei der Beschleunigung in eine Richtung drückt. Nur mit Hilfe dieser Steuerung lässt sich der Bus überhaupt fahren.
Zwei Hydraulikzylinder halten das Fahrzeug in der Spur, gleichen Nicken bis zehn Grad und Knicken bis 54 Grad aus. Selbst eine Torsion von drei Prozent hält das Gelenk aus. Bei starkem Knickwinkel im Gelenk sperrt die Elektronik den Motor, der Fahrer bekommt den Bus nur mit einem Rangiermanöver wieder flott. Das Schubgelenk wird einmalig bei 30.000 Kilometer nachgezogen. Während der zwölf Meter lange Solobus mit einem Wendekreis von 21,21 Meter auskommt, benötigt der sechs Meter längere Gelenkbus nicht viel mehr: 22,97 Meter. Zum Vergleich: Ein VW Golf schafft das in elf Metern, fasst aber auch nur fünf Personen.
Was kostet ein Bus?
Personenbeförderung ist nicht ganz billig. Ein neuer Stadtbus wie der Citaro kostet mindestens 180.000 Euro, der Gelenkbus mindestens 280.000 Euro. Je nach Ausstattung können es auch zwischen 300.000 bis 350.000 Euro sein. Der Preis scheint sich zu amortisieren: Acht bis zehn Jahre fahren die Busse in Deutschland, dann werden sie verkauft.
Von den 78.245 angemeldeten Bussen mit mehr als neun Sitzplätzen rollten nach Angaben des Verbandes der Verkehrsunternehmen VDV 2015 rund 36.600 Linienbusse auf deutschen Straßen, davon etwa 7.200 Gelenkomnibusse. Die meisten davon stammen von der Mercedes-Tochter Evobus aus Mannheim, wie dieser Citaro G. Gelenkbusse haben bei Mercedes eine lange Tradition: Den ersten langen Bus stellte Mercedes 1977 mit dem O305 vor. Den aus der Kindheit, mit den langen Schaltknüppel und den coolen Busfahrern.