Köln - „Der neue große Audi 100. Unser schönstes Stück Technik.“ So stolz beschrieb Audi die zweite Generation des Flaggschiffs. Im August 1976 zeigten die Ingolstädter die viertürige Limousine, später eine Limousine mit zwei Türen und einen Fünftürer mit dem Namen Avant. Viel wichtiger als die Karosserieformen war jedoch ein neues Motorkonzept.
Im neuen Audi 100 starteten die ersten Großserien-Fünfzylinder, als Benziner und Selbstzünder. Die Idee dazu stammte von Ferdinand Piëch. Der war seit 1975 Audi-Technikvorstand. Zuvor hatte er mit seinem eigenen Konstruktionsbüro für den Mercedes 240 D 3.0 einen ersten Fünfzylinder-Diesel entwickelt. Nun sollten die Fünfzylinder im Audi 100 mit den Sechszylindern von Opel und Ford konkurrieren – und es mit jenen von Mercedes und BMW aufnehmen.
Audi 100: Wankel-Versuche und Fünfzylinder
Der Fünfzylinder folgte etwas später: Audi 100 GL 5E von 1977 Quelle: Audi
„Vorsprung durch Technik“, fand Audi. Ein Werbespruch aus Wankel-Zeiten. Nicht zufällig, denn Audi hatte für den 100 ursprünglich Kreiskolbenmotoren vorgesehen. Bis 1979 testen die Bayern einen 180-PS-Wankel im Audi 100, ehe das endgültige Aus kam. Stattdessen präsentierte Ingolstadt den Fünfzylinder in der Topversion Audi 200, als Turbo mit 170 PS. Ein 200-km/h-Jäger für die linke Spur, der das Image der ganzen Baureihe aufwertete.
Von Vergleichen mit Mercedes wollte Audi bei der Präsentation der neuen Modelle noch nichts wissen. Vielleicht, weil im ersten Audi 100 (intern: F 104) noch ein Vierzylinder arbeitete, der einst bei Daimler-Benz entwickelt worden war. Die F 104-Reihe erinnerten sogar im Design an den Mercedes 200 der „Strichacht“-Serie.
Vielleicht aber auch, weil der neue Audi 100 in Zeiten der Not geboren wurde. Der VW-Konzern musste sich komplett neu erfinden. Die VW-Heckmotormodelle waren Anfang der 1970er Jahre überholt. VW Golf, Audi 50 und der Audi 80 (nebst den VW-Ableitungen Polo und Passat) mussten es nun richten. Die Kassen waren klamm und die Zeit war knapp.
Mehr als 2,0 Liter Hubraum, aber keine Sechszylinder
Audi 100 Erprobungsfahrzeug mit Zweischeiben-Wankelmotor 1977 Quelle: Audi
Dies führte dazu, dass die zweite Generation des Audi 100 innerhalb von zwei Jahren nach Erstellung des endgültigen Lastenhefts finalisiert wurde. Der Fünfzylinder-Ottomotor wurde von der Fachwelt als Musterbeispiel für eine effiziente Gleichteilestrategie betrachtet. Der 2,1-Liter-Benziner basierte auf dem 1,6-Liter-Vierzylinder aus Audi 80 und VW Golf. Er wurde um eine fünfte Zylindereinheit erweitert. Entsprechend stimmen Zylinderbohrung und Zylinderabstände überein.
Nur der Kolben-Hub des Fünfzylinders wuchs, was zum prestigeträchtigeren Hubraumvolumen oberhalb der 2,0 Liter-Klasse führte. Zu Beginn leistete der Motor als „5E“-Einspritzer 136 PS. Ein großer Sprung vom Basis-Vierzylinder mit 85 PS.
Neben den Kosteneinsparungen gab es einen weiteren Vorteil: Die Ingenieure mussten das Chassis nicht für Reihen-Sechszylinder umbauen. Dafür wären eine geänderte Vorderachse und eine Getriebemodifikation notwendig gewesen. Stattdessen galt es, beim Fünfzylinder vergleichsweise kleine Schwierigkeiten zu meistern: zum Beispiel die Resonanzen zweiter Ordnung und Drehschwingungen der Kurbelwelle. Dagegen halfen Gegengewichte und Schwingungsdämpfer. Was blieb, war ein kräftiger Motorsound. Berühmt wurde der Klang spätestens 1980 mit der Einführung des Audi Quattro.
1.100 Kilogramm Leergewicht und gute Verbrauchswerte
Audi 100 GLS Avant aus dem Jahr 1978 Quelle: Audi
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Baureihe vom Typ 43 bereits fast alle Erwartungen erfüllt. In Vergleichstests bezwangen die Viertürer kostspieligere Sechszylinderkonkurrenten. Dank früher Leichtbautechnik wogen die Limousinen nur gut 1.100 Kilogramm. Das machte sie erstaunlich schnell und sparsam. Besonders als erster Audi mit Dieselmotor: Der Audi 100 5D debütierte im Herbst 1978 und glänzte mit einem Normverbrauch von 6,0 Liter bei 90 km/h – mehr als 20 Prozent weniger als der langsamere Mercedes 240 D.
Knausern konnte aber nicht nur der Selbstzünder. Der Vierzylinder-Basis-Benziner war zum Ende seiner Karriere noch für eine Sensation gut. Audi spendierte ihm ein Formel-E-Paket, bestehend aus einer Start-Stopp-Anlage (SSA) und einer Schaltanzeige. Laut Norm begnügte sich der 85 PS starke Audi 100 mit 6,1 Litern bei 90 km/h – bis zu einem Drittel weniger als vergleichbare Konkurrenten wie der Ford Granada. Was nichts daran änderte, dass zu wenige Audi-100-Käufer die Option „Formel E“ orderten und das Sparprogramm deshalb wieder entfiel.
Avant mit kleinem Kofferraum, Oberklasse in Reichweite
Audi 100 GL 5E Modelljahr 1980: Facelift mit weißen Blinkleuchten Quelle: Audi
Unerfüllt blieben die Erwartungen der Audi-Absatzstrategen auch beim fünftürigen Audi 100 Avant. Kein klassischer Kombi, den gab es nur als Prototyp. Die Serienversion bekam ein Fließheck. Ganz im Stil der kurz zuvor eingeführten Fastbackmodelle Rover 3500 SD1 und Renault 20/30. Nur knapp 50.000 Kunden entschieden sich in fünf Jahren für den ersten Lifestylelaster. Besonders praktisch war er mit maximal 1.113 Litern Kofferraumvolumen nicht, zumal nur 433 Liter Gepäck hinter die Rücksitzbank passten.
Zu wenig im Vergleich mit der Stufenhecklimousine, die mit 642 Liter damals einen Klassenbestwert setzte. Ein Volumen, mit dem der 1979 der Audi 200 mit gleicher Karosserie sogar die Mercedes S-Klasse übertraf. Zugegeben: Ein echter Gegner war die S-Klasse nicht. Trotzdem konnte der Audi 200 5T mit dem ersten Turbo-Benziner aus Ingolstadt Mercedes 280 S und BMW 728i von der Überholspur verscheuchen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 202 km/h war er Europas schnellster Viertürer mit Vorderradantrieb.
Vor allem aber symbolisierte dieser Turbo Audis ersten Angriff auf die automobile Oberklasse in der Nachkriegsära. Zwar erreichte der Audi 200 in den Verkaufszahlen letztlich nur einen Achtungserfolg. Knapp 15 Jahre später kam Audi jedoch in der Oberklasse an. Der Audi A8 erschien und wurde zum Kanzlerauto.
In ihren Gesamtproduktionszahlen übertrafen die vor allem in Neckarsulm gebauten großen Audi des Typs 43 kaum ihren Vorgänger. Aber sie konnten die Eingangstür zum Club der Premiummarken einen Spalt weit öffnen. Genug, damit es die 1982 eingeführte Nachfolgegeneration von Audi 100 und 200 zum Produktionsmillionär brachte.
Audi 100 und 200 (Typ 43): Chronik
- 1974: Am 24. April wird ein Lastenheft erstellt für den Nachfolger von VW K70, VW 412 und des ersten Audi 100. Später soll der Audi 100 Typ 43 auch den NSU Ro 80 ersetzen. Im Herbst wird das Design freigegeben
- 1975: Im Februar fällt die Entscheidung, sowohl die Limousinen als auch den Fünftürer mit Audi-Logo zu vermarkten, nachdem zuvor diskutiert wurde, ob der Avant als VW vertrieben werden sollte. Am 10. November läuft die Vorserienproduktion für den Audi 100 (Typ 43) an
- 1976: Im August wird in Luxemburg die zweite Generation des Audi 100 (Typ 43) vorgestellt. Dies zunächst als viertürige Limousine mit drei Ausstattungslinien (Basis, L und GL) sowie zwei lieferbaren Motorversionen (1,6-Liter-Vierzylinder mit 85 PS ab November und 2,0-Liter-Vierzylinder mit 115 PS ab August). Diese Motoren waren bereits aus dem Vorgänger bekannt. Angekündigt und der Presse präsentiert wird außerdem ein neu entwickelter 2,1-Liter-Fünfzylinder, der mit Benzineinspritzung 136 PS leistet. Ende des Jahres geht eine Versuchsserie von 20 Audi 100 GL mit Kreiskolbenmotor KKM 871 an den Start und wird für die wichtigsten Märkten Europa, USA und Japan erprobt
- 1977: Im Februar ergänzt eine zweitürige Limousine das Angebot, die allerdings nur in Basis- und L-Ausstattung erhältlich ist. Im April erfolgt der Marktstart des Audi 100 5E mit dem 2,1-Liter-Fünfzylinder-Einspritzer. Im August debütiert der Audi 100 in einer dritten Karosserieform als Avant. Diese fünftürige Schräghecklimousine zielt auf Kombikäufer, aber auch auf Kunden, die sonst nach den gleichfalls neuen Fastbacklimousinen Renault 20/30 oder etwa Rover 3500 geschaut hätten. In seinen Abmessungen ist der Audi 100 Avant zehn Zentimeter kürzer als die Limousine, aber in den selben Ausstattungen wie der Viertürer verfügbar. Der zuletzt nur noch für den US-Markt gebaute Audi 100 der ersten Generation läuft aus. In Südafrika beginnt die Montage des Typs 43 bei Volkswagen South Africa
- 1978: Zum Modelljahr 1978 ist der Audi 100 als Audi 5000 in den USA im Angebot, zunächst mit runden Doppelscheinwerfern, ab 1980 mit eckigen Leuchten analog zum Audi 200. Neu ist ab April 1978 der Audi 100 5S mit 115 PS starkem Vergaser-Fünfzylinder. Er ersetzt den nominell gleich starken 2,0-Liter-Vierzylinder. Neue Ausstattungslinien ab August als Basis, L, GL und CD. Die besonders hochwertig ausgestattete Spitzenversion CD (inklusive Aluräder, Metalliclackierung, vier elektrischen Fensterhebern etc.) ist nur mit Fünfzylinder-Motoren kombinierbar. Im Oktober ergänzt der erste Audi 100 mit Dieselmotor das Programm. Der Selbstzünder des Audi 100 5D ist vom Fünfzylinder-Benziner abgeleitet, hat aber nur 2,0 Liter Hubraum und leistet 70 PS. Später ergänzt eine Turboversion mit 87 PS das Dieselangebot
- 1979: Im April teilt Audi mit, dass der Kreiskolbenmotor KKM 871 mit 170 oder 180 PS Leistung nicht in Serie geht. Im August große Modellpflege für den Audi 100 mit neuen Stoßstangen, größeren Scheinwerfern und Rückleuchten (letzteres nur bei Limousine), weißen vorderen Blinkleuchten und neu gestaltetem Interieur. Einen Monat später wird der Audi 200 vorgestellt als neues Flaggschiff der Marke. Der Audi 200 ist nur mit Fünfzylinder-Benzinern (5E mit 136 PS und 5T mit 170 PS) und nur als viertürige Limousine lieferbar. Mit einer Vmax von mehr als 200 km/h ist er die damals schnellste Frontantriebslimousine
- 1980: Im Februar beginnt die Auslieferung des Audi 200. Neu ab August ist der Audi 100 5 mit 1,9-Liter-Fünfzylinder-Benziner
- 1981: Im September erfolgt der Marktstart des Audi 100 CS, der in vielen optischen Details dem Audi 200 ähnelt. Kleine Modellpflege und neue Ausstattungsgliederung für alle Audi 100 (C, CL, GL, CS, CD)
- 1982: Im September debütiert die dritte Generation des Audi 100 (Typ 44, C3), die den bisher gebauten Audi 100 ablöst
- 1983: Im Juni wird eine neue Generation des Audi 200 lanciert. Die Montage des Audi 100 (Typ 44) in Südafrika endet, Nachfolger wird der Audi 500 (abgeleitet vom Typ 44)
Quelle: SP-X / Wolfram Nickel