VW hat noch eine Rechnung offen. Seit 31 Jahren. 1987 sah Rennfahrer Jochi Kleint beim Pikes-Peak-Rennen bereits die Zielflagge, da riss bei seinem Golf ein Vorderrad ab.
Marseille – Jochi Kleint japste zu Fuß über die Linie, er bekam schlecht Luft. Das war zwar vor über 31 Jahren, aber er kann sich immer noch gut daran erinnern. "Ich konnte die Zielgerade schon sehen, es waren nur noch ein paar hundert Meter", sagt der ehemalige Rennfahrer. Doch dann riss bei seinem Rennwagen ein Vorderrad ab und blockierte. Aus und vorbei. Er stieg aus und stapfte bei über 4.000 Höhenmeter über die Ziellinie des Pikes-Peak-Rennens in Colorado. Es gewann damals Walter Röhrl auf dem Audi S1. Ein guter Rat, denn der Golf ist ein ganz spezieller Rennwagen: Zwei Motoren sitzen vor und hinter der Monocoque-Fahrgastzelle – eine andere Art des Allradantriebs. Zwei 1,8-Liter-Vierzylinder aus dem Golf GTI, verfeinert mit zwei Abgasturboladern von KKK, die mit 1,3 bar Luft in die Brennräume drücken. Maximal 326 PS liegen bei 7.200 Umdrehungen an, 292 Newtonmeter Drehmoment bei 6.400 Umdrehungen. Macht zusammen 652 PS. Der vordere Motor leistet etwas mehr, um den Golf zu ziehen statt zu schieben. Sonst würde er wie ein bockiger Esel über die Strecke hüpfen. Zwei Hewland-Getriebe sorgen für die richtige Übersetzung, eine Trockensumpfschmierung für ausreichend Öl in den Motoren. Rund 1.020 Kilogramm wiegt der Golf ohne Sprit und Fahrer, fährt je nach Ladedruck bis zu 184 km/h schnell. Doch die Endgeschwindigkeit ist nicht das Entscheidende. Der Weg dahin ist es. "Das Allrad-Konzept ist schon irre, aber auch irgendwie genial", sagt Jochi Kleint, als er mir noch die Gurte stramm zieht. Mit starkem Motor und schwacher BremseMit lautem Klacken liegt der erste der fünf Gänge in der Box. "Benutz den nur zum Anfahren", brüllt noch Kleint von außen. Mit etwas Gas und nur leicht schleifender Kupplung geht es los. Der Rallyewagen fährt sich auf den ersten paar Metern fast wie ein normaler Golf II. Die Lenkung arbeitet leichtgängig und spitz, es wird im Innenraum sehr schnell sehr heiß und es ist eng – aber das ist normal in einem Rennwagen. Die Karosserie schwingt bei jedem Gang- und Kurvenwechsel stark mit. Im Innenraum wird es schon nach einer Runde unerträglich heiß, es scheppert und zischt von allen Seiten, als wollte ein Dämon aus der Karosserie entweichen. Ein betörender Sound – und etwas beängstigend. Ich habe weiter Jochi Kleints Tipps im Kopf, etwa: "Fahre besser vorausschauend und in einem Fluss, so dass du die Bremse nicht stark benutzen musst." Denn die wurde speziell für das Bergrennen konzipiert und extra klein dimensioniert. Für eine einzelne Bergauffahrt ausreichend – für einen Rundkurs eher zu schwach. Schnell fängt sie an zu faden und bietet wenig Druck. 20 Kilometer. 156 Kurven. Bergauf.Ein anderer Rat Kleints schießt mir durch den Kopf: "Beschleunige nicht in Kurven, sondern warte, bis die Vorderräder gerade stehen. Sonst haut es dich raus." Also warte ich immer brav bis zum Kurvenausgang und gebe dann dem Golf den Tritt. Unglaublich, dass ein 31-jähriger VW so feurig sein kann. Er schiebt und drückt, benötigt permanenten Zug, um nur leicht zu untersteuern. Und das auf Asphalt. Das Pikes Peak International Hill Climb in Colorado zählt zu den außergewöhnlichsten Bergrennen der Welt. Die Fahrzeuge starten einzeln auf 2.862 Meter Höhe, jagen 20 Kilometer durch 156 Kurven bis auf 4.302 Meter hoch, um die Ziellinie möglichst als Schnellster zu überqueren. Jeder Teilnehmer hat nur einen Versuch. Zu Kleints Zeiten drifteten die Rennwagen über Schotter bis zum Ziel. Walter Röhrl wurde in seinem Audi quattro S1 mit rund 600 PS zur Legende – beim gleichen Rennen, in dem der Golf von Kleint sein Rad verlor. Volkswagens späte GenugtuungDie Erniedrigung saß anscheinend tief und wurde in Wolfsburg nie ganz vergessen. Dieses Jahr startete VW deshalb einen neuen Versuch. Wieder mit zwei Motoren, aber nicht im herkömmlichen Rennwagen mit Verbrennungsmotor und Turbolader. Sondern mit einem neuentwickelten Carbon-Prototyp mit zwei Elektromotoren: I.D. R Pikes Peak, gefahren von Roman Dumas. Zwischen dieser Zeit und der des Golf II von 1987 liegen Welten. Doch nicht beim Konzept. Unter der Carbon-Hülle des neuen Rekordautos stecken zwei Elektromotoren mit jeweils 340 PS und insgesamt 650 Newtonmeter Drehmoment, treiben je eine Achse an. Mit diesem Allrad und einer Gesamtleistung von 680 PS sprintet der Rennwagen bei trockener Straße in 2,25 Sekunden von 0 auf 100 km/h, auf 200 km/h rennt der Flitzer in 4 Sekunden. Für Jochi Kleint unvorstellbar, wie auch für mich. Hoffentlich vergehen nicht wieder 31 Jahre, bis ich diesen Rennwagen mal fahren darf. VW GOLF II BiMoto Pikes Peak 1987
Quelle: Fabian Hoberg |
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