Von MT-Reporter Michael Specht
Stora Holm - Wow! Endlich bekommt der Aufkleber „Ich bremse auch für Tiere“ eine neue Bedeutung. Der schwedische Autohersteller Volvo – wer auch sonst? – hat ein Kamerasystem entwickelt, das Elche und andere große Vierbeiner erkennt. Läuft das Vieh unverhofft auf die Straße, wird automatisch eine Notbremsung ausgelöst.
Doch leider gibt es einen Haken: Einen Zusammenstoß verhindert „Animal Detection“ nicht. Das System kann aber die Schwere des Aufpralls mindern – und sichert damit vielleicht das Überleben der Insassen.
Pech für Hund und Hasen
In Schweden gibt es jährlich rund 50.000 Wildunfälle. 6.000 Mal heißt der Gegner Elch. Daher hat sich Volvo mit dem Kamera- und Radar-basierten „Animal Detection“ auch nur große Tiere ins Visier genommen. Hund und Hase haben Pech gehabt, leben und laufen quasi unter der Radarebene.
Natürlich erkennt die Elektronik auch Fußgänger. Das haben andere Hersteller doch längst in Serie, wird mancher sagen. Stimmt. Aber Volvos System löst auch im Dunkeln eine Vollbremsung aus. „Nachts verunglücken drei- bis viermal so viele Menschen wie am Tag“, sagt Jan Ivarsson, der Safety Strategy Manager.
Neuer Volvo XC90 mit Tier- und Fußgänger-Detektor
MT-Reporter Michael Specht im schwedischen Stora Holm Quelle: Volvo
Die neue Technik – Tier- und Fußgängererkennung – wird gemeinsam mit dem neuen XC90 eingeführt, der Anfang 2015 auf den Markt kommt. Wir durften die neue Technik bereits jetzt ausprobieren, in einem gigantischen Militärbunker in der Nähe der alten Volvo-Testanlage Stora Holm.
Auch wenn es nur eine Dummy-Puppe ist, die im Weg steht, auch wenn es nur 35 km/h sind, bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn man ungebremst auf einen Menschen zufährt. Doch die Sorge ist unbegründet. Das System erkennt die Person und warnt den Fahrer, akustisch und optisch. Reagiert der Fahrzeuglenker nicht, bremst die Technik selbstständig. Komplett verhindert wird der Zusammenstoß bis 40 km/h. Darüber knallt es, aber deutlich abgemildert.
Das Thema Sicherheit hat sich Volvo dick auf die Fahnen geschrieben. Es gehört seit Jahrzehnten zur Firmenphilosophie. Schon 1959 führten die Schweden als erste den Dreipunktgurt ein. Kein anderes passives Sicherheitselement im Auto hat mehr Menschenleben gerettet als der Gurt.
Doch das genügt den Schweden nicht. „Unsere Vision ist es, ein Auto zu bauen, in dem kein Mensch mehr stirbt oder schwer verletzt wird“, sagt Produktplaner Toscan Bennet. Im Jahr 2020 soll es soweit sein.
Kunden sind offen fürs autonome Fahren
Weil Airbag, Knautschzone und sämtliche Rückhaltesysteme ausgereizt sind, liegt der Fokus nun auf den elektronischen Assistenzsystemen. Das Ziel ist, Unfälle zu vermeiden und eines Tages das Auto alleine fahren zu lassen. 90 Prozent aller Unfälle basieren laut Volvo auf menschlichem Versagen. Das schreit geradezu danach, den Fahrern das Lenkrad aus der Hand zu nehmen, heißt es salopp aus der Abteilung Forschung & Entwicklung. „Die Kunden sind offen dafür“, sagt Sicherheitspapst Ivarsson, und gibt dem autonomen Fahren einen Zeithorizont von sechs bis zehn Jahren. Das Problem ist weniger die Technik als vielmehr die gesetzlichen Hürden. Wer haftet, falls es kracht und ein Computer am Steuer war?
Neue Sensoren können auch ohne Markierung erkennen, wenn ein Auto die Spur verlässt Quelle: Volvo
Eine weitere Neuheit, die der künftige Volvo XC90 an Bord haben wird (gegen Aufpreis), ist eine Weiterentwicklung des Spurhalteassistenten mit Lenkeingriff. Bisher orientierte sich die Elektronik an den Linien auf der Straße. Zudem musste der Fahrer das System aktivieren.
Im neuen Volvo ist es stets scharf. Unseren Testwagen, ein V70, lenke ich mit Tempo 60 und mit bewusst leichtem Einschlag Richtung Leitplanke. Damit simuliere ich den Sekundenschlaf oder eine Situation im Auto, bei der der Fahrer für einen Moment abgelenkt ist. „Lassen Sie das Lenkrad ruhig los und schauen Sie aus dem Seitenfenster“, empfiehlt mir der Volvo-Techniker. Ich gehorche und erwarte gleich den Einschlag. Doch nichts passiert. Der V70 lenkt tatsächlich wie von Geisterhand zurück. „Denken Sie nur, welche Unfälle schon passiert sind, nur aus der Reaktion heraus, wenn ein Wagen in die Planke schlägt“, sagt der Entwicklungs-Ingenieur. Zukünftig soll das System auch bei Straßenrändern ohne Planke funktionieren.
Grüne Welle und Warnungen über WLAN
Doch nicht nur in Sachen Sicherheit forscht Volvo weiter. Auch was den Komfort angeht, gibt es noch eine Menge an Dingen, die ins Auto fließen können. So zum Beispiel Car-to-Car-Systeme. Die Testfahrt im Forschungsauto ist vielversprechend. Die Hindernisse: Ampeln, eine Panne hinter einer Kurve, eine simulierte Eisfläche, eine Vollbremsung des Vordermannes sowie ein Polizeiwagen im Einsatz.
Bei den Ampeln heißt das Thema „Grüne Welle“. Die erste Lichtanlage schickt die Info ins Cockpit, wie viele Sekunden sie noch rot leuchtet. Als sie umschaltet, beschleunige ich und sehe im Tacho eine grüne Beleuchtung im Bereich von 40 km/h. Das System von Volvo zeigt, welche Geschwindigkeit nötig ist, um auf der grünen Welle zu fahren Quelle: Volvo
Das bedeutet: Mit diesem Tempo kann ich die nächste Ampel exakt bei Grün passieren, muss nicht bremsen und spare Sprit und Nerven. Das Ganze funktioniert quasi in Echtzeit über WLAN.
Auch die anderen Demonstrationen funktionieren bei unserem Praxistest problemfrei. Schon vor der Kurve erscheint im Display das Warnschild „Achtung!“, weil das liegengebliebene Auto dahinter sein „Pannen-Signal“ an die anderen Verkehrsteilnehmer gesendet hat. Gleiches passiert, wenn der Vordermann vor uns über Eis schlittert oder eine Vollbremsung macht, beispielsweise bei einem Stau. Jedes Mal bekommen wir die Warnung im Cockpit angezeigt. Selbst Rettungswagen, Feuerwehr oder Polizei könnten von der Car-to-Car-Kommunikation profitieren. Noch bevor der Autofahrer diese sieht oder hört, hat er das Signal im Display und kann rechtzeitig rechts ranfahren.
Harry, fahr schon mal den Wagen vor!
Einige Jahre wird es bis zur Serie aber noch dauern. Genauso wie beim autonomen Parken. In den Forschungsautos von Volvo läuft das bereits problemlos. Der Fahrer steigt an einem definierten Punkt aus und aktiviert über eine App in seinem iPhone das Auto. Dieses sucht selbstständig einen freien Platz und parkt ein. Selbst einen zurücksetzenden Wagen oder ein Kind erfasst die Elektronik. Brav bremst der Volvo und parkt danach in aller Ruhe ein. Umgekehrt läuft es natürlich genauso ab. App gedrückt und der Wagen kommt auf Befehl – wie der Hund zum Herrchen.