Oldtimer Grand Prix in Hamburg. 25 000 Zuschauer sahen am Wochenende historische Autos und Motorräder im Einsatz. MT-Reporter Norbert Bogdon nahm mit seinem Lloyd LP 600 teil und berichtet über Rennrausch, Liebesabenteuer der Zuschauer und echte Teufelskerle. Von Norbert Bogdon „Idiot“, denke ich. „Schwachkopf, Blödmann“. Ein paar Meter vor mir hat ein Herr seinen linken Arm gehoben. Mit den Beschimpfungen meine ich nicht den Mann vorn, sondern den in mir. Mich. Gleich senkt der vorn seinen Arm, und dann starte ich mit meinem kleinen gelben Lloyd LP 600 beim Hamburger Stadtparkrennen. In diesen letzten Sekunden vor dem Beginn wünsche ich mich ganz weit weg aus der Startaufstellung. Aufs heimatliche Sofa etwa. Oder nach Australien. Oder noch besser auf den Mond, die dunkle Seite. Ob mein Rennfahrerkollege Michael Schumacher auch immer so nervös ist? Der Arme! Doch dann gibt der Stewart die Strecke frei, alle Aufregung und Greinerei ist vergessen. Motoren heulen und ich heule mit meinem Lloyd mit. Alles vergessen – jetzt geht es losJetzt will ich in der Klasse der Autos von 1919 bis 1959, zwischen all den Austin Healeys, Käfern, Corvettes, Morgans und Triumphs nur Spaß haben. Und wie ich den habe. Zum dritten Mal starte ich hier, zum ersten Mal ohne Beifahrer. Erstaunlich, wie extrem sich 70 Kilo weniger bei 19 PS auswirken. Der Lloyd läuft mindestens so schnell wie ein Lloyd mit 70 Kilo weniger an Bord. Ich komme mir vor wie in einem Kart, so direkt geht alles. Dass die Vibrationen des Kleinwagens mir fast die Brille vom Kopf reißen und die Abwärme des Motors in Kombination mit den Kunstledersitzen mich schwitzen lassen wie einen Sumo-Ringer in der Sauna, stört gar nicht. Denn ich bin im Rennrausch. Rausch der GeschwindigkeitIch lasse meinen kleinen Lloyd durch die Kurven fliegen. So schnell, dass kaum einer mithält. Und das ist ehrlich und wahr! Zum Schluss des ersten Laufs habe ich zehn Autos überholt. Wirklich!! Und einen sogar überrundet. Ich schwöre!!! Herrgott, dass der wegen Zündproblemen ein ganzes Weilchen in einer Auslaufzone stand, ist ´ nur eine unwichtige Nebensächlichkeit. Nein, nein, ich bin grandios gefahren. Doch weil das zu sehr nach Eigenlob klingt, veröffentliche ich lieber den Inhalt einer Mail, die mir Rennfahrerlegende Hans-Joachim Stuck im Vorfeld zur Aufmunterung schickte: „Wer mit einem 19-PS-Boliden wie dem Lloyd LP 600 am Hamburger Stadtparkrennen teilnimmt, muss schon ein echter Teufelskerl sein. Respekt, so ein Geschoss will beherrscht sein.“ Wie Recht der Mann hat, ein prima Kerl, der Strietzel. Probesitzen im TraumautoAber das Renn-Revival bedeutet ja nicht nur Tempo und Speed. Sondern vor allem auch schnacken. Etwa mit Peter, der seinen fast 80 Jahre alten dreirädrigen Morgan genauso tollkühn um den Kurs treibt wie ich meinen Lloyd. Jeder lobt den anderen für seine phänomenalen Heldentaten, und wir versprechen uns per Handschlag, dass wir bei jeder Startaufstellung mit unseren Autos die Nähe des anderen suchen. Schließlich machen gemeinsame Duelle noch mehr Freude. Beim Stand des Hamburger Prototyp-Museums schmeckt der Kaffee besonders lecker. Mit dem Besitzer Oliver fachsimple ich über diese und jene Kurve, während neben uns der Porsche Carrera 904 Carrera GTS für das nächste Rennen warmläuft. Und dann überredet er mich, in seinen Rometsch Porsche Spyder von 1953 zu klettern. Das ist irre kompliziert, weil man die nur oblatendünne Alukarosse praktisch nicht berühren darf. Sonst gibt es sofort Beulen. Erst am Auto, dann vom Besitzer. Für meine geniale Spontan-Idee, doch für den nächsten Lauf die Autos zu tauschen, kann er sich allerdings nicht erwärmen. Der Typ ist scheinbar ein komischer Kerl. Ich an seiner Stelle hätte das sofort gemacht. Der Lloyd als LiebesmobilVor allem redet man aber mit den Zuschauern, die massenweise im Fahrerlager schauen und staunen. Da kann man fürs Leben lernen: Ein älterer Herr erzählt mir, dass er in jungen Jahren einen Lloyd fuhr. Vor einer Ausfahrt mit dem Mädchen seines Herzen entfernte er listig die Verstellschrauben des Liegesitzes. Bei einem Halt genügte ein Handgriff, der ganze Sitz kippte mit der Dame in die Liegeposition - und schwupps, kam es zum Austausch erster heißer Küsse und noch mehr. 51 Jahre glückliche Ehe sind die Folge. Und noch ist kein Ende in Sicht. Schöne Aussichten Und wenn man nicht selbst fährt oder plaudert, guckt man natürlich eins der zahllosen Rennen. Wagemutige Motorradfahrer rasen in atemberaubenden Schräglagen durch die Kurven, GT-Wagen brennen Gummispuren in den Asphalt. Wo sieht man schon in zwei Meter Abstand einen Mercedes SSK von 1929 mit seinem Kompressor vorbeidonnern, dichtgefolgt von einem gigantösen Protos-Rennwagen (Baujahr 1921) mit sieben Litern Hubraum? Nur beim Hamburger Stadtparkrennen. Wie nannte ich mich oben wegen meiner Teilnahme beim Stadtpark-Revival? Idiot? Schwachkopf? Blödmann? Was für ein hanebüchener Unsinn! Ein famoser Kopf bin ich, dass ich daran teilnehme. Und natürlich bin ich nächstes Jahr auch wieder dabei. Aber so was von!
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 05.09.2012
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