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Classic Driving News

Offen und ehrlich: Zwei britische Roadster

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Flucht aus dem Alltag. Das Besondere, Echte und Ursprüngliche genießen. In einem offenen Austin-Healey 3000 oder Morgan Plus 8 gelingt es am besten. Beide feiern überdies Geburtstag. Wir gratulieren mit einer Ausfahrt.

Der Morgan Plus 8 von 1973 ist ein fahrender Anachronismus, ein irritierender Mix aus verschiedenen Epochen, ein an Wahnsinn grenzendes Wunder automobiler Entwicklung. Dies wird besonders deutlich, wenn man dieses britische Roadster- Urvieh mit einem anderen britischen Roadster-Urvieh, dem Austin-Healey 3000 Mk III, zusammenbringt, beide mal genauer betrachtet und mit beiden auch einige Kilometer fährt.

Die Morgan Plus 8-Geschichte reicht bis 1935 zurück

So viel sei jetzt schon verraten: Der freche 30er-Jahre-Oldie mit dem jungen US-V8 unter der Riffelhaube macht mindestens genau so viel Spaß wie ein über die Jahre gereifter, noch immer sportlich motorisierter und dabei unverschämt elegant auftretender Dreiliter-Healey. Doch der Reihe nach und damit gleich zur ersten Frage: Darf man überhaupt den bereits 1952 als Healey 100 präsentierten und damit bestens eingeführten Klassiker mit einem Morgan Plus 8 aus den frühen Siebzigern vergleichen? Im Prinzip ja, reicht doch die Konstruktion des Morgan sogar bis in das Jahr 1935 zurück. Die 1936 folgende Serienversion trug den schlichten Namen 4/4 und verkündete damit stolz die herausragenden Qualitäten des neuen Sportflitzers: vier Zylinder und sogar vier Räder. Im damaligen Konkurrenzumfeld entsprachen diese beiden Eigenschaften jedoch dem Mindeststandard an ein durchschnittliches Straßenauto - nicht jedoch bei Morgan.

Die Threewheeler-Vorgänger des 4/4 begnügten sich meistens mit zwei Zylindern und drei Rädern. Den 3,5-Liter-V8 von Rover erhielt der Morgan schließlich 1969, ein Jahr nach dem Produktionsstop des Healey 3000 Mk III. Insofern entstammen zumindest diese beiden Modelle durchaus derselben Epoche. Auch mit Blick auf die Leistung der Motoren ist ein Vergleich zwischen dem Healey von 1967 mit Dreiliter-Reihensechszylinder und dem Morgan Plus 8 von 1973 mit unverändertem V8 durchaus statthaft: 150 Austin-PS treffen auf 154 Rover-PS.

Beide Roadster feiern runde Jubiläen

Der erste Austin- Healey 3000 Mk I rollte vor 50 Jahren vom Band und löste den Vorgänger 100-Six mit 2,6 Liter Hubraum ab. Es war die Geburt des Big Healey, der mit Pat Moss, der Schwester von Stirling Moss, zahlreiche Erfolge bei Langstrecken-Rallyes erzielte. Der Morgan-Geburtstag ist noch runder und praller: Die Firma feiert in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen und baut noch heute den 4/4, während vor fünf Jahren ein 203 PS starker Ford-V6 den Rover-V8 ersetzte. Morgan nannte den Plus 8-Nachfolger schlicht "Roadster" und positionierte über ihm das eigenwillig gestaltete Topmodell Aero 8 mit BMW-V8 und 368 PS. Und da stehen die Geburtstagskinder nun und wirken irgendwie trotzig. Sie wollen - wie oft unter engsten Verwandten ? wenig voneinander wissen. Sie sind einfach zu verschieden. Es beginnt schon mit den Karosserien. Der Morgan ist streng genommen gegenüber dem Healey der deutlich altbackenere Typ. Zwei jeweils mit einem Trittbrett verbundene, nach hinten schräg auslaufende Kotflügelpaare und dadurch ein relativ schmales Cockpit - das hatten wir schon vor dem Krieg: BMW 328 und Jaguar SS 100 lassen grüßen.

Dazu die Stileinflüsse der 70er Jahre, das chromfreie Cockpit mit Wippschaltern und die modernen Leichtmetallfelgen. Passt das überhaupt zusammen? Der Healey hingegen gefällt auch 16 Jahre nach seiner ersten Präsentation und nach einigen Modifikationen noch immer mit der genial proportionierten, damals sogar hochmodernen Ponton- Karosserie und einem insgesamt elegant-sportlichen Auftritt. Der Mark III wirkt trotz seines reichlichen Chrom-Zierrats wie ein britischer Golf-Profi im perfekt sitzenden Club-Blazer - weder prollig noch protzig.

Was beide Geburtstags-Roadster optisch vereint, ist die in ihre seitlichen Karosserieprofile geschickt hineinkomponierte Beschleunigung. Dank mehrerer, zum Wagenende hin abfallender Linien ? beim Morgan sind es das Heck und die Kotflügelenden - geben sie optisch schon mächtig Gas, obwohl sie sich keinen Zentimeter bewegen. Entsprechend dynamisch kommen in den flotten Briten auch die Fahrer zur Geltung: Morgan und Healey verjüngen ihre männlichen Piloten so effektvoll wie eine junge, blonde Begleiterin. Nur sollte das richtige Einsteigen geübt sein. Beim Morgan klappt nämlich das gemeine, niedrige Türchen hurtig wieder von alleine zu. Es gibt dem Fahrer gerade mal zwei Sekunden Zeit, um, auf beide Hände gestützt, in den flachen Sessel hinabzuglei ten. Dann sind die Füße im schmalen, dunklen Pedalschacht zu sortieren und durch ein Probedrücken der Spielraum von Bremsund Kupplungsfuß zu prüfen. Im oberen Bereich des Fußraums verstecken sich noch das an der Lenksäule angebrachte Zündschloss und der Handbremshebel. Der Zündschlüssel muss von rechts ins quer zur Fahrtrichtung angebrachte Schloss gesteckt werden, während man den Handbremshebel nur mit der Rechten ertasten kann, um ihn dann nach vorn abzusenken.

Einmal in Fahrt jedoch gibt der Morgan dem Fahrer keinerlei Rätsel mehr auf. Er genießt zunächst die entspannte Sitzposition mit angenehm ausgestreckten Armen und hält dabei den linken Ellenbogen als tückische Fliegenfalle lässig nach draußen, was das Dasein im schmalen, aber zum Glück ab Brusthöhe geöffneten Morgan-Innenraum im höchsten Maße erträglich macht. Das Rover-Vierganggetriebe lässt sich kernig-ehrlich schalten, und mit wenig Gas und sattem V8-Röhren rollt der Wagen an.

Der Austin-Healey ist bequemer als der Morgan Plus 8

Bei etwas mehr als Mofa-Tempo geht es bereits in den zweiten Gang - und schnell findet man Gefallen an der direkten, aber nicht nervösen Lenkung und besonders an der Leistungscharakteristik des Motors, der bereits zwischen 2.000 und 4.000/min so gierig antritt wie ein Tiger beim Beutesprung. Hier ist deutlich zu spüren, dass der V8 sogar mit Fahrer weniger als eine Tonne Gewicht bewegen muss. Kotflügel, Scheinwerfer und Motorhaube weisen dem Piloten gemeinsam den Weg. Bei flotter Fahrt wippen sie im Verbund mit dem Vorderwagen fröhlich auf- und ab.

Heiße Luft mit süßlich-modrigem Benzinarmoma entströmt aus den Schlitzen der Motorhaube und sorgt im winddurchtosten Cockpit für etwas Wärme. Und von hinten erklingt das souveräne Auspuffgrollen des kräftigen V8. Der Healey-Innenraum wirkt schon auf den ersten Blick edler und luxuriöser als im Morgan: Holz und Chrom einschließlich des Aschenbechers auf der wuchtigen, rundlich geformten Mittelkonsole dominieren. Und es gibt noch die klassische Kippschalterleiste, in deren Mitte der Zündschlüssel steckt. Der Einstieg ist trotz der knapp geschnittenen Tür bequemer als beim Morgan, doch sitzt man im Healey etwas beengter und steiler auf den beiden ledergepolsterten Schalensitzen.

Das große, in relativ kurzer Distanz zum Fahrer platzierte Lenkrad mit integriertem Blinkerhebelchen an der Nabe will mit stark angewinkelten, frei schwingenden Ellenbogen bedient wer den. Wie beim Morgan ist der Schalthebel griffgünstig in Lenkradnähe platziert. Trotz kurzer Schaltwege muss der Fahrer kräftig und dennoch einfühlsam zupacken, um den Hebel kratzfrei durch das H zu bewegen. Spontan startet der Reihensechszylinder und klingt ähnlich kernig wie der Morgan, aber nicht ganz so tatendurstig. Auch im Healey kann der Fahrer nach dem Losfahren rasch in die höheren Gänge wechseln, bei Bedarf sogar im dritten und vierten Gang den Overdrive zuschalten. Austin-Healey und

Morgan sind auch für schnelle Autobahnetappen gut

Damit stellen auch Autobahnfahrten mit 150 km/h und mehr den Healey vor keine Probleme, der laut Werk mit Overdrive satte 192 km/h rennen kann. Doch richtig zu Hause fühlt sich der Mark III auf kurvigen Landstraßen, wo in schnellen und mit viel Gas gefahrenen Kurven das nach außen drängende Heck die Reifen zu einem dumpf schrappenden Stöhngeräusch zwingt. Dabei geht er seitlich mehr in die Federn als der stoisch-freche Morgan, der um Kurven so flink herumwuselt, als würden nicht nur das Karosseriegerippe, sondern auch die Federelemente aus Holz bestehen. Schön, dass es diese Unterschiede gibt. Ebenso schön, dass die beiden Oldtimer-Besitzer verschiedene Vorlieben haben - und sich gerade deshalb bestens verstehen.

Healey-Fahrer Horst- Dieter Grosse, Diplom-Ingenieur und ehemaliger Rennfahrer, der für die Scuderia Hanseat Sportfahrerlehrgänge auf dem Nürburgring organisiert, schätzt seinen hellblauen Roadster wegen den "unglaublichen Linien der traumhaften Karosserie" und der edlen Anmutung. Zugleich sei der Mark III "ein knallharter Sportwagen ohne Fahrhilfen", was heute kein modernes Auto mehr bieten würde. Meint Grosse, der auf der Piste und ebenso als Privatmann jahrelang aktuelle Porsche-Modelle fuhr.

Morgan-Besitzer Klaus-Hinrich Schwab, Facharzt mit Lehrstuhl für Stimmbildung an der Musikhochschule Stuttgart, jetzt im Ruhestand, sieht in seinem Morgan mehr ein funktionales Fluchtfahrzeug, das ihm seit 33 Jahren die Treue hält: "Optisch macht mein Morgan vielleicht nicht so viel her, dafür hat sich mein Spaß am flotten, offenen Roadsterfahren seit dem ersten Tag erhalten." Und was war die wichtigste Erfahrung mit dem Roadster? "Seit ich nicht mehr so rase", antwortet Schwab, "geht auch nichts mehr kaputt."

 

Quelle: Motor Klassik

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