Mercedes-AMG krönt die GT-Familie mit dem GT R. Der brüllt und brabbelt, beißt und bellt - und behandelt einen doch immer fair. Erste Fahrt im GT für die Rennstrecke.
Portimao – Für den Manager in Tobias Moers sind schon länger Festtage. Der AMG-Chef darf seit geraumer Zeit ein Modell nach dem anderen auf den Markt werfen. Um mehr als 40 Prozent stieg der Absatz im vergangenen Jahr, demnächst wird AMG fast 100.000 Autos jährlich bauen. Mit verantwortlich dafür sind die vielen „43er“. Quelle: Daimler Heute aber ist ein Festtag für den Petrolhead Moers. Es geht es nicht um - dicke Anführungszeichen - "Brot-und-Butter"-AMGs, sondern um den AMG GT R. Kein Mercedes-Derivat, sondern ein echter Sportwagen. Klar, dass "Mr. AMG" Moers selbst fährt. Eine Kollegin aus der Presseabteilung chauffiert er um den Circuito Algarve. Danach grinst er, ist ein bisschen rot im Gesicht. Sie dagegen etwas käsig. Offensichtlich geht es ihr nicht ganz so gut. Das kann schon mal passieren im Mercedes-AMG GT R. Dem Topmodell des Topmodells von AMG, der „Speerspitze“, wie Moers nicht sehr originell, aber treffend sagt. Mit 585 PS und 700 Newtonmeter Drehmoment aus einem 4,0-Liter-V8. Der wurde in einigen Details angepasst, um die 75-Mehr-PS gegenüber dem GT S auszuwerfen. An sich ist das zweitrangig. Weil der E 63 S auf dem Papier mehr kann (612 PS, 850 Nm). Einerseits. Mercedes-AMG GT R: Das Topmodell des TopmodellsAndererseits eben nicht. Das hat viele Gründe: Schwerpunkt, Transaxle-Bauweise, Gewichtsverteilung (53 zu 47 Prozent hinten zu vorne), Gewicht (1.630 Kilo), Leistungsgewicht (2,79 kg/PS), aktive Aerodynamik, neunstufige Traktionskontrolle, dynamische Motor- und Getriebelager, Carbon an den Kotflügeln, am Dach, der „Torque Tube“ zwischen Motor und Getriebe, der Kardanwelle, dem Tunnelkreuz. Außerdem gibt es erstmals bei AMG eine Vierradlenkung. Das hier ist eben keine umgerüstete Limousine. Quelle: Daimler Man muss nicht weit fahren, um das zu spüren. Der GT R ist so offensichtlich Sportwagen wie Usain Bolt Sprinter. Er wirkt auf Anhieb muskulös, aber kein bisschen plump. Roh im ersten Moment. Und vielleicht noch im zweiten: Wer ihn tritt, den beißt er mit V8-Gebrüll weg. Doch eigentlich ist er kein Beißer. Runde um Runde kommt man dem GT R auf dem Circuito Algarve näher. Präzise, natürliche Allradlenkung im AMG GT RErst im Sport+-Modus mit eingeschaltetem ESP: Auf Start-Ziel liegen fast 270 km/h an. Die Carbon-Bremsen fangen den GT R locker ein. Stabil, ohne Schwänzeln, ohne schweißnasse Finger. Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe sortiert die Gänge ideal. Selbstschalten ist möglich, aber unnötig. Der V8 sprotzt dazu. Präzise und natürlich lenkt der GT R ein, hakt sich in die Ideallinie. Wer zu viel Spaß abfordert, macht das Heck neugierig darauf, was weiter vorne passiert. Doch das ESP ist sofort da und regelt die Leistung weg. AMG hat es fein abgestimmt, doch für dieses Auto bremst der Schleuderschutz unwürdig restriktiv. Ein Druck auf den Knopf mit dem schleudernden Auto ändert das. Der „Sport-Handling“-Mode liegt an. Jetzt entspannt sich das ESP, lässt viel Schlupf an der Hinterachse zu. Und fängt sie erst wieder ein, wenn der Winkel allzu groß wird. Das Vertrauen in den GT R wird schnell größer, die Kurvengeschwindigkeiten auch. Neunstufige Traktionskontrolle wie im RennsportQuelle: Daimler Im „Race“-Modus ändert sich nichts an dieser ESP-Strategie. Der GT R schaltet nun noch aggressiver, beschleunigt noch zwingender. Nach einem längeren Druck auf die ESP-Taste lässt uns der Rettungsanker komplett allein. Jetzt kommt die neunstufige Traktionskontrolle ins Spiel. Ein gelber Drehknopf in der Mitte der Mittelkonsole reguliert den maximalen Schlupf. Er steuert allein über die Zündung. Weil das schneller geht, als die Elektronik des ESP es je könnte, wie Moers am Abend erklärt. Und spontaner als eine Lösung über Drosselklappen. „Wie im Rennsport“, sagt Moers. Man spürt das. Aus den Kurven heraus zügelt die Traktionskontrolle in der mittleren der neun Stufen effektiv, drängt sich aber nicht so auf wie das ESP. Vor allem kommt der GT R nach dem Eingriff viel schneller wieder aus dem Quark. Ein Klick nach links, und die Traktionskontrolle lässt noch mehr zu. Nach rechts wird sie konservativer. Kleiner Wermutstropfen: Sie fängt nur unter Beschleunigung den Schlupf ein. Verliert der GT R aus anderen Gründen die Haftung, hilft nur Talent. Im AMG GT R die Kurven abreitenSchon im Sport Handling Mode darf man mit der Hinterachse spielen. Der GT R lässt sich im leichten Drift fein um die Kurven feuern. Progressiv und berechenbar bricht er aus, lässt uns präzise mit Gas und Lenkung die Kurve „absurfen“. Quelle: Daimler Den Respekt darf man trotzdem nie verlieren. Der V8 zerrt und drückt, die Michelin Pilot Sport Cup 2 in der Dimension 325/30 ZR20 hinten können jederzeit in Rauch aufgehen. Doch schon nach vier, fünf Runden knallen wir am Limit um enge, schnelle Kurven und fahren die langgezogenen entspannt aus. Fast sorglos. Wissend: Wo das Talent endet, hilft immer noch das ESP. Natürlich endet das Talent irgendwo. Der GT R kann immer noch schneller, wenn der Fahrer (heißt: dieser Fahrer) längst am Limit ist. Ein Journalisten-Kollege soll in 7:10,9 Minuten die Nordschleife des Nürburgrings umrundet haben. Ein „offizieller Rekord“ ist das nicht, aber eine Fabelzeit. Man kann sich das vorstellen. Auch mit weniger Talent fühlt man sich wie der Held, der das Monster gezähmt hat. Festtag auch für uns, nicht nur für Moers. Der Mercedes-AMG GT R ist zu Preisen ab 165.410 Euro bestellbar. Damit liegt der GT mit Rennstrecken-Fokus gut 30.000 Euro über dem GT S. Technische Daten Mercedes-AMG GT R
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