Einen Reliant Scimitar GTE SE 5a über ebay im Ausland kaufen und dann auf eigene Faust nach Deutschland überführen - ein Abenteuer? Gewiss. Motor Klassik-Leser Constantin Jdanoff hat es ausprobiert. Und würde es jederzeit wieder wagen. Dieser Reliant Scimitar GTE SE muss es sein - es ist bereits 23 Uhr, als Constantin Jdanoff zum Telefon greift und eine Nummer in England wählt. Das Gespräch dauert fast 30 Minuten, der Mann am anderen Ende der Leitung ist freundlich, gibt bereitwillig Auskunft und erscheint auf Anhieb vertrauenswürdig. Schließlich ist sich Jdanoff sicher - er will diesen Reliant Scimitar haben, den er vor einer Stunde bei einem seiner nächtlichen ebay-Streifzüge entdeckt hat: einen Reliant Scimitar GTE SE 5a, Baujahr 1972. Angeboten zum Startpreis von 2.500 britischen Pfund (knapp 2.900 Euro). Im Flieger hin, im Reliant Scimitar zurück Der 39-jährige Automobilkaufmann aus dem hessischen Bad Soden am Taunus und der Brite einigen sich schnell auf einen Preis, noch in der gleichen Nacht wird der Reliant Scimitar GTE SE-Deal durch eine Anzahlung besiegelt. "Ich hatte bei diesem Reliant Scimitar von Anfang an ein gutes Gefühl", erklärt Jdanoff. Und bis zu einem gewissen Grad sei er auch bereit, ein Risiko einzugehen. Gleich am nächsten Tag bucht Jdanoff für sich und einen Bekannten zwei Flugtickets nach Birmingham. Selbstverständlich oneway. Sie wollen den Reliant Scimitar GTE SE auf Achse nach Deutschland holen, die Strecke beträgt rund 1.300 Kilometer. Für dieses Abenteuer haben die beiden Freunde drei Tage eingeplant - Constantin Jdanoff freut sich auf diesen Reliant Scimitar-Trip wie andere auf eine mehrwöchige Urlaubsreise in die Karibik, kann die erste Begegnung mit "seinem" Reliant Scimitar kaum noch erwarten. Der Sportwagen Reliant Scimitar dürfte zu den großen Exoten auf Deutschlands Straßen zählen, doch genau das macht für Jdanoff den Reiz dieses Modells aus. Zudem handelt es sich bei dem Reliant Scimitar GTE um ein Fahrzeug, dessen Formgebung in der Automobilindustrie als wegweisend gilt: Erstmals wird von einem Hersteller, in diesem Fall der Reliant Motor Company aus dem britischen Tamworth, die Idee eines dreitürigen Coupés mit Kombiheck konsequent für die Serienproduktion umgesetzt. Scimitar-Linien stammen vom Lamborghini Espada-Designer Das Design des Reliant Scimitar GTE SE 5 stammt von Tom Karen. Auf dessen Konto geht bereits das 1965 vorgestellte Stufenheck-Coupé Reliant Scimitar GT SE 4, doch viele Kunden bemängeln das eingeschränkte Raumangebot des Sportwagens mit der Kunststoffkarosserie. Auf die zündende Idee für einen Nachfolger soll Karen gekommen sein, als er 1967 während der Earls Court Motor Show erstmals einen Lamborghini Espada aus der Nähe betrachten konnte und sich von dessen Raumkonzept ganz offensichtlich nachhaltig beeindruckt zeigte. Bereits kurz nach der Show soll Karen seine Version eines eleganten zweitürigen Kombis gezeichnet haben, dessen weitere besondere Kennzeichen eine abfallende Dachpartie sowie eine ansteigende Gürtellinie sind. Nur ein Jahr später wird der neue Reliant Scimitar GTE SE 5 präsentiert. Das Auto verfügt ebenfalls über eine Kunststoffkarosserie, verkörpert auf Grund der Form nun jedoch eine eigene Fahrzeugklasse - die des sogenannten Kombicoupés. Das Reliant Scimitar-Konzept wird später von anderen Herstellern aufgegriffen, der Volvo P 1800 ES (Schneewittchensarg) gilt für viele als elegantester Vertreter dieser Gattung, zu der auch ein Lancia Beta HPE, ein Saab 99 oder ein Toyota Celica Supra zählen. Die erste Serie des Reliant Scimitar GTE (Grand Touring Estate) verfügt wahlweise über einen 2,5 Liter oder 3,0 Liter großen Ford Essex-Sechszylinder-Motor. Ab Oktober 1972 kommt die zweite, modifizierte Serie mit der Bezeichnung SE 5a auf den Markt, in der nun ausschließlich das 138 PS starke 3,0-Liter-Sechszylinder-Aggregat aus dem Ford Granada für Vortrieb sorgt. Trotz erheblicher Qualitätsprobleme verkauft sich der neue Reliant Scimitar bis zum Modellwechsel im Jahr 1975 über 9.100 Mal - Prinzessin Anne soll gleich mehrere Reliant Scimitar GTE besessen haben. In Deutschland ein Exot Hierzulande bleibt der Reliant Scimitar GTE hingegen nahezu unbekannt, und bis vor zwei Jahren hat auch Constantin Jdanoff nichts von diesem Modell gehört. Es ist eine Zufallsbegegnung in Hamburg: Jdanoff ist sofort von der Form des merkwürdigen Autos begeistert, das dort vor einer Einfahrt parkt. Er bestaunt es aus allen Winkeln, entdeckt die unter einem Scheibenwischer klemmende Visitenkarte des Besitzers. Der bittet um einen Anruf, wenn er das Auto zur Seite fahren soll. Natürlich ruft Jdanoff noch an Ort und Stelle den Eigentümer an. Er will schließlich alles über den Reliant Scimitar GTE wissen - und der Mann, dem es gehört, erzählt. Nach einer halben Stunde ist klar, dass Jdanoff sich auf die Suche nach einem Reliant Scimitar GTE machen wird: "Dieses Auto hat mich von Anfang an fasziniert." Es dauert ein knappes Jahr, bis Jdanoff zu seinem ersten Reliant Scimitar GTE SE 5 kommt, ein Exemplar aus dem Jahr 1970, das er in Holland kauft und noch heute besitzt. Aber er macht sich weiter auf die Suche, hält nächtelang auf den einschlägigen Seiten im Netz nach einem Reliant Scimitar GTE SE 5 in einem möglichst unrestaurierten Originalzustand Ausschau, spinnt allmählich ein lockeres Netzwerk zwischen den Reliant Scimitar-Besitzern in Deutschland. Um sich zwanglos auszutauschen. Der Trip nach England steht an. Endlich. Am Flughafen in Birmingham empfängt der Reliant Scimitar-Verkäufer Paul seinen Besuch aus Deutschland mit einem großen "Scimitar"- Schild. Knapp zwei Stunden dauert die Fahrt nach Oswestry, wo sich der Reliant Scimitar GTE SE 5 befindet. Grüne Hügel, Hecken, Landhäuser - Jdanoff fühlt sich in einen Film von Rosamunde Pilcher versetzt, genießt den Moment, falls es wider Erwarten nichts mit dem Handel werden sollte. Wie ein Sechser im Lotto Doch noch während er schließlich die Plane vom Reliant Scimitar GTE SE 5 rollt, ist ihm klar, dass er alles richtig gemacht hat. Er spürt, dass dieses Auto wie ein Sechser im Lotto ist. Karosserie, der Lack, die Ledersitze - alles wirkt gepflegt und tadellos in Schuss. Paul hat bei seiner exakten Online-Beschreibung des Reliant Scimitar mit keinem Wort übertrieben. Der Reliant Scimitar GTE SE 5 verfügt zudem über alle damals angebotenen Extras wie Overdrive, getönte Scheiben, elektrische Fensterheber, Schiebedach sowie eine Laderaumabdeckung. Einer der drei Vorbesitzer hat erstaunlicherweise eine Anhängerkupplung montiert, und die Originalräder sind irgendwann Minilite-Felgen gewichen. Egal. Nach einer Probefahrt mit dem Reliant Scimitar GTE SE 5 legt Jdanoff das Geld auf Tisch. Ohne am Preis zu handeln. Paul packt den beiden für die Rückfahrt eine Art Survival-Paket zusammen, das aus etwas Werkzeug und ein paar Ersatzteilen besteht. Nur für den Fall der Fälle, der auf den Weg in den hessischen Taunus jedoch nicht eintreten wird - obwohl Jdanoff und sein Begleiter sich im Reliant Scimitar auf den englischen Straßen mächtig ins Zeug legen. Sie müssen pünktlich im rund 500 Kilometer entfernten Dover sein, damit das Fährticket nicht verfällt. "Wenn man im Voraus bucht, kostet die Passage nur die Hälfte", erklärt Jdanoff. Eventuellen Nachahmern empfiehlt er, aus Kostengründen auch die Hotels vor der Reise zu buchen. "Wenn das Fahrzeug - wie im Fall des Reliant Scimitar -, zugelassen und versichert ist, benötigt man für die Überführung nicht einmal ein Rotes Kennzeichen." Mit jedem gefahrenen Kilometer wächst schließlich das Vertrauen in den Reliant Scimitar GTE SE 5. Der Sechszylinder, dessen Laufleistung mit 40.000 Meilen angegeben ist, klingt mechanisch gesund und hat am Ende knapp neun Liter pro 100 Kilometer verbraucht. Der Reliant Scimitar GTE SE 5 liegt satt auf der Straße, verlangt nur in Kurven nach einer kräftigen Hand am Lenkrad. Jdanoff, der am Anfang noch penibel auf jedes Geräusch geachtet hat, lehnt sich zurück und genießt die Fahrt. "Das war die beste Reise, die ich seit Langen unternommen habe." Vor allem das Souvenir kann sich sehen lassen.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 29.08.2011
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