Von MT-Reporter Fabian Hoberg
Tarent - Der Duft von Rizinus-Öl wabert durch die warme Nachtluft. Die Gilera Saturno Sport stößt mit jedem Verbrennungstakt das markant riechende Öl aus. Der kernige Sound des Einzylinders mit offenem Auspuffrohr haut aufs Trommelfell und der Magen zuckt im Takt.
Ein paar Meter weiter bellt eine Moto Guzzi Falcone aus ihrem Fishtail-Auspuff. Die Startfahne senkt sich, die beiden Motorräder fluten ihre Vergaser und verschwinden in der Dunkelheit. Auf zur ersten Etappe der Rallye Milano-Taranto und 1.900 Kilometern quer durch Italien.
Um Mitternacht geht es los, Richtung Mailand Quelle: Walter Wilber/BMW
„Die Rallye ist für Motorradfahrer das, was die Mille Miglia für Autofans ist“, sagt Roberto Cristiano Baggio, italienischer Motorjournalist und Kenner der Szene. In sechs Tagen geht es durch den Stiefelschaft bis zum Absatz. Auf dem Weg in den Süden wird es heißer und die Straßen werden zunehmend schlechter. Die Schlaglöcher erinnern teilweise an den Krater des Ätna.
Deshalb benötigen die Piloten neben einem guten Auge auch eine gesunde Wirbelsäule – und eine kräftige Gashand. Tagesetappen von bis zu 350 Kilometern und Serpentinenstrecken bis auf 1.500 Meter machen bei über 30 Grad nicht nur den Oldies zu schaffen.
Die alten Motorräder schnaufen und brabbeln
Auch die 210 Teilnehmer auf 180 Motorrädern kommen bei der Mi-Ta ins Schwitzen. Zwar geht es nicht um Bestzeiten, sondern um die schönen Motorräder und die schöne Landschaft. Aber schneller als die anderen möchte hier trotzdem fast jeder sein.
Karl Julius Werner gibt seiner Indian Chief die Sporen. Das historische Motorrad von 1944 schnauft und brabbelt die Serpentinen hinauf, schnappt sich eine Norton International 500 und noch eine Moto Guzzi Falcone, ehe es mit kurzen Zündaussetzern hinter der nächsten Kehre verschwindet.
Selbst kleine Maschinen mit 75 oder 175 Kubik gehe an den Start Quelle: Fabian Hoberg
Der Schreinermeister aus Oberasbach in der Nähe von Nürnberg ist schon das zweite Mal dabei. „Die Veranstaltung macht süchtig, wo sonst kann man eine gut geführte Tour durch Italien genießen und muss sich nur um den Sprit kümmern“, sagt der 54-Jährige.
Seine Frau Karin ist mit ihrer Vespa 200 Rally im Starterfeld weiter vorne. Auch wenn er sie nicht einholen kann, versucht er es an allen sechs Tagen. Dabei weiß er anfangs nicht, wer unter welchem Helm steckt.
Meist sind es ergraute Männer jenseits der 60, die mit ihrem Alteisen fahren wie Valentino Rossi. „Man beharkt sich schon mal, hilft aber dem anderen, wenn ein Problem auftritt“, sagt der begeisterte Biker Werner.
Gabelbrücke gebrochen, Wade angebrochen
Und Probleme treten häufig auf. Nicht nur bei dem plötzlichen Gewitter mit Platzregen. Karl Werners Freund Roland Madesta übersieht bei gutem Wetter eine Kurve und landet mit seiner Rudge Ulster von 1939 in der Leitplanke: Gabelbrücke gebrochen, Wade angebrochen.
Der Verunfallte nimmt es gelassen: „Es hätte schlimmer kommen können.“ Schwerere Verletzungen bleiben aber aus, hier eine gebrochene Rippe, da eine Schürfwunde, das war es auch schon. Der mitgereiste Arzt flickt notdürftig, bis es weiter geht.
Die Rudge Ulster 500cc von 1939 erreicht das Ziel nicht: Totalschaden Quelle: Walter Wilber/BMW
Für die Ruhmreichen wäre das vor 60 Jahren ein toller Service gewesen. „Le Gloriose“ fuhren schon damals beim wichtigsten Motorradstraßenrennen mit, wie zum Beispiel der heute 85-jährige Nino Castellani.
Er gewann 1952 die 75ccm-Klasse als Laverda-Werkspilot. Die 1.700 Kilometer spulte der Italiener in gut 18 Stunden ab. Dieses Jahr lässt er es auf seiner Laverda 350 CC dagegen gemütlicher angehen.
Straßenrennen zahlten sich in den 50er-Jahren nicht nur für die siegreichen Piloten aus, sondern auch für die Unternehmen. Getreu dem Motto „Win on Sunday, sell on Monday“ war das Straßenrennen für die italienischen Motorradhersteller von großer Bedeutung.
Nach dem Sieg von Castellani musste Laverda 50 neue Mitarbeiter einstellen, damit die Bestellungen zügig abgearbeitet werden konnten. Denn der Sieg galt auch als Qualitätsbeweis – schließlich wurd auf Serienmaschinen gefahren.
1957 ist Schluss mit der Mi-Ta. Nach einem tragischen Unfall bei der Mille Miglia, bei dem zwölf Menschen ums Leben kommen, verbietet der Staat alle Straßenrennen in Italien.
Berge, Berge, Berge
Seit 1987 startet jedes Jahr ein Revival. Immer von Mailand nach Tarent, aber jedes Mal eine andere Strecke. Dieses Jahr führt der Weg von Mailand nach Imola. Los geht es mitten in der Nacht. Dennoch stehen bereits zahlreiche Zuschauer am Straßenrand, als die BMW R5 von 1935 durchs erste Dorf donnert. Mit 500 ccm und 24 PS – hätte es in den 30er-Jahren schon den Begriff "Superbike" gegeben, dann hätte der Boxer in dieser Liga spielen dürfen.
Handlich wie ein Mofa, leicht wie ein Mokick und druckvoll wie ein Auto schlängelt sich die BMW durch Italien. MOTOR-TALK-Reporter Fabian Hoberg auf der BMW R5 von 1935 Quelle: Walter Wilber/BMW
An den folgenden Tagen auf dem Weg nach Assisi ist die BMW voll in ihrem Element. Und das heißt: Berge, Berge, Berge.
Für den Fahrer bedeutet das: schalten, schalten, schalten. Und bei einem 78 Jahre alten Motorrad ist das sehr mühsam. Der Boxer wieselt durch die Kurven und vernascht bei zügiger Gangart 50 andere Teilnehmer. Polizisten halten in einigen Orten die Kreuzungen frei, rote Ampeln existieren nicht.
Nur an den Morini-Boys ist nicht vorbei zu kommen. Hans Eder aus Regensburg lässt auf seiner Motor Morini 3 ½ keinen vorbei. Drängeln zwecklos. An den ersten Tagen sind er und die Jungs voll Adrenalin, geben Vollgas, nehmen jede Kurve mit maximaler Geschwindigkeit und Schräglage. Das geht aufs Material: Eine gebrochene Stößelstange wird abends vor dem Hotel getauscht.
Der 40-Jährige ist zum ersten Mal dabei, seine Kumpels Benedikt Haider, Stefan Templer und Rainer Dietl haben ihn überredet. „Zum Glück, denn das ist hier ganz großes Kino“, sagt der Ingenieur und Laverda-Fan. In seiner Garage in Regensburg stehen 13 Motorräder.
Mit dem vierten Tag werden die Teilnehmer langsamer. Es geht durch den Monti-Sibillini-Nationalpark mit Blick auf den Apennin. „Die Landschaft ist hier so schön, dass sogar ambitionierte Motorradfahrer mal das Gas wegnehmen und die Aussicht genießen“, sagt Hans Eder. Wenn auch nur für kurze Zeit. Schließlich war die Mi-Ta mal eine Rennveranstaltung.