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Classic Driving News

Pallas der Republik - staatstragende Franzosen

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Die Göttin ist etwas übernächtigt, hat ihre Räder tief in die Radhäuser gezogen. Die letzten Tagen laborierte sie an Zündaussetzern herum, doch das hat sich jetzt. Der Motor des Citroën DS startet sofort, aber es dauert kurz, bis er den Kreislauf der Göttin angekurbelt hat.

Von 34 Metern Hydraulikleitungen durchzogen

Erst, wenn das Öl mit genügend Druck durch ihre 34 Meter Hydraulikvenen fließt, mag die Citroën DS aufstehen. Etwas träge erhebt sie sich, dann pumpt die Hydropneumatik die Karosserie auf das Fahrniveau. Die Göttin rollt heraus, um ihrer Aufgabe nachzukommen: eine Ikone zu sein. Das gelingt ihr heute noch so vollendet wie vor 53 Jahre, als ihre Legende begann: 80.000 Sofortbestellungen während ihrer Premiere auf dem Pariser Salon 1955, als sie die Automobilwelt in ein neues Jahrtausend katapultiert, später rettet eine Citroën DS General de Gaulle das Leben. Und seit die Citroën DS 1975 eingestellt wurde, hat sie sich darauf verlegt, ihren Nachkommen das Leben schwer zu machen.

Die Déesse. Die Göttin. Noch mehr als der 2 CV der Inbegriff all dessen, wofür Citroën steht: Avantgarde, Genialität, Mut. Sie entsteht in einem beinahe magischen Zeitfenster, als mit Pierre Boulanger ein gelernter Architekt an der Spitze von Citroën entscheidet. Der lässt Flaminio Bertoni, einen Bildhauer, die Linie des Citroën DS entwerfen und den autodidaktischen Techniker Paul Magès die Serienfertigung der hoch sensiblen Hydraulik planen, auf deren Befehle Lenkung, Bremsen, Schaltung und Federung gehorchen. Heraus kommt ein Auto, das seiner Zeit gleich um Jahrzehnte voraus ist. Luftfederung, automatische Niveauregulierung, Halbautomatik, Scheibenbremsen, aerodynamische Karosserie, Hochdruckbremsen - neue Autos stolzieren 1955 übermütig herum, wenn sie nur eine dieser Innovationen mit sich herumfahren. Die Citroën DS hat alle und mit dem Jahren noch mehr - wie mitschwenkende Kurvenscheinwerfer.

Weiterfahrt trotz platter Reifen

Präsidenten und Minister lassen sich in einem Citroën DS chauffieren. General de Gaulle kann mit ihr am 22. August 1962 seinen Attentätern entkommen. Sie schießen auf den Citroën DS, doch der kann selbst mit plattem Hinterreifen noch weiterfahren, weil die Hydropneumatik ihn ausbalanciert. So wird der Citroën DS zum Helden der Grande Nation. Das Wagnis, das Citroën in den frühen 50er Jahren mit der Entwicklung des Citroën DS eingeht, ist einmalig, kann niemals wiederholt werden. Das aber versteht die Citroën-Gemeinde lange nicht. Ihrer Meinung nach gibt es keinen würdigen Citroën DS-Nachfolger. Dem CX verhagelt das die Karriere. Dabei müssten sie ihn doch lieben. Denn er trägt eine futuristische Karosserie, hat eine sanfte Hydropneumatik und ein verwirrtes Cockpit.

Der XM steht schon immer im Schatten der DS

Auch im Citroën CX reisen Präsidenten. Zudem eifert er dem Citroën DS nach, gibt sich wie sie vor allem in seinen frühen Jahren zickig und unzuverlässig. Aber anders als die Göttin kann er nicht mit Nachsicht rechnen. Erst als er sich 1989 verabschiedet, wird sein Wert erahnt. Doch den Status der Göttin erreicht er bei Weitem nicht. Immerhin gilt er aber als letzter echter Citroën - bei der französischen Marke ist dieser Titel jedoch eher eine Art Wanderpokal, den jedes frisch eingestellte Modell bis zur Ablösung seines Nachfolgers tragen darf, um ihn dann an den weiterzugeben. Beim Citroën XM landet die Trophäe entsprechend im Jahr 2000. Wobei das so nicht unbedingt vorherzusehen ist. Immerhin hat es der Citroën XM doppelt vermasselt: erst nicht so sein wie die Citroën DS - und dann auch noch den inzwischen zumindest selig gesprochenen Citroën CXablösen.

Doch als Citroën die Liebhaber der Marke mit dem C5 erschüttert, ist der Citroën XM sogleich rehabilitiert. Und doch steht der Citroën XM 2.0 Turbo C.T. sofort im Schatten der Citroën DS 23 Injection Pallas. Als sie auf den Hof rollt, zieht sie gleich alle Aufmerksamkeit auf sich. Der große Auftritt gelingt ihr so souverän wie kaum einem anderen Auto. Besonders leicht verlebte Göttinnen dramatisieren ihn gern, erschrecken Uneingeweihte, lassen ein paar Tropfen Öl auf dem Auspuffkrümmer verqualmen oder markieren ihr Revier mit ein paar Spritzern Hydraulikflüssigkeit. Was der Göttin erlaubt ist, darf der Citroën XM noch lange nicht.

Der XM soll es mit der humorlosen Oberklasse aufnehmen

Die Citroën DS muss in ihren aktiven 20 Jahren schon deshalb nie Konkurrenten fürchten, weil sie die Unverfrorenheit anderer Autos, sich an ihr messen zu wollen, nicht mal ignoriert. Der Citroën XM dagegen soll es ernsthaft mit der humorlosen deutschen Oberklasse aufnehmen - was zu den undankbarsten Aufgaben überhaupt zählt und oft einen langweiligen Charakter formt. Obwohl eine Armee an Technikern während der fünf Jahre Entwicklungszeit versucht, dem Citroën XM alle Flausen auszutreiben, trotz voll robotisierter Produktion und endloser Qualitätskontrollen schafft es die Limousine, echten Citroën-Charakter auszubilden.

Sicher, die BMW- und Mercedes-Getreuen johlen wieder, weil es auch der Citroën XM so nicht mit Fünfer und W 124 aufnehmen kann. Aber, mag sich der Citroën XM denken, wenn man so dröge daherkommen muss wie die beiden, um in der Oberklasse Erfolg zu haben, dann habe ich lieber keinen. Präsidenten darf der Citroën XM natürlich trotzdem - oder gerade deswegen - fahren. Außerdem ist die Zeit gnädiger zum Citroën XM als zu seiner Konkurrenz. Auch 19 Jahre nach dem Debüt wirkt das Bertone-Design frisch. Einem BMW E34-Fünfer nimmt man eher ab, dass er auf den Markt kommt als die Tagesschau noch die getrennte Wetterkarte zeigt, auf der Sonnenschein direkt hinter Hof endet.

Wenigstens eine unnötige Spielerei im XM

Vor jedem Startvorgang muss sich der Fahrer im Citroën XM mit einem vierstelligen Code autorisieren. Dann erst springt der Turbo-Vierzylinder an. Anders als für die DS bietet Citroën für den Citroën XM von Beginn an auch einen Sechszylindermotor an. Nicht ohne Grund hat sich Citroën das seit dem SM nicht mehr getraut. Und wäre es dabei geblieben ? viel hätte man nicht verpasst, basiert der Sechser im Citroën XM doch noch auf dem Europa-V6. Womit weder Laufkultur noch zurückhaltender Konsum zu seinen vornehmsten Eigenschaften gehören.

So erweist sich der mehr auf Durchzugskraft als auf schiere Leistung wohl trainierte 2.0 C.T. als beste Alternative für all diejenigen, die partout keinen Diesel wollen. Dass man sich überhaupt Gedanken um den Motor machen kann, zeigt, wie normal Fahren im Citroën XM abläuft. Nicht einmal das Cockpit oder die Bedienung stellen eine Herausforderung dar - was einer kleinen Enttäuschung gleichkommt. In den späten Citroën XM wie unserem Fotoauto muss sogar das Einspeichenlenkrad einem beairbagten Exemplar mit zwei Speichen weichen.

So deuten zunächst nur die beiden Schieber neben dem Schalthebel darauf hin, dass es sich beim Citroën XM um einen echten Citroën handelt. Die Schieber nämlich regeln die Hydropneumatik: Der rechte variiert die Bodenfreiheit, der linke ermöglicht das Abschalten der dritten Federkugel pro Achse. Das sorgt für eine straffe Federungsabstimmung - ziemlich genau das Letzte also, was man im Citroën XM möchte, aber auch er soll wenigstens eine unnötige Spielerei haben.

Ansonsten gibt sich der Citroën XM fast Oberklassen-konventionell: sicheres Fahrverhalten mit klarer Präferenz zum Zustand des Untersteuerns, energische, mit etwas Übung dann doch ordentlich dosierbare Bremsen, leicht schaltbares, exaktes Fünfganggetriebe, breite Komfortsitze, ein bisschen elektrisch betriebener Luxusschnickschnack. Und natürlich fühlt sich das alles auch schon nach Citroën an, wegen des luftigen Raumangebots und vor allem eben wegen der überragenden Federung. Aber es bleibt doch Autofahren. Damit hat eine Reise mit der DS nicht viel zu tun.

Citroen 23 Injection Pallas - mehr DS geht nicht.

Der Fahrer versinkt in einem knarzigen Knautschledersessel, wie man ihn eher in der Bibliothek eines französischen Philosophen erwartet. Einer Bibliothek mit großartiger Aussicht. Denn die dünnen A- und B-Säulen übersieht das Auge fast, als es das Panorama abstreift, das sich vor dem Fahrer ausbreitet. Nach Norden erstreckt sich die hügelige Motorhaubenlandschaft. Ganz vorn, an ihrem Horizont, lässt sich die Straße erahnen.

Zündung an, den Lenkradschalthebel der Halbautomatik entschlossen nach links schubsen, dann startet die Maschine. Die Citroën DS hebt sich langsam aus ihrer Ruheposition und löst sich damit für das Gefühl des Fahrers komplett von der Straße. Mit zwei Fingern den Schalthebel nach hinten tupfen, dann schlürft die Hydraulik den ersten Gang hinein. Fuß vom harten Bremspilz nehmen. Dann fährt die Göttin nicht los - sie setzt sich erhaben in Bewegung und knickt bei jedem Beschleunigen ein gutes Stück mit dem Hintern ein. Fast vollkommene Fahrkultur

Nach ein paar Metern schon verlangt es die Citroën DS nach dem zweiten Gang. Also den Fuß vom Gas, den Hebel, der nun steil hinter dem Lenkrad steht, nach hinten zupfen und noch das sanfte Stöhnen abwarten, mit dem der zweite Gang eingesogen wird. Dann erst wieder Gas. Schnell geht es so nicht voran. Der 2,3-Liter-Einspritzer, mit 126 PS der stärkste Motor in der Karriere der Citroën DS, verbreitet auch keine Hektik, dafür deutliches Dröhnen.

Doch seine rauen Manieren dringen nicht bis zum Fahrer durch. Denn der Umgang mit der Göttin verlangt von ihm Muße, Konzentration und vor allem Ehrfurcht. Zwei Mal rückt der Schalthebel noch ein Stückchen weiter nach rechts, bis in den vierten Gang. Dann wandelt die Citroën DS über die breite Landstraße. Dass sie dabei leicht tändelt, liegt nicht an ihr. Es liegt am Fahrer, der noch nicht ganz damit klarkommt, dass die Lenkung überhaupt gar keine Rückmeldung gibt.

In der Mittellage reagiert sie hypernervös und fühlt sich gleichtzeitig komplett taub an. Das geht, auch wenn es sich wie ein Widerspruch anhört und wohl bei allen anderen Autos als der Citroën DS auch einer wäre. Die Citroën DS benötigt also Finger- und dazu auch Fußspitzengefühl. Die Bremse lässt sich so subtil dosieren wie ein Fallschirm. Schon bei sanftesten Stupsern auf den Pedalpilz löst der Hochdruckverzögerungsapparat eine Vollbremsung aus.

Man sollte sich als Fahrer eben nicht allzu sehr einmischen, wenn die Citroën DS unterwegs ist. Besser, man verhält sich ruhig und ergötzt sich an dem wahrhaften Komfort, den die Göttin schenkt. Zwar bewegen Handkurbeln die Fensterscheiben, auch eine Zentralverriegelung spart sich die Göttin. Doch solche Spielereien, mit denen andere Autos versuchen, über unbequeme Sitze, wenig Platz oder eine ungehobelte Federung hinwegzutrösten, hat die Citroën DS nicht nötig. Nicht einmal Citroën CX oder Citroën XM reichen an das Schwebensgefühl heran, das die Citroën DS vermittelt. Selbst über wüsteste Straßen treibt sie so sanft wie eine Luftmatratze über einen ruhigen See.

Fahrkomfort ist ein zu geringes Wort dafür. Die Citroën DS hat Fahrkultur. Kein anderes Auto fährt sich wie sie. Das hat die Göttin mit zwei ganz anderen, doch ebenso unerreichten Ikonen gemein - Porsche 911 und Land Rover. Die Göttin also ist überragend, dramatisch, geradezu entrückt. Harmloser, weniger egozentrisch und alltagstauglicher löst der Citroën XM keine Göttinnendämmerung aus. Wer den Citroën XM gering schätzt, weil er keine Citroën DS ist, verkennt, dass er das niemals sein durfte, nie sein wollte und auch nicht sein konnte. Und wer den Citroën XM beschimpft, er sei wie schon der Citroën CX kein würdiger Erbe der Citroën DS, vergisst, dass Göttinnen höchstens Statthalter, aber keine Erben brauchen. Denn Göttinnen sind unsterblich.

 

Quelle: Motor Klassik

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