Mit dem neuen Peugeot 908 wollen sich die Franzosen den Sieg bei den prestigeträchtigen 24 Stunden von Le Mans zurückerobern. Als Antrieb dient ein 550 PS starker 3,7-Liter-V8-Diesel. Beim Fahrerkader bleibt alles beim Alten. Am Steuer der drei Peugeot 908 sitzen Alexander Wurz / Anthony Davidson / Marc Gené, Franck Montagny / Nicolas Minassian / Stéphane Sarrazin und im dritten Auto Sébastien Bourdais / Pedro Lamy sowie Simon Pagenaud. Mit dem 908 strebt Peugeot die Titelverteidigung im Intercontinental Le Mans Cup (ILMC) an.
Nichts ist wie es scheint. Das gilt gleichermaßen für die Kriminalliteratur wie für das Investmentbanking, aber auch für die Zauberei und oftmals auch für den Motorsport. Denn wer hätte gedacht, dass der Anfang Februar an der Pariser Prachtstraße Avenue des Champs Elysées präsentierte Peugeot 908 mit seinem Vorgänger kaum etwas gemein hat? Zu dem Verwirrspiel trägt auch der Umstand bei, dass die Marketingabteilung beschloß, den Namen 908 beizubehalten.
Fast alle Teile am Peugeot 908 sind neu Dies, obwohl das Interims-Testauto, das seit mehr als einem halben Jahr eifrig seine Runden drehte, auf die (neue) Bezeichnung "90x" getauft worden war. In einem langatmigen Vortrag erläuterte Marketingchef Xavier Peugeot dem staunenden Auditorium in etwas verschwurbelter Diktion den offenbar äußerst komplexen und schwierigen Prozess der Namensfindung: "Wir haben den Namen 908 gewählt, weil man damit eine Erfolgswelle assoziiert, auf der wir weiterreiten wollen."
Auf den ersten Blick schaut der Neue exakt so aus wie der Alte. Doch das entspricht keineswegs der Realität. "Wir haben zwar nichts wirklich Revolutionäres am Auto, aber fast alle Teile sind neu konstruiert", beteuert Technikchef Bruno Famin. "Eigentlich konnten wir nur den Scheibenwischer übernehmen. Auch wenn der neue Peugeot 908 so aussieht wie sein Vorgänger, in bezug auf die Aerodynamik, also Abtrieb und Luftwiderstand, hat sich fast alles geändert." Dies ist in erster Linie eine Folge der Regeländerungen, die 2011 in Kraft treten. Downsizing-V8-Diesel mit rund 550 PS Die Ära der 5,5-Liter-Diesel-Ballermänner mit ihren gewaltigen Kraftreserven ist vorbei. Downsizing heißt das Gebot der Stunde, das wissen auch die Veranstalter des 24-Stunden-Rennens von Le Mans. Und so beschlossen sie, dass der Hubraum der HDi (oder, im Falle Audi, der TDI) nur noch 3,7 Liter betragen darf. Während Audi auf einen V6-Diesel setzt, wählte Peugeot die Option V8. Nebenbei bemerkt: In den beiden letzten Jahren rannten die Peugeot mit V12-Power, Audi installierte in den Jahren 2009 und 2010 im Heck der R15 und der R15 plus einen Zehnzylinder-Selbstzünder.
550 PS soll der neue V8-HDi leisten, sagt Peugeot. "Das sind 150 PS weniger als beim Vorgänger", meint Technikchef Famin.? Eine Angabe, die man wohl getrost als konservativ verbuchen kann. Denn viele Le Mans-Insider glauben zu wissen, dass der verblichene V12 eher in der Region "750 PS plus-plus" angesiedelt war, zumindest im Qualfying. Wie nicht anders zu erwarten, hält sich die Begeisterung der Fahrer über die Bremsmaßnahmen durch das Regelwerk sehr in Grenzen. "Wenn sie dir etwas wegnehmen, ist das immer traurig", mosert Alexander Wurz. "Das ist wie eine Gehaltskürzung.2 Nach kurzer Bedenkzeit findet der Österreicher aber dann auch viele freundliche Worte über den neuen Peugeot 908. "Es ist immer noch ein wahnsinnig schnelles Rennauto.2 Doch die Restriktionen werden sich deutlich auf die Rundenzeiten auswirken. Neue Regeln bremsen den Peugeot 908 um mehrere Sekunden ein Wurz: "Aus dem Bauch heraus gesagt, und ohne auf irgendwelche Simulationen zurückzugreifen, würde ich sagen, dass wir in Le Mans pro Runde zwischen sieben und zehn Sekunden langsamer sind als bisher. Das liegt natürlich auch daran, dass der Neue weniger Abtrieb produziert als der Alte." Die auffälligste Änderung der Karosserie der Le Mans-Prototypen ist ebenfalls dem Reglement geschuldet. Die mächtige Finne, die sich über fast zwei Meter vom Cockpit bis zum Heckflügel zieht, soll verhindern, dass die Autos im Falle eines Drehers abheben und zu irrwitzigen (und lebensgefährlichen) Flugeinlagen starten. Wurz erklärt das Funktionsprinzip der Finne: "Wenn das Auto quer kommt, bildet sich auf der Rückseite der Finne ein starker Unterdruck. Durch diese Sogwirkung bleibt das Auto am Boden." Hoffentlich. Denn auch Wurz weiß nur allzu gut, dass Sport-Prototpyen aerodynamisch sehr delikat sind, allen Regeländerungen zum Trotz.
"Wir bei Peugeot arbeiten mit Hochdruck an weiteren Verbesserungsvorschlägen", verrät der ehemalige Formel 1-Star aus Wien. Sein Resumée klingt dennoch nicht besonders optimistisch: "Die Autos werden weiterhin fliegen. Aber die Konstrukteure müssen dagegen halten." Das Jahr 2010 war für Peugeot sehr erfolgreich. "Wir gewannen alle Rennen, nur ein einziges nicht", sagt Sportchef Olivier Quesnel, eben Le Mans. Das letztjährige 24-Stunden-Rennen war für ihn ein traumatisches Erlebnis - mit Totalausfall der Peugeot 908 und einem Dreifachsieg für den Erzrivalen Audi. Erinnerungen an das dramatische Le Mans-Desaster von 2010 Quesnel erinnert sich noch sehr gut an die letzten Stunden dieses dramatischen Rennens: "Als wir nur einen 908 im Rennen hatten, schickte ich eine SMS an Philippe Vrain, den Chef von PSA. `Was tun? Wir können weiterhin pushen, aber ich weiß nicht, was dann passiert.´" Varins knappe Antwort: "Pushen!" Das Ende ist bekannt: Auch der letzte Peugeot 908 verendete in einem Feuerschweif mit Motorschaden. "Hat leider nicht geklappt", simste Quesnel an Varin. Die Antwort vom Patron: "Macht nix. Wir machen nächsten Jahr weiter."
Peugeot-Markenchef Jean-Marc Gales erlebte das Le Mans-Drama live an der Boxenmauer, mit den Tränen und mit allem Drum und Dran. Doch eine halbe Stunde später trommelte der zu Unrecht als humorloser Kostenkiller verschriene Luxemburger die Peugeot-Mannschaft zusammen und hielt eine flammende Rede, nach dem Motto: "So geht´s ja nicht. Wir machen weiter." Mit Hochdruck stürzte sich die Équipe von Olivier Quesnel in die Arbeit. Am 27. Juli letzten Jahres ging der neue Peugeot 908 zum ersten Mal auf die Teststrecke. Audi ließ sich mit der Entwicklung des R18 satte vier Monate länger Zeit.
"Wir hatten anfangs eine Menge Probleme zu lösen", erinnert sich Technikchef Famin an das letzte halbe Jahr. Das Trauma des Misserfolgs von 2010 will Famin durch eine wahres Mammutprogramm an Übungsfahrten bekämpfen: "Insgesamt gehen wir bis zum Rennen zwölf Mal zum testen."
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 05.02.2011
130
AutoMotorUndSport