Nach nur einem Jahr hat Audi Sport das Aerodynamik-Konzept des R15 TDI für Le Mans deutlich umgestellt. Die neue Ausbaustufe hört auf die Zusatzbezeichnung R15 Plus. Der Name ist dabei durchaus Programm, wie Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich erklärt. In Hochphasen des technischen Wettrüstens altern Rennwagen im Zeitraffertempo: Nach weniger als einem Jahr schickt Audi das Aerodynamik-Konzept des 2009 präsentierten LMP1-Sportwagens R15 TDI schon wieder in Pension. Für die Le Mans-Revanche gegen Peugeot, die Audi 2009 mit einem Doppelsieg beim 24h-Rennen in Le Mans abduschten, hat die Ingolstädter Sportabteilung Lehren gezogen - und ist dabei zu neuen Erkenntnissen im Fach der Aerodynamik gekommen. Das Spiel mit dem Wind ist mittlerweile zur großen Kardinalfrage in Le Mans geworden. Le Mans-Pleite zwingt Audi zum Konzeptwechsel Wer die Gründe für diesen Konzeptwechsel verstehen will, muss auf das Jahr 2009 zurückblicken: Mal abgesehen davon, dass Audi wegen der komplett verregneten Testfahrten nur spärlich aussortiert war, erforderten drei Aspekte eine aerodynamische Überarbeitung des Audi R15. Der Protest von Peugeot gegen die Zulassung der radikalen Front-Aerodynamik des Audi-LMP1 samt der dazugehörigen Reglementsänderungen des ACO, die übermäßige Verschmutzung der seitlich montierten Kühlerpakete sowie das komplexe Durchströmungskonzept, bei dem die Luft zur Reduzierung der virtuellen Stirnfläche in zwei Tunnelschächten um das Zentralchassis des Audi R15 herumgeleitet wurde. Diese drei Faktoren erhielten in der Konzeptphase eine unterschiedliche Gewichtung. "Das Hauptproblem war die Verschmutzung der Kühler, die uns völlig auf dem falschen Fuß erwischt hat", gesteht Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich. 2009 setzten sich die Kühler in Le Mans mit feinem Staub und Gummibällchen vom Reifenabrieb zu, was das Joest-Team zu mehreren außerplanmäßigen Boxenstopps zwang. Die Gründe für die Kühlerverschmutzung sind komplex: "Denn beim Debütsieg in Sebring hatten wir keine Probleme", wie Wolfgang Ullrich versichert. Böse Überraschung in Le Mans In Le Mans fielen die Audianer aus allen Wolken, als die Motorelektronik die Leistung wegregelte, weil die verstopften Ladeluftkühler die Ansauglufttemperatur in die Höhe schießen ließen. Dafür war einerseits das komplexe Durchströmungskonzept verantwortlich, und zweitens die Anordnung der Kühler: 2009 waren die Wasserkühler oben quer im Kühlerpaket verbaut, der Ladeluftkühler lag unten und war ebenfalls horizontal angeordnet. Die vorn zwischen Fahrzeugnase und den Radhäusern einströmende Luft blies den Dreck der Rennstrecke in den unten liegenden Ladeluftkühler. In Sebring tauchte das Problem deshalb nicht auf, weil mit deutlich mehr Abtrieb gefahren wurde als in Le Mans. In Frankreich blies die Low-Downforce-Spezifikation den Schmutz dagegen förmlich in die Kühler. "In diesem Jahr wurden die Kühler nach hinten versetzt und zugleich eine vertikal stehende Kühleranordnung gewählt", erklärt Ullrich. Das Kühlerpaket wanderte 15 Zentimeter nach achtern, die Kühler stehen nach außen gespreizt im 45 Gradwinkel zum Zentralchassis also ungefähr so, wie schon beim Vorgängerauto R10, wo die Kühlerverschmutzung nie ein Thema war. Um jeden Zweifel auszuschließen, wurden vor die Kühler noch Siebe gesetzt, die die Mechaniker zu Reinigungszwecken nach oben herausziehen können. "Und schließlich haben wir noch zwei künstliche Verschmutzungstests auf dem Lausitzring durchgeführt", sagt Audi-Sportchef Ullrich. Die Teststrecke wurde dabei mit feinem Sandstaub benetzt - und dann zwei Audi R15 im Formationsflug um die Strecke gejagt. R15-Aerodynamik: Tunnelsystem passt nicht zu Le Mans Die zweite und eigentlich signifikantere Änderung des Aerodynamik-Konzeptes betrifft das durchgängige Tunnelkonzept des Audi R15: 2009 durchströmte die Luft das Chassis durch zwei tunnelähnliche Kanäle links und rechts vom Zentralchassis. Das Tunnelsystem begann vorn, wo die Luft durch Nase und Radhäuser geteilt wurde. Dann strömte die Luft seitlich an den Kühlern vorbei, was wiederum nur deshalb funktionierte, weil das Kühlerpaket sehr schmal baute und das Tunnelsystem nicht in seiner Arbeit behinderte. Zusätzlich leitete eine seitliche Öffnung Luft von außen in diesen Schacht, der sich in akrobatischer Enge unter der Motorverkleidung und seitlich an Motor und Getriebe vorbeischlängelte. Die Luft trat schließlich am Heckabschluss wieder aus. Das Tunnelsystem hatte die Aufgabe, Abtrieb zu generieren. Der Abtrieb aus dem Tunnelsystem fungierte wie derjenige aus der Unterströmung am Fahrzeugboden als "guter" Abtrieb, weil er nicht nennenswert in den Luftwiderstand einging. Warum hat Audi dieses Konzept für 2010 verworfen? Hat es nicht funktioniert? Ganz im Gegenteil, wie der Debütsieg des Audi R15 in Sebring 2009 bewies. "Auf Rennstrecken, wo viel Abtrieb erforderlich ist, hat das Tunnelkonzept ganz hervorragend funktioniert", so Ullrich. Das Auto sei für einen Einsatz auf den High-Downforce-Strecken der ALMS perfekt geeignet gewesen. In Le Mans dagegen litt Audi 2009 unter Top-Speedproblemen. Weil der ACO die Motorleistung der Diesel-LMP1 jährlich weiter reduzierte, kommt aber dem Top-Speed und damit der aerodynamischen Effizienz eine immer größere Bedeutung zu. "In Le Mans bestimmt heute die zur Verfügung stehende Motorleistung letztlich das Aero-Konzept, in das der Abtrieb und der Luftwiderstand als zentrale Größen eingehen", erklärt Ullrich. Nun tritt ein großer Teil der Luft seitlich in Fahrzeugmitte hinter den Vorderrädern wieder aus, der hintere Tunnel wurde komplett eliminiert. Ein Teil der Innenströmung blieb indes weiterhin erhalten, denn jene Luft, die durch die Kühler fließt, tritt erst im Heckbereich wieder aus. Die seitlichen Lufteintrittsschlitze dienen jetzt ausschließlich der Bremsenkühlung. Reglement zwingt Audi zu Änderungen Die dritte Baustelle betraf die Front-Aerodynamik. Hier wirkte der Peugeot-Protest von 2009 gleichsam als Auslöser: Die Franzosen warfen dem ACO - und nicht Audi - vor, bei der Zulassung des R15 zu weit gegangen zu sein. Beanstandet wurde der Audi-Frontdiffusor, der aus einem Splitter und einem nachgeordneten Flap bestand. Ullrich: "Wir hatten diese Lösung gewählt, weil der ACO für 2009 die sogenannten Rectangular rackets am Frontsplitter verboten hatte. Wir erhofften uns mit dem zweigeteilten Arrangement einen Teil des verlorenen Abtriebs zurückzugewinnen." Der Audi-Sportchef hält in diesem Zusammenhang fest, dass die Flaps am Audi R15 von 2009 keine Flügel waren, denn sie wiesen ein symmetrisches Profil auf. Das neue Frontsplitterelement ist nun einteilig und nach hinten und außen gewölbt. "Wir könnten das Doppel-Konzept auch nach dem neuen Reglement machen, doch der ACO hat nach einem Jahr Pause den Einsatz der Rectangular Brackets wieder gestattet. Daher wählten wir nach ausführlichen Konzeptvergleichen die Lösung mit dem Monoprofil", sagt Ullrich. Audi verwendet übrigens 2010 auch wieder die sogenannten Vortex-Generatoren an der Unterseite des Frontsplitters, die durch gezielte Wirbelbildung die Luftströmung besser und enger anliegen lassen. ACO sorgt für Verzögerungen in der Entwicklung Weil der ACO das Reglement für 2010 erst im November verabschiedete, kam es zu erheblichen Verzögerungen im Designprozess, wie Ullrich ausführt: "Deshalb haben wir die beiden Splitterkonzepte permanent optimiert und gegengerechnet, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein." Weil der Frontsplitter die vorn anströmende Luft teilt und auf, über oder unter das Fahrzeug lenkt, kam dieser Frage naturgemäß eine entscheidende Bedeutung zu. Die Verzögerungen bei der Abfassung der technischen Bestimmungen für 2010 werden von Audi daher als durchaus kritikwürdig betrachtet. Der Aero-Konzeptwechsel ist die Hauptänderung für 2010, doch gleichzeitig wurden viele Optimierungen im Detail vorgenommen. Weil das Reglement das Leergewicht für die Diesel-LMP1 nun endgültig auf 930 Kilo festgesetzt hat, wurden die Chassis-Baugruppen an den Crash-gefährdeten Stellen des Autos deutlich verstärkt. Gleichzeitig wurde das Tanksystem mit den zwei Hochdruckförderpumpen modifiziert, um jene Luftblasenbildung auszuschließen, die 2009 in Le Mans phasenweise für Verdruss sorgte. Weitere Modifikationen am Audi R15 Plus Zudem mussten weitere Regeländerungen beim Überarbeiten des R15 beachtet werden: Die Radhausentlüftungen vorn und hinten - die sogenannten Louver - sind nun vom Reglement stärker limitiert und müssen geradflächig gestaltet und weniger lang ausgeprägt sein, was Abtriebsverluste zur Folge hatte. Ebenso mussten die Maschendrahtgitter der hinteren Radhausverkleidungen durch stabile Kohlefaserkonstruktionen ersetzt werden. Das Zentralchassis blieb trotz der Vielzahl der Modifikationen übrigens nahezu unverändert, nur die Aufnahmen für die zurückversetzten Kühler wurden neu gestaltet. Ein weiteres Kennzeichen des Audi R15 Plus sind die Ausbuchtungen an der Innenseite der vorderen Radhäuser: "Wir haben die Querverbindungen zwischen Chassisnase und Radhaus abgesenkt", so Sportchef Ullrich. "Daher mussten wir die Radhäuser nach innen ausbuchten, um Platz für die Reifen bei vollem Lenkeinschlag zu gewährleisten." Die seitlichen Abschlüsse des Frontsplitters, die sogenannten Jabroc-Endplatten, können nun von den Mechanikern schneller getauscht werden, um auf Anpassungen beim Setup sowie der Fahrzeugstandhöhe reagieren zu können. Weniger Licht im Audi R15-Cockpit Und schließlich dürfen sich die Piloten über ein überarbeitetes Cockpit freuen. Ullrich: "Wir haben viele Schalter, Knöpfe und vor allem störende Lichtquellen aus dem Blickwinkel des Fahrers entfernt." Ein großes Schalterpanel rechts neben dem Fahrer nimmt die zahllosen Verstellmöglichkeiten für Motorkennfelder, Drehzahlsensoren, ASR, Elektronik-Reset und Benzinpumpen auf. Weniger Lampengefunzel im Cockpit, dafür mehr Licht auf der Straße: Audi Sport verwöhnt seine Fahrer 2010 mit einem neuen Kurvenlichtsystem, das vor allem die Nachtsicht beim 24h-Rennen in Le Mans deutlich verbessern soll. Nur auf den ersten Blick scheint es übrigens so, als sei die Nase mit den auffälligen Doppelkonen an der Front eine Neuheit, doch Sportchef Ullrich verweist darauf, dass nur die Kohlefaserabdeckung aus dem Vorjahr verschwunden sei: "Die beiden Konen sind Teil der Crashstruktur. Wir wollten verhindern, die bei Modifikationen fälligen Crashtests durchführen zu müssen. Zudem waren die Designer der Meinung, dass die Doppelkonen hübscher aussehen." Umbau des Audi R15 hat sich gelohnt Die Summe des Feinschliffs lässt sich in konkrete Zahlen fassen: Der Audi R15 Plus ist in Paul Ricard 1,5 Sekunden schneller als sein Vorgänger - die Mühen der Modifikation haben sich gelohnt. Eines ist aber jetzt schon klar: Wenn Audi 2011 in Le Mans antreten sollte, muss die Sportabteilung abermals ein neues Auto bauen. Diesmal nicht wegen des technischen Wettrüstens, sondern weil das bestehende Reglement Ende des Jahres ausläuft. Der R15 Plus ist also abermals ein Jahres-Wagen.
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 08.06.2010
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