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Reifenabrieb und Mikroplastik: Forscher suchen Lösungen - Reifen-Abrieb hinterlässt tonnenweise Plastikmüll

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Reifenabrieb belastet die Umwelt. Abgelöste Mikroplastikpartikel landen tonnenweise auf der Straße und bei Regen in der Kanalisation. Die Forschung arbeitet an Lösungen.

Ein Burn-out mit den Reifen macht Spaß, aber: Er sorgt auch dafür, dass viel Mikroplastik in die Umwelt gelangt Ein Burn-out mit den Reifen macht Spaß, aber: Er sorgt auch dafür, dass viel Mikroplastik in die Umwelt gelangt

Von Haiko Prengel

Berlin - Daniel Venghaus gehört zu den vorausschauenden Autofahrern. „Abruptes Anfahren und Bremsen versuche ich zu vermeiden“, sagt der 35-Jährige. Mit seinem Fahrstil minimiert er nicht nur die Unfallgefahr, er schont auch die Reifen. Das kommt dem Geldbeutel zugute – und der Umwelt.

Denn Kfz-Reifen hinterlassen Rückstände. Unzählige Gummiteilchen durch Profilabrieb. Teils sind sie mikroskopisch klein und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Doch in der Masse stellen sie ein großes Problem für die Umwelt dar, genauso wie Abgase. Denn Reifen von Autos und Lastwagen nutzen sich im Alter und durch das Fahren ab und erodieren. Die abgelösten Gummiteilchen landen tonnenweise in der Umwelt.

Reifenabrieb ist ein großes Umweltproblem. Laut einer Studie das zweitgrößte im Zusammenhang mit Mikroplastik Reifenabrieb ist ein großes Umweltproblem. Laut einer Studie das zweitgrößte im Zusammenhang mit Mikroplastik Daniel Venghaus ist Wissenschaftler an der Technischen Universität (TU) Berlin. Die hat das Forschungsprojekt RAU gestartet: „Reifenabrieb in der Umwelt“. Die Forscher untersuchen, in welchem Ausmaß sich Mikroplastik-Teilchen von Autoreifen im Straßenverkehr ablösen und dann über die Kanalisation in die Gewässer gelangen. Beteiligt sind der Reifenhersteller Continental, der Volkswagen-Konzern, die Berliner Wasserbetriebe und verschiedene Unternehmen aus der Analyse- und Messtechnik.

Laut einer internationalen Studie von 2017 landen pro Jahr zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren. Ein Viertel (28,3 Prozent) soll davon auf Mikropartikel von abgefahrenen Reifen entfallen. Nur die Rückstände von synthetischen Textilien, die in der Waschmaschine entstehen, verursachen laut der Studie noch mehr maritimen Müll (34,8 Prozent).

Mehr Autos = mehr Abrieb

Dass Autoreifen ein Problem für die Umwelt sind, ist schon länger bekannt. Allein in Deutschland fallen laut Umweltbundesamt jedes Jahr 600.000 Tonnen Altreifen an, deren Verwertung und Entsorgung Probleme bereitet. Das Recyclingverfahren ist aufgrund der verschiedenen Materialien (Gummi, Stahl, textile Komponenten sowie umweltgefährdende Stoffe) aufwendig und kann nur von spezialisierten Firmen durchgeführt werden. Zudem gilt Reifenabrieb als gesundheitsgefährdende Feinstaubquelle, weil er zum Beispiel krebserregende polyzyklische Kohlenwasserstoffe enthält.

Auch der kaum sichtbare Reifenabrieb trägt massiv zum Plastikmüll-Problem bei. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass jedes Jahr 110.000 Tonnen Reifenabrieb auf deutschen Straßen entstehen.

„Makroplastik und daraus entstehendes Mikroplastik, zu dem auch Reifenabrieb gehört, gelangt über unterschiedliche Eintragspfade in die aquatische Umwelt“, erklären die Forscher der TU Berlin. Der zunehmende Kfz-Verkehr, allein in Berlin kommen jedes Jahr 20.000 neue Fahrzeuge hinzu, führt unweigerlich zu vermehrtem Aufkommen an Reifenabrieb.

Wie viel von diesem Reifenabrieb über die Straßenabflüsse in den Gewässern landet, will das Forschungsprojekt RAU untersuchen. TU-Wissenschaftler Daniel Venghaus fährt dazu regelmäßig zur Clayallee. Auf der Hauptstraße im beschaulichen Berliner Südwesten sind jeden Tag 30.000 Kraftfahrzeuge unterwegs.

Filter in der Kanalisation

Venghaus interessiert sich vor allem für die Straßengullis auf der Clayallee. Darin haben die TU-Forscher verschiedene Filtersysteme installiert, die den Straßendreck, der nach Regengüssen in der Kanalisation und damit in den Gewässern landet, auffangen sollen. Dazu gehören im Frühjahr Pollen von Bäumen, im Herbst Laub und nach Schneefall auch mal Streusalz. Und eben Reifenabrieb, das ganze Jahr über.

Getestet werden zwei Filtersysteme, die Schadstoffe aus dem Straßenablaufwasser herausfiltern sollen, bevor es in die Gewässer gelangt: der Straßenablauffilter Innolet der Firma Funke Kunststoffe sowie das System Budavinci des Straßenkanal-Herstellers MeierGuss. Erste Untersuchungen sind vielversprechend: „Im Laborbetrieb konnten wir über beide Systeme erfolgreich Plastikpartikel aus Niederschlagswasser herausfiltern“, sagt TU-Forscher Daniel Venghaus. Inzwischen erfolgte der Praxistest im Untergrund der Berliner Clayallee. Die Ergebnisse würden noch ausgewertet und seien erst im kommenden Jahr zu erwarten, sagt Venghaus.

Umweltschützer halten die Folgen des Reifenabriebs für dramatisch. „Das Problem wurde lange nicht wahrgenommen“, sagt Nadja Zierbarth vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Zierbarth leitet in Bremen das Meeresschutzbüro des BUND. „Plastikrückstände lassen sich praktisch bei allen Lebewesen im Meer feststellen - vom Zooplankton über Muscheln und in den Mägen von Fischen bis zum Kot von Seehunden,“ berichtet die Meeresbiologin.

Die Aufnahme von Mikroplastik durch die Tiere habe ernste Folgen. Sie entwickelten Geschwüre, Verstopfungen und Vergiftungen. Über die Fischerei können die Plastikteile auch beim Menschen auf dem Teller landen. Abgesehen davon landet Mikroplastik nicht nur im Meer, sondern über die Kanalisation auch im Grund- und Trinkwasser.

Die Industrie sucht Lösungen

Die Reifenhersteller haben das Problem erkannt. „Wir sind uns unserer Verantwortung als Premium-Reifenhersteller bewusst und arbeiten aktiv an der Forschung zum Thema Reifenabrieb mit“, erklärt ein Sprecher von Continental. Daher sei der Konzern Gründungsmitglied des „Tire Industry Project“, eine Initiative von elf führenden Reifenherstellern, die sich für mehr Nachhaltigkeit ihrer Produkte einsetzt. Zudem sei man aktiv im Bereich der Untersuchungen zum Umwelteintrag von Abrieb in Gewässern und beteilige sich beim Projekt „RAU“ an der TU Berlin.

Man wolle dazu beitragen, den Umwelteintrag von Abrieb so weit wie möglich zu reduzieren, so der Continental-Sprecher. Wirksame Maßnahmen könnten eine optimierte Straßenreinigung oder der zielgenaue Einsatz von Filtersystemen auf viel befahrenen Straßen sein. Also dort, wo am meisten Abrieb entsteht.

Schwieriges Reifen-Recycling: Nur Spezialfirmen können ausgediente Pneus fachgerecht wiederverwerten Schwieriges Reifen-Recycling: Nur Spezialfirmen können ausgediente Pneus fachgerecht wiederverwerten Die Reifen-Hersteller forschen auch auf dem Gebiet biologisch abbaubarer Materialien. Der Michelin-Konzern stellte vor einem Jahr die Studie „Visionary Concept“ vor, einen luftlosen Konzeptreifen aus Recyclingmaterial. Die Lauffläche soll die gleichen Qualitäten und Fahreigenschaften wie ein konventioneller Reifen haben, aber biologisch abbaubar sein. Doch bis zur möglichen Serienreife wird es noch dauern. Die Technologie werde frühestens in zehn Jahren serienreif sein, sagt ein Sprecher von Michelin.

Mehrere Lösungen sind nötig

Der Umweltorganisation BUND dauert das zu lange. „Es müssen schnell Lösungen gefunden werden, um den Mikroplastik-Eintrag von Kfz-Reifen in die Gewässer zu minimieren beziehungsweise ganz zu stoppen“, fordert Meeresschutz-Expertin Nadja Zierbarth.

Die Filtersysteme, die in der Berliner Clayallee getestet wurden, könnten dabei helfen – insbesondere an stark befahrenen Kreuzungen, wo viel angefahren und gebremst wird. Doch eine flächendeckende Installation in zigtausenden Straßengullis wäre viel zu teuer. Ein Straßenablauffilter der Firma Funke kostet um die 1.500 Euro. Zudem empfiehlt das Unternehmen, den Filtereinsatz – ein Granulat, das Tropföle, Schwermetalle und eben Mikroplastik auffängt – einmal im Jahr zu wechseln. Die Wartung verursacht also zusätzlichen Aufwand und Kosten.

„Die Filter könnten beim Herausfiltern von Mikroplastik eine gute Sache sein, aber sie werden wohl nur eine Teillösung sein“, sagt TU-Forscher Daniel Venghaus. Untersucht werden müssten weitere Ansätze, etwa verbesserte Techniken der städtischen Straßenreinigungen. Auch eine

Optimierung der Verkehrsführung

könnte den Reifenabrieb minimieren, etwa durch intelligente Ampelschaltungen (Grüne Welle) oder geschickte Straßenführungen. Darüber hinaus könne jeder Autofahrer selbst etwas dazu beitragen, um den Reifenabrieb zu reduzieren, sagt Forscher Venghaus. Und das sei ganz einfach: stets vorausschauend fahren.

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