Immer wieder finden Crashtester in Südamerika oder Asien Neuwagen großer Marken, die keinerlei Sicherheitsstandards erfüllen. Dies thematisiert nun eine UN-Resolution.
New York - Heutige Autos sind so sicher wie noch nie? Wer das glaubt, sollte mal über den Tellerrand schauen. Dieselben Konzerne, die in Europa oder den USA komplexe Sicherheitstechnik in ihre Autos einbauen, finden das in anderen Märkten unnötig. Das hat Folgen, oft blutige. Nach Zahlen der Vereinten Nationen sterben jährlich 1,25 Millionen Menschen im Straßenverkehr, 50 Millionen werden verletzt. 90 Prozent dieser Unfälle geschehen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Auch dort kosten Neuwagen oftmals viel Geld, aber: Einige Modelle bieten nicht einmal grundlegende Schutzvorrichtungen wie Sicherheitsgurte oder Airbags. Am vergangenen Freitag befasste sich nun die UN-Hauptversammlung mit einer Resolution zur Verkehrssicherheit, die es in sich hat. Die Vereinten Nationen haben technische und gesetzliche Mindeststandards in ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung verankert, ebenso im bis 2020 angelegten UN-Plan für Verkehrssicherheit. Konkret fordert die UN-Versammlung ihre Mitgliedstaaten auf (oder, wie die Resolution höflich formuliert, „lädt sie ein“): per Gesetz sicherzustellen, dass alle neuen Fahrzeuge minimale Sicherheitsanforderungen erfüllen. Konkret: Sicherheitsgurte, Airbags und aktive Sicherheitssysteme sollen verbaut werden. Denn weiterhin verkaufen viele Konzerne Neuwagen ohne die Technik. Blaue Briefe für Carlos GhosnGlobal NCAP, eine weltweite Crashtest-Organisation unter Beteiligung des deutschen ADAC, wies immer wieder auf Neuwagen-Todesfallen in Märkten wie Südamerika, Afrika und Asien hin. 2014 forderte das Konsortium den Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn auf, den Datsun Go vom Markt zu nehmen. Ebenso wie Einstiegsmodelle von Suzuki, Hyundai oder Ford erzielte die indische Version des Billig-Autos im Crashtest null Sterne. Global-NCAP-Generalsekretär David Ward schrieb erst im Februar 2016 erneut an Ghosn. Renault hatte in Uruguay den Renault Mégane in dortiger Ausführung mit fünf Sternen im Euro NCAP beworben. Eine dreiste Täuschung für ein Auto mit zwei Airbags und ohne ESP, befand Ward. Kurz zuvor hatte Latin NCAP dem südamerikanischen Renault Clio alle Sterne aberkannt, nachdem Renault die serienmäßigen Airbags gestrichen hatte. Null Sterne für Chevrolet SailEs knirscht zwischen Renault-Nissan und den Crashtestern. Die Limousine Nissan Tsuru (ab umgerechnet 7.300 Euro) beschrieb Latin NCAP jüngst als „tödlichstes Auto in Mexiko“. Der Tsuru, weltweit als Nissan Sunny B13 (1990-1994) verkauft, wird in Mexiko weiterhin produziert. Quelle: Nissan Mexico Das Modell sei direkt an 4.000 Todesfällen in dem Land beteiligt und damit gefährlicher als jedes andere Pkw-Modell, schreibt Latin NCAP. Es erhielt 2014 in einem Test null Sterne. Alejandro Furas, Latin-NCAP-Generalsekretär: „Es ist erstaunlich, dass dieses Modell in Mexiko noch verkauft werden darf“. Mexiko sei einer der wichtigsten Autoexporteure der Welt und exportiere deutlich bessere Autos. Kleiner Trost für Carlos Ghosn: Die gleiche Organisation hat nun auch General Motors im Visier. „Ich bin schockiert, dass wir weiterhin Null-Sterne-Chevrolets in Lateinamerika finden“, sagte Latin-NCAP-Präsidentin María Fernanda Rodríguez. Soeben war das Stufenheckmodell Chevrolet Sail mit null Sternen durch den Crashtest gerauscht. Keine zwei Airbags serienmäßig, keine Dreipunktgurte auf allen Sitzen – Sicherheit geht anders. Forderung: ESP in Serie bis 2020Rodríguez erhebt schwere Vorwürfe: GM-Chefin Mary Barra habe sich erst kürzlich geweigert zuzusagen, Airbags in Südamerika als Serienausstattung anzubieten. Honda, Toyota und Volkswagen hätten ihre Sicherheitsstandards deutlich erhöht, GM als Marktführer nicht. Auch Chevrolet Aveo und Spark bietet GM weiter ohne Airbags an. In der Initiative „Stopthecrash“ fordert Global NCAP: Jedes Auto soll spätestens 2020 serienmäßig mit zeitgemäßer Sicherheitstechnik ausgestattet sein. Man sieht sich hier auf einer Linie mit den Vereinten Nationen, die Forderungen gehen aber weiter: Neben Airbags, Dreipunktgurten und ABS fordert „Stopthecrash“ auch ESP, eine autonome Notfallbremse sowie für Motorräder ein ABS. Auf der Unterstützerliste der Initiative finden sich die Zulieferer Autoliv, Denso, Bosch und Continental. Unternehmen also, deren Bilanz nicht darunter leiden würde, wenn ihre Sicherheitssysteme weltweit öfter eingebaut würden. Letztlich müssen jedoch die Regierungen der Staaten tätig werden, in denen Neuwagen auf dem technischen Stand der 1970er-Jahre weiterhin legal sind. Ohne Druck, das zeigt die Vergangenheit, scheint die Industrie dazu nicht in der Lage. |