Wofür wurde die Rückbank nicht alles benutzt! Sie wurde als Stundenhotel, Knutschzone und Kinderzimmer verwendet. Und heute? Heute hat sie ausgedient. Schade eigentlich. Findet zumindest Wiebke Brauer. Ach, so eine ordentliche Rückbank hat doch etwas für sich. Ich für meinen Teil bin darauf aufgewachsen. Der blaumelierte Bezug im Fond roch muffig nach Kind, Kilometern und Kombüse, die herausziehbare Armlehne war angeschnuddelt, hinter dem Beifahrersitz lagen vorsorglich die Spucktüten, falls sich mal wieder der kleine Magen umdrehte und ein semidigestiertes Dolomiti-Eis von sich gab. Auf der Rückbank wurde „Memory“, Kennzeichenraten und „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ gespielt, wenn es regnete, zeichnete man mit dem Finger den Lauf der Tropfen nach. Ab und an winkte man anderen Kindern auf den hinteren Rängen – oder streckte todesmutig die Zunge heraus. Seine Geschwister durfte man nicht hauen, was man natürlich trotzdem tat, der Mutter trat man tunlichst nicht in die Rückenlehne, sonst gab es mächtig Ärger. Und Vati wurde eh nicht angesprochen oder gepokt. Der musste schließlich fahren – und das war patriarchale Anstrengung genug. Im geschlechtsreifen Alter angekommen, gewann die zweite Reihe ganz neue Qualitäten dazu. Hier wurde ausgehwütiges Jungvolk gestapelt, das auf komische Ideen kam: „Komm, wir fahren mal eben nach Lübeck, Marzipan futtern.“ Und schon belud man einen VW Kübel mit Teenies und düste los. Wenn es dunkelte, wurde geknutscht bis zum vermeintlichen Erstickungstod und ordentlich was weggevögelt. Nun ja. Oder man behauptete es. Natürlich wurden ganze Sachbücher darüber verfasst, in welchem Modell man welche Stellung praktizieren könne – am besten mit humoristischen Illustrationen und fetzigen Sprüchen versehen. Und irgendwie hat das Thema niemals an Schmierigkeit verloren. Man braucht nur kurz in ein modernes Herrenblatt zu blicken: „Achtung! Bei Erregung öffentlichen Ärgernisses drohen bis zu ein Jahr Knast oder eine Geldstrafe. Ikea-Parkplätze meiden!“ Ich frage mich: Wer fährt denn dafür zu Ikea? Vielleicht habe ich deren Slogan „Entdecke die Möglichkeiten“ auch nie in seiner ganzen sexuellen Doppeldeutigkeit erfasst. Tja, nun. Heute fliegen die Familien pauschal nach Malle oder Lanze – und den Trieben wird gefrönt, wo es gefällt. Aber ich will mich jetzt nicht in retrospektiven Schluchzern ergehen. Denn wie das Schicksal so spielt, findet sich in meiner heiß geliebten Sternenflotte auch keine Rückbank. Im Coupé lassen sich mit viel Liebe und Oregami-Kenntnissen gelenkige Menschen unterbringen. Aber nur, wenn Ordnungshüter und Amnesty nicht hinsehen. Und in der schwarzen Schleuder mahnt eine kleine Teppichstufe hinter den Sitzen, was sie nicht ist und niemals werden wird: Eine Rückbank. Aber trotzdem denke ich gern zurück. Im wahrsten Sinne. von Wiebke Brauer
Quelle: Carsablanca |
verfasst am 19.10.2009
Carsablanca