Steigende Rechenleistung, sinkende Preise: Kameras als Spiegelersatz werden für Autos zunehmend interessant. Sie versprechen bessere Sicht und senken den Verbrauch.
München/Detroit - Wer im neuesten BMW-Prototypen sitzt, sucht vor dem Spurwechsel vergebens nach Orientierung in den Außenspiegeln. An deren Stelle hat der i8 Mirrorless hochauflösende Videokameras. Ihr Bild erscheint als Breitwand-Panorama auf einem digitalen Display. Das sitzt am oberen Rand der Frontscheibe. Dort fehlt ebenfalls ein Rückspiegel. Dieses und viele andere Forschungsfahrzeuge experimentieren Kameras statt Spiegelglas. Nach dem Zündschlüssel, der Fensterkurbel oder dem Kassettenradio könnte auch Spiegel bald ausgemustert werden. Zu einer Technik, die zukünftige Autofahrer-Generationen nicht mehr kennen. Mehr Ruhe und weniger VerbrauchIn den Serieneinsatz kamen virtuelle Spiegel bisher nur in Kleinserien wie dem XL1 von VW. Zu schlecht waren Auflösung und Ablesbarkeit, zu langsam die Bildumsetzung, zu hoch die Hürden bei der Zulassung und zu teuer die Komponenten - sagt Mercedes-Advanced-Designer Steffen Köhl. Sein Team arbeitet zuletzt bei der Studie Concept IAA mit solchen Systemen. Quelle: Cadillac Der Zulieferer Continental sieht die Kameras vor allem im Windkanal mit Vorteilen: Weil sie kleiner sind und besser in die Karosserie integriert werden können, sinkt der Luftwiderstand und damit der Verbrauch. Weiteres Plus: Weniger Verwirbelungen bedeuten weniger Windgeräusche zurück. Das allein sei den Aufwand nicht wert, glaubt Elmar Frickenstein, der bei BMW die Elektronik-Entwicklung verantwortet. Zwar sieht er mit der wachsenden Rechenleistung die Kosten sinken und das Übertragungstempo steigen. Außerdem stecken im Auto ohnehin immer mehr Kameras. "Doch wirklich sinnvoll ist der virtuelle Spiegel nur, wenn wir dem Fahrer zusätzliche Informationen und Funktionen bieten können", sagt der Entwickler. Kameras sollen Autofahrer unterstützenIn i8-Prototypen hat seine Mannschaft zum Beispiel ein Assistenzsystem programmiert, das beim Überholen auf Fahrzeuge im toten Winkel hinweist. Außerdem ändert sich die Perspektive des Spiegels passend zum Lenkeinschlag. Künftig könnte sich Frickenstein auch Warnsymbole für Fußgänger oder Radfahrer vorstellen, Hilfslinien zum Rangieren oder die Integration von Navigationshinweisen: "Je größer die Vernetzung mit anderen Assistenzsystemen wird, desto größer wird auch der Vorteil gegenüber dem konventionellen Spiegel." Andere Hersteller machen bereits Ernst. Der elektrisch angetriebene Chevrolet Bolt bekommt zum Marktstart 2017 nach Angaben des Herstellers gegen Aufpreis ein Kamerasystem im Heck und bietet dem Fahrer so eine erweiterte Rücksicht ohne toten Winkel. Quelle: VW Die gleiche Technik setzt General Motors bei den Cadillac-Modellen CT6 und XT5 ein und verspricht ein dreimal so großes Blickfeld: Kopfstützen oder Karosseriesäulen würden mit elektronischer Hilfe quasi durchsichtig. Der Zulieferer Panasonic geht noch weiter und baut mit aufwändiger Technik einen analogen Spiegel nach. In einem Prototypen hat das Unternehmen Bildschirm und Kameras so programmiert, dass man mit dem Drehen und Kippen des Displays wie bei einem konventionellen Spiegel die Blickrichtung und den Bildausschnitt verändert. Serienreife erst in mehreren JahrenObwohl die Forschung auf Hochtouren läuft und die Technologie auf den Markt drängt, wird es bis zum großflächigen Einsatz der digitalen Spiegel im Auto noch etwas dauern. BMW-Mann Frickenstein bittet noch mindestens um drei bis fünf Jahre Geduld. Bei aller Begeisterung für die neue Technik kann er auch mit dem konventionellen Spiegel gut leben. Nicht nur weil er im Auto bisher gut funktioniert und den Fahrern der Umgang damit in Fleisch und Blut übergegangen ist. Sondern auch, weil er ein paar ganz praktische Vorteile hat: "Ein Spiegel aus Glas arbeitet frei von Verzerrungen, zeigt sein Bild in Echtzeit und kostet nur den Bruchteil eines Kamera-Systems." Weitere MOTOR-TALK-News findet Ihr in unserer übersichtlichen 7-Tage-Ansicht |