Was heute auf den Straßen vor katalanischen Wahllokalen passiert, prägt, was morgen auf diesen Straßen fährt. Das zeigt schon die Geschichte Seats. Und nicht nur die.
Barcelona – Ein großer Teil der Bevölkerung Kataloniens will die Unabhängigkeit von Spanien. Die angedachte Abspaltung vom Königreich wirft Fragen auf. Die aus automobiler Sicht brennendste ist: Wie würde der ansässige Autohersteller Seat reagieren? In Katalonien bleiben oder nach Spanien umsiedeln? Rein geographisch gehört das Unternehmen seit seiner Gründung untrennbar zu Katalonien. Doch aus historischer und politischer Perspektive könnte der Autohersteller gar nicht weiter von der um Autonomie bestrebten Region entfernt sein. Denn zur Welt kam die Marke Seat als Prestigeprojekt der Militärdiktatur unter Francisco Franco. Und stammt somit aus einer Zeit, in der Katalonien vermutlich den stärksten Repressalien seit der Annektierung durch Spanien vor mehr als 300 Jahren ausgesetzt war. Der Faschismus prägte die ersten Jahrzehnte der Modellgeschichte. Und sorgte, lange bevor VW kam, für Seat-Modelle auf Fiat-Basis. Adéu, Catalunya - Hola España? Wahrscheinlich ist, dass bei Seat mindestens eine Exitstrategie in der Schublade liegt. Nach Angaben des lokalen Unternehmerverbandes "Empresaris de Catalunya" zogen sich schon 2016 einige Unternehmen aufgrund der unsicheren Lage aus Katalonien zurück. Für einen Verbleib spricht im Falle Seats, dass ein solcher Abzug kompliziert wäre. Allein im Stammwerk in Martorell bei Barcelona beschäftigt Seat mehr als 12.000 MitarbeiterNicht nur für Belegschaft, Hallen und Fertigungsstraßen müsste der Hersteller schnell Ersatz finden. Auch der Großteil der spanischen Zulieferer, mehr als 150 große Unternehmen, sitzt in Katalonien. Darunter Größen wie Bosch, Siemens, Denso oder Johnson Controls. Viele wählten den Nordosten Spaniens wegen der Nähe zum Seat-Werk. In der Autoindustrie Kataloniens arbeiten fast 40.000 Menschen - die meisten, weil es das große Seat-Werk gibt. Letztlich würde Seat die Entscheidung wohl auch im Hinblick auf die Lohnniveaus und Steuersätze im künftig freien Katalonien fällen. Wobei auch sicherheitsrelevante Überlegungen mitspielen dürften: Seat benötige ein "stabiles Umfeld " wird Seat Firmenchef Luca de Meo von der Badischen Zeitung im Hinblick auf den Katalonien-Konflikt zitiert. Nun ja, ein Bekenntnis zum Standort klingt anders. Kataloniens Stolz startete als Madrider PrestigeprojektDie Katalanen wollen die VW-Tochter jedenfalls nicht gehen sehen, zumal Seat der größte Arbeitgeber der Region ist. Und auch, weil man stolz ist, dass der Automobilhersteller hier seit seiner Gründung fertigt. Die Wahrheit hinter der Wahrheit ist allerdings: Seat eine durch und durch katalanische Marke zu nennen, könnte in mancher Kneipe der Region zu Problemen führen. Und das hat nichts mit der nunmehr 99,99-Prozent-Beteiligung von Volkswagen zu tun. Das Modellprogramm sowieso: Das Debütmodell Seat 1400 von 1953 entsprach dem gleichnamigen Fiat. Das ursprüngliche Ziel – die breite Masse von Pferd, Fahrrad und Motorroller weg und ins Autocockpit zu holen – gelang ab 1957 mit dem Seat 600 auf Basis des Fiat Seicento. Er gilt als „spanischer Käfer“. Und trug wie dieser einen liebevollen Spitznamen, der die eigentliche Typenbezeichnung im Sprachgebrauch ablöste: La Pelotilla, das Bällchen. Nicht immer beschränkte man sich aufs Kopieren. So lieferte Seat den 127 wahlweise auch als Fünftürer aus, während es das italienische Original ausschließlich mit drei Türen gab. Kaum Importkonkurrenz durch hohe SchutzzölleFür Seat lief es gut am heimischen Markt. Bis Mitte der 1970er-Jahre war etwa jeder zweite verkaufte PKW ein Seat. Viele Alternativen gab es auch nicht: hohe Schutzzölle und ein geringes Maximalkontingent hielten die Importwagen aus dem Land. Seats größter Konkurrent hieß Fasa, wohinter sich Renault verbarg. Das Franco-Regime wollte dem Unternehmen unter Beteiligung des französischen Herstellers und privater spanischer Geldgeber eigentlich die Produktion untersagen. Doch als der Autobauer den Bruder des Diktators in den Vorstand hievte, konnte die Produktion des Renault-4CV-Zwillings 4/4 im Jahr 1953 starten. Den größten Erfolg feierte man mit einem Ableger des Mittelklassewagens Renault Dauphine. Verschärfte Konkurrenz nach Ende des Regimes Die Folge war das Ende der Partnerschaft, Rosenkrieg inklusive: Fiat bestand nun auf Lizenzgebühren für die aktuellen Modelle – etwa den Seat Panda, Vorgänger des in Deutschland bekannteren Kleinwagens Marbella. Als die Spanier den gelifteten Ritmo als „Ronda“ vorfahren ließen und zu einem neuen Modell erklärten, zog der einstige Miteigentümer gar vor Gericht. Als stummer Zeuge der Verhandlung existiert noch ein Ronda-Exemplar mit bunten Markierungen. So hatte Seat dem Richter die Änderungen gegenüber Fiats Ritmo begreifbar machen wollen. Zu besichtigen ist das Auto an der Geburtsstätte des ersten Seat-Modells, im einstigen Stammwerk nahe des Hafens von Barcelona. Wo heute kein komplettes Fahrzeug mehr gefertigt wird. Aktuell kommen die meisten Seats aus dem großen Werk in Martorell, etwa 30 Kilometer außerhalb der katalonischen Regionalhauptstadt. Als der gewaltige Produktionsstandort entstand, war Seat bereits Teil des Volkswagenimperiums. Fazit: Die Politik entscheidet Was in drei bis zehn Jahren auf den Straße steht, kann man in den Strategiepapieren der Hersteller nachlesen. Doch wie Hersteller in Zukunft agieren, was sie anbieten und wo sie produzieren, dafür sind Wahlzettel mitentscheidend. Auch solche, die gar nicht abgegeben werden durften, wie das zum Teil beim Unabhängigkeitsreferendum der Fall war. Vielleicht sogar ganz besonders solche. |
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