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Ein Tag mit dem Goodyear-Reifentester Vincent Lopez - Sekundenzählen im finnischen Schnee

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Auch in Lappland nördlich des Polarkreises herrscht kein ewiger Winter. Aber es reicht, um bei Schneegarantie neue Winterreifen zu testen. Das haben wir uns einmal angeschaut.

Wie entstehen unsere Winterreifen? In Finnland trafen wir den Goodyear-Testfahrer Vincent Lopez Wie entstehen unsere Winterreifen? In Finnland trafen wir den Goodyear-Testfahrer Vincent Lopez Quelle: Goodyear Dunlop

Ivalo - Lappland. nichts als Schnee, Rentiere und Wälder. Von hier sind es nur 300 Kilometer bis Murmansk, dem Hafen der russischen Eismeerflotte. Im Winter ist es hier immer dunkel, im Sommer immer hell. Es gibt nicht viel in dieser Gegend, außer: Schnee- und Frostgarantie von November bis April.

Genau deshalb unterhalten mehrere Auto- und Reifenhersteller in dieser Gegend, 360 Kilometer nördlich des Polarkreises, ihre Testcenter. Auch Goodyear-Dunlop testet hier Winterreifen.

Wer schon mal auf einem hermetisch abgeriegelten Auto-Testgelände war, den überrascht, wie öffentlich Reifenhersteller ihre Gummis testen. Durch einen weitmaschigen Zaun winken wir den Teilnehmern einer Schneemobil-Safari aus dem nahen Skiort Saariselkä zu. Wer wollte, könnte hier spionieren – aber mehr als Gummi von weitem bekäme auch das beste Objektiv nicht zu sehen. Das Geheimnis liege ohnehin eher in den Mischungen als im Profil, erzählen die Techniker.

Pylonen-Parcours auf Schnee: Vincent beim Versuchsaufbau Pylonen-Parcours auf Schnee: Vincent beim Versuchsaufbau Quelle: Goodyear Dunlop Wir treffen den Testfahrer Vincent Lopez, 35 Jahre, Belgier. Vincent trägt einen schicken Rennanzug. Das müsste er als Testfahrer nicht. Aber der Ex-Rallyefahrer gefällt sich darin, besser jedenfalls als in Jeans und Teamjacke. Sechs bis zehn Wochen pro Winter verbringt Lopez mit Unterbrechungen in Lappland: „In Skandinavien verbringen wir zuweilen drei Wochen im Dunkeln, ohne die Sonne zu sehen. Auch die extreme Kälte ist gewöhnungsbedürftig“. Heute geht es, die Temperatur liegt nur knapp unter dem Gefrierpunkt.

Die Messtechnik basiert auf Windows 98

Seit 2005 testet Vincent für Goodyear. Das klingt nach jeder Menge Spaß, ist aber oft zermürbende Routine: Anfahren, Bremsen, Anfahren, Bremsen. Dabei: permanent messen, Prüfergebnisse bewerten, und wieder von vorn. „Reifen zu testen ist eine äußerst exakte Wissenschaft“, sagt Vincent Lopez.

Wir wollen es ebenfalls probieren. Der Versuchsaufbau: Ein simpler Beschleunigungs- und Bremstest auf Schnee. Dabei geht es um exakte Werte, um reproduzierbare, per GPS gemessene Ergebnisse: Wie schnell beschleunigt das Auto, wie lang ist der Bremsweg aus stets der gleichen Geschwindigkeit.

Dabei muss man sehr genau und immer gleich fahren. Für Unerfahrene kaum zu schaffen, für Vincent schon. Auch ein routinierter Immer-Gleich-Fahrer schafft es allerdings nicht, beim Anfahren inklusive einkuppeln immer gleich zu fahren. Deshalb beginnt die Messung bei acht Kilometern pro Stunde. Wir beschleunigen zunächst auf 30 km/h, dann auf 50 und bremsen auf 5 km/h herunter.

Die Messtechnik besteht aus einem Rallyecomputer und einer Spezial-Software auf Windows-98-Basis, die auf einem Messcomputer läuft. Geile Grafik ist hier egal, solche Programme kauft man nicht ständig neu. Unsere Ergebnisse zeigen immerhin einen Trend: Der aufgezogene Goodyear-Reifen benötigt für die Beschleunigung von acht auf 30 km/h vier Meter weniger als ein chinesisches Vergleichsmodell, und für die Bremsung von 50 auf fünf km/h sogar sieben Meter weniger.

Nichts geht über Heckantrieb: In die Kurve geht es mit einem kontrollierten Drift Nichts geht über Heckantrieb: In die Kurve geht es mit einem kontrollierten Drift Quelle: Goodyear Dunlop

Vincents größter Feind ist die Sonne

Sieben Meter mehr für die Sicherheit, damit könnte ein Reifenhersteller werben. Allerdings nicht mit unseren Messwerten. „Zu große Abweichungen“, sagt Vincent. Außerdem schneit es immer heftiger. Damit verändert sich die Piste, was bei einem echten Test ohnehin nicht akzeptabel wäre.

4-8 Reifensätze pro Tag fährt Vincent Lopez, dabei muss er rund 15-mal Reifen wechseln. Und permanent das Wetter im Blick haben. Passt es nicht zum Test oder ändert sich, heißt es: Warten. Der größte Feind von Vincent Lopez ist dabei nicht der Schnee, sondern schönes Wetter: Sonne verändere die Schneeoberfläche kontinuierlich, erzählt er. Ohne Wolken müsse man eben nachts fahren.

Beim Handling-Test darf Vincent rasanter fahren. Ein 1,3 Kilometer langer Kurs durch Hügel und Schneehaufen. Eine Lichtschranke misst, wie lange Vincent für eine Runde benötigt – mit unterschiedlichen Reifen. Das bedeutet erneut, dass er möglichst konstant fahren muss: Das Limit gibt die enge, kurvige Piste vor. Je besser der Reifen, desto schneller kommt Vincent durch die Kurve, bevorzugt mit einem kontrollierten Drift. Auch hier verändern Wetter und Reifen die Bahn von Durchgang zu Durchgang. Allzu viele Chancen auf zwei Runden unter gleichen Bedingungen hat der Tester nicht.

Vollgasfest in den Feierabend

Nach Feierabend lässt Vincent Lopez mit einem älteren Rallye-Subaru den Schnee spritzen. Die Jagd nach Messdaten ist vergessen, das Testgelände wird zum Männerspielplatz Nach Feierabend lässt Vincent Lopez mit einem älteren Rallye-Subaru den Schnee spritzen. Die Jagd nach Messdaten ist vergessen, das Testgelände wird zum Männerspielplatz Quelle: Goodyear Dunlop Wer professionell Winterreifen testet, reist dem Winter hinterher. Im Auftrag seines Arbeitgebers sieht Vincent viel von der Welt, allerdings oft in verschneiter und bitterkalter Form: "Von November bis März führen wir Wintertests in Finnland, Schweden und der Schweiz durch. Im Sommer sind wir ab August in Neuseeland, da dort dann Winterbedingungen herrschen.“

Dabei vergleichen die Tester einen neuen Reifen meist mit seinem direkten Vorgänger, der als Referenz dient. Was kann man an so einem Reifen denn überhaupt verbessern? „Eine typische Anforderung wäre: Er darf auf Schnee nicht schlechter sein als bisher, soll aber bei Nässe 5-7 Prozent besser funktionieren“, sagt Vincent.

Bei aller Sekundenzählerei, bei aller hochpräzisen Monotonie steckt im Testfahrer Vincent Lopez auch ein erwachsenes Kind. Und das hat, wenn die Arbeit getan ist, einen großen Spielplatz aus Eis und Schnee zur freien Verfügung. Und einen älteren, vollgasfesten Subaru in Rallye-Ausführung. Plötzlich ist alle ingeniöse Seriosität vergessen. Es geht nur noch um spritzenden Schnee, brüllende Abgastrakte und, kurz, einen fliegenden Subaru. Da hat sich der schicke Rennanzug doch noch gelohnt.

15 Arten von Schnee

Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, wie viele Worte für Schnee die Einwohner Lapplands kennen: Mehr als 50, mehr als 200? Sprachwissenschaftler schmunzeln an dieser Stelle und verweisen auf die vielen Komposita (zusammengesetzte Worte) in den samischen Sprachen.

Reifentester wie Vincent schauen stattdessen in ihr Testprotokoll, das 15 verschiedene Arten Schnee unterscheidet. Insgesamt muss er 50 verschiedene Testkriterien durchexerzieren. Die Zeiten dazwischen verbringt das Team in einem Bungalow, das nur von außen mit Blockhüttencharme glänzt, im Innern aber nüchtern wirkt wie ein westfälisches Tagungszentrum. Traumberuf Testfahrer? „I love cars“, sagt der Belgier, und rückt seinen Rennanzug zurecht.

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