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Hohe Unfallquoten beim autonomen Fahren - Sind selbstfahrende Autos zu vorsichtig?

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Selbstfahrende Autos sind oft in Unfälle verwickelt – womöglich, weil sie zu regeltreu fahren. Also sollen sie aggressiver werden. Doch eigentlich ist die Lösung viel komplizierter.

Googles autonome Autos sind bislang nicht an Unfällen schuld gewesen - aber sie werden öfter gerammt Googles autonome Autos sind bislang nicht an Unfällen schuld gewesen - aber sie werden öfter gerammt Quelle: dpa/Picture Alliance

Berlin – Da steht es dann also an der Kreuzung, dieses kleine Google-Auto. Es rutscht langsam vorwärts, will in die Hauptstraße einbiegen. Doch es traut sich nicht. Es fährt streng nach den Verkehrsregeln. Und es steht so lange an der Kreuzung, bis alles ganz sicher frei ist. Total spießig also. Man kennt solche Fahrer – und mag sie nicht besonders. Dass sie allerdings oft in Unfälle verwickelt sind, hat man bislang nicht gedacht.

Zumindest gilt das für die autonomen Autos, von denen in Kalifornien so viele unterwegs sind. Sie geraten oft in Unfälle. Zweimal so oft, wie Autos, die von Menschen gefahren werden. Das ergab eine Studie der Universität von Michigan (pdf). Die Autos von Google, Delphi und Audi, die Gegenstand der Studie waren, trugen allerdings nie Schuld. Meistens werden sie bei niedrigen Geschwindigkeiten angefahren. Typische Auffahrunfälle.

Betont unaggressiv sieht das Google Car aus und fährt auch so - das könnte sich ändern Betont unaggressiv sieht das Google Car aus und fährt auch so - das könnte sich ändern Quelle: dpa/Picture Alliance

Google-Car von hinten gerammt

Woran genau das liegt, kann die Studie nicht erklären. Ein Möglichkeit: Autonome Autos fahren zu vorsichtig und provozieren so andere Autofahrer und damit Unfälle. Wie zum Beispiel am 2. November dieses Jahres: Da sollte ein autonom fahrender Lexus RX450h von Google an einer roten Ampel rechts abbiegen, wofür er langsam vorwärts kroch – und von einem nachfolgenden Auto gerammt wurde. Mit ungefähr 6 km/h.

Ebenfalls im November wurde ein Google-Auto sogar von einem Polizisten angehalten, weil es zu langsam fuhr – knapp 39 km/h statt der erlaubten 56 km/h, wie die US-Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Das Auto hätte rechts ranfahren müssen, um die nachfolgenden Autos vorbei zu lassen, sagte der zuständige Polizist dazu.

Google hat derzeit 53 autonom fahrende Autos in den USA im Einsatz und will im kommenden Jahr eine eigene Firma dafür gründen. Um weniger Irritationen im Straßenverkehr zu verursachen, arbeitet Google jetzt daran, die eigenen Autos "aggressiver" zu machen. Will heißen: menschlicher.

Mehr Aggressivität ist keine Lösung

Siegfried Brockmann glaubt nicht, dass Regeltreue der Grund für die Unfälle ist Siegfried Brockmann glaubt nicht, dass Regeltreue der Grund für die Unfälle ist Quelle: GDV Doch mehr Aggressivität verhindert sicher noch keine Unfälle. Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) glaubt nicht, dass übervorsichtiges Fahren die Ursache für hohe Unfallquoten ist. "Ich kann mir eher vorstellen, dass die Interaktion zwischen Mensch und Maschine nicht ausreichend funktioniert", sagt er.

Dafür sprechen Erfahrungen mit Senioren. "Die fahren überwiegend sehr vorsichtig", so Brockmann, doch Unfälle entstehen eher aus anderen Gründen, etwa aus Überforderung, weil man mehrere Dinge auf einmal tun muss. "Wir verstehen in der Regel intuitiv, warum ein Fahrer vor uns Gas gibt, bremst oder einlenkt", sagt Brockmann. Was aber ein Computer tut, ist aus unserer Sicht nicht immer nachvollziehbar.

Wie die Großmutter am Steuer

Und oftmals rechnen wir eben nicht mit dem übervorsichtigen Verhalten der autonomen Autos. Dass das per se Unfälle verursacht, glaubt man bei Google nicht. "Wir sind lieber zu konservativ", sagte Dmitri Dolgov Bloomberg. Er betreut das Programm bei Google und beschreibt die autonomen Autos so: "Sie sind ein bisschen wie ein vorsichtiger Fahrschüler oder eine Großmutter."

Das beobachtet auch Brandon Schoettle, Co-Autor der Studie. "Die Fahrzeuge stoppen oder bremsen in Situationen, wo ein Autofahrer das nicht tun würde", sagte er Bloomberg. Und, anders als bei Fahrschülern oder Großmüttern, kommt noch ein weiteres Problem hinzu: "Die reagieren etwas schneller und überraschen andere Autofahrer damit."

Verständigung tut Not

Autofahren ist eben auch eine soziale Tätigkeit. Insbesondere in den USA, wie Brockmann anmerkt. Da gibt es viele Kreuzungen, mit Stoppschildern an allen Seiten. "Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich zu verständigen."

Insofern brauchen autonome Autos also nicht nur mehr Intelligenz, sondern vor allem eines: soziale Kompetenz. Und sie müssen womöglich lernen, auch gelegentlich mal die Regeln zu brechen. Wir Autofahrer machen das ja auch andauernd, mal aus guten, mal aus weniger guten Gründen. Und wir tragen die Verantwortung dafür. Wer die trägt, wenn wir nur Passagier sind, wird noch zu klären sein.

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