Die Retrowelle rollt, mit dem Bestseller BMW R nineT vorneweg. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Die spannendsten Nostalgie-Bikes 2018, Teil 2: Ab 10.000 Euro
Von Ralf Schütze Teil 2: Bikes für mehr als 10.000 Euro 2013 hatte BMW eine Idee. Die Bayern drängten unerwartet mutig in den Markt der Retro-Bikes, den bis dahin neben Triumph nur Einzelmodelle bedienten. Die BMW R nineT sah vertraut aus, war aber ein völlig neuartiges Serienbike. Der klassische Schwarz-Weiß-Alu-Look früherer BMW-Ikonen wie R 75/5 lässt sie nostalgisch wirken. Bei genauerem Hinsehen jedoch bietet die R nineT modernste Technik und verlangt dem Klassikfan etwa in Sachen Sicherheit keinerlei Kompromisse ab. BMWs Nostalgieplan geht seitdem auf, und der Erfolg findet Nachahmer. Laut der Fachzeitschrift "Motorrad" ist der Markanteil der Retro-Bikes seit 2010 von rund 10 auf satte 26,54 Prozent gestiegen. Besser verkaufen sich derzeit nur sportliche Allrounder, und zwar mit 30,26 Prozent Marktanteil. Die Nostalgiewelle ist offenbar gekommen, um zu bleiben. Auch junge Biker pfeifen mittlerweile häufig auf reine Hightech-Bikes und neonfarbene Sicherheitsklamotten. Stattdessen schwingen sie sich in Kevlarjeans und Lederjacke auf die lederne Sitzbank eines nostalgisch wirkenden Motorrads mit modernster Technik. Hier eine subjektive Auswahl der interessantesten Retro-Bikes 2018. BMW R nineT Urban G/S
Zwei Fliegen mit einer Klappe: Mit der R nineT Urban G/S hat BMW seine Heritage-Baureihe bereichert und gleichzeitig seinem Lebensretter von 1980 ein Denkmal gesetzt. Damals bewahrte die R 80 G/S als völlig neuartige Reiseenduro BMW Motorrad vor der Pleite. Heute kommt das charakteristische Weiß-Blau-Orange-Dekor der Ur-G/S auch bei der neuzeitlichen Retro-Version Urban G/S zum Einsatz, und es kommt samt knallig bunter Sitzbank auch bei jüngeren Fans an. Die müssen allerdings ziemlich solvent sein, denn für den Boxer-Hobel ruft BMW stolze 13.150 Euro auf. Wie bei allen Heritage-Modellen schiebt der bewährte, luft-/ölgekühlte 1,2-Liter-Zweizylinder kräftig an – bauartbedingt mit sattem Boxersound und wuchtiger Schubkraft schon aus dem Drehzahlkeller heraus. 85 Zentimeter Sitzhöhe setzen lange Beine oder gutes Gleichgewicht voraus. Wer's weniger bunt mag, ist mit der gleichpreisigen R nineT Scrambler ähnlich vielseitig, aber optisch dezenter unterwegs. Ducati Scrambler 1100
Auch in Bella Italia besinnt man sich der guten, alten Zeiten. In diesem Fall der Jahre 1962 bis 1978, als Ducati mit einem einigermaßen geländetauglichen Einzylinder-Modell namens „Scrambler“ erfolgreich war. Seit 2014 und somit kurz nach BMWs R nineT trifft auch die neue Scrambler den Nerv der Zeit: Inzwischen ist der Retro-Allrounder die meistverkaufte Ducati überhaupt. Nach 800er und 400er in vielfältigen Varianten schieben die Bologneser 2018 endlich eine große 1100er Scrambler hinterher: mit dem bewährten, luftgekühlten 90-Grad-V2 aus der Ducati Monster 1100 Evo, und natürlich Euro-4-konform. Neben der Standard-1100er bieten auch die Varianten Special und Sport absolute Hightech-Goodies: abschaltbare, vierstufige Traktionskontrolle, Kurven-ABS, drei Fahrmodi. Die Scrambler-Familie breitet sich immer weiter aus, jetzt gehören schon elf verschiedene Retro-Bikes dazu. Harley-Davidson Softail Slim S Olive Gold Denim
Retro und Harley-Davidson, das gehört zusammen wie Stars and Stripes oder Bonnie and Clyde. Besonders die mit dicken Ballonreifen bestückte Softail Slim S FLSS begeistert als klassischer Bobber (Definition: siehe bei Triumph) die Nostalgiker unter den Harley-Jüngern. Die wenigen verfügbaren Exemplare waren in den letzten Jahren meist schon vergriffen, noch ehe sie zu den Händlern gelangten, berichtet Walter „Zabel“ Maygatt von House Of Flames in München. Der Haken daran: Neu zulassungsfähig war die besonders im Military Look („Olive Gold Denim“) beliebte Softail Slim S nur bis Ende 2016, denn ihr dicker 1,8-Liter-V2 mit dem klangvollen Namen „Screamin' Eagle Twin Cam 110B“ erfüllt nur die Euro-3-Norm. Gebrauchte Exemplare sind weiterhin auf einen Neubesitzer umschreibbar, aber extrem selten und furchterregend preisstabil. Zum Trost: Für 2018 hat Harley-Davidson in Sachen Bobber Euro-4-konform nachgelegt. Unter anderem mit der neuen Softail Slim mit Milwaukee-Eight-Motor. Honda CB 1100 RS
Dass Honda seine große Vergangenheit pflegen und nutzen will, wundert nicht. Jüngst zogen die Japaner das Konzept einer Neuauflage des legendären Bonsai-Bikes Monkey aus dem Hut. Seit einem Jahr im Programm: Die Nostalgiemaschinen Honda CB 1100 EX und RS. Schon länger war das Vierzylinder-Bike mit klassischer Kühlrippenoptik eine wahre Augenweide und ein großer Erfolg. Und ein Ohrenschmaus, wenn der heiße Motor seine Kühlrippen knistern lässt. Grundsätzlich hat das Motorrad seit 2017 einen neuen Tank, mehr Chrom und Alu sowie LED-Licht und eine Anti-Hopping-Kupplung. Die CB 1100 RS hebt sich davon durch kleinere 17 Zoll-Aluräder und ein optimiertes Fahrwerk ab. Außerdem springt eine hochwertige Upside-Down-Vorderradgabel mit golden eloxierten Tauchrohren ins Auge. In beiden CB 1100-Versionen leistet der hübsche Doppelnockenwellen-Motor 90 PS und drückt 91 Nm Schubkraft auf die Kette – mehr als genug zum genüsslichen Retro-Cruisen. Royal Enfield Interceptor und Continental GT 650 Twin
Die Inder mit britischen Wurzeln von Royal Enfield bieten ab Frühjahr 2018 einen astreinen Twin an. Mit dem 48 PS starken neuen Zweizylinder mit 648 ccm sollen die beiden Modelle Interceptor und Continental GT 650 Twin neue Fans zur alten Marke locken. Beide Royal Enfield-Twins sind waschechte Retro-Bikes: Die Interceptor im Stile eines 60er Jahre Naked Bikes, die Continental GT als sportlicher Café Racer. Der Nostalgie-Charme des Designs vermischt sich auf typische Retro-Art mit neuzeitlichen Errungenschaften wie Benzin-Direkteinspritzung, Anti-Hopping-Kupplung, ABS und ein neu entwickeltes Sechsgang-Getriebe. Preislich liegt Royal Enfield stets in besonders günstigen Regionen. Demnach sollten die Retro-Twins Made in India für unter 8.000 Euro zu haben sein.
Triumph Bonneville Bobber Black
Geländetaugliche „Scrambler“ oder die Flacheisen namens „Bagger“ geistern schon länger durch die Motorradszene. Doch was ist eigentlich ein „Bobber“? Auch dieser Name stammt aus dem Englischen (to bob = stutzen). Er steht für extrem puristische Motorräder, von denen man alles Überflüssige entfernt hat, was die typischen Ballonreifen noch dicker wirken lässt. Früher fehlte sogar das vordere Schutzblech komplett, das hintere war gestutzt. Seit diesem Jahr fällt die Triumph Bonneville Bobber nicht mehr ganz so extrem aus, sieht aber dennoch aus wie aus einer Hinterhofwerkstatt der 1930er Jahre. 2018 legt Triumph in Sachen Retro nach mit der besonders schicken Bonneville Bobber Black. Sie wirkt noch muskulöser als die Basis. Das liegt vor allem am kleineren und noch dickeren Vorderrad und am düsteren Design: Es gibt nur Schwarz glänzend oder Schwarz matt. Der T120-Zweizylinder schiebt mächtig an. Damit soll der einsitzige Retro-Bobber ab Frühjahr 2018 unter 14.000 Euro kosten. Die aktuelle Retro-Szene ist so groß wie vielfältig. Moderne Bikes in klassischem Outfit ergeben immer öfter eine authentische Mischung, die Alt wie Jung begeistert. Wenn der Geldbeutel nicht für eine der Neumaschinen reicht: Die Customizing-Szene bietet unzählige Möglichkeiten, einen günstigen gebrauchten Youngtimer in ein individuelles Bike nach persönlichem Geschmack zu verwandeln. Retro-Motorräder sind heute mehr denn je in und werden es sicher noch lange bleiben. Weiterlesen: Teil 1 |