Fountain Valley/Kalifornien - Die Gischt spritzt, der Fahrtwind weht in den Haaren und jede Welle schmerzt im Hintern - Fred Selby ist in seinem Element. Mit mehr als 50 Sachen jagt der freundliche Mittsechziger durch den Hafen von Long Beach. "Hey, wir sind an der Küste von Kalifornien, da gehörst du einfach aufs Wasser", ruft er, reißt das Steuer herum und driftet um die nächste Boje.
Plötzlich klingelt sein Telefon, der Spaß ist vorbei. Selby muss zurück an den Schreibtisch. Jeder andere Skipper würde jetzt das Tempo drosseln, zum Steg tuckern, sein Boot vertäuen und von dort aus zum Parkplatz laufen. Doch Selby hält einfach auf den nächsten Strandabschnitt zu, nimmt das Gas zurück und lächelt.
Watercar: 130 km/h an Land, 70 km/h im Wasser
In Amerika genügen 130 km/h Höchstgeschwindigkeit Quelle: SP-X / Bessinger
Denn er steuert kein Boot wie jedes andere, sondern ein Watercar. Selbstbewusst nennt er die Eigenkonstruktion das schnellste Amphibien-Auto der Welt. „Mit dem gleichen Fahrzeug 130 km/h an Land und 70 Sachen auf dem Wasser zu fahren, das schafft sonst keiner“, prahlt der braungebrannte Amerikaner.
Möglich werden diese Rekordwerte so: Anders als das deutsche Vorbild „Amphicar“ ist das Watercar eben kein Schwimmwagen mit abgedichteter Karosserie und Schiffsschraube am Heck. Der Eigenbau ist ein Boot auf Rädern.
Unter der kantigen GfK-Karosse trägt das Watercar einen schlanken Rumpf mit spitzem Bug. Damit die Räder beim Wellenritt nicht stören, lässt Selby sie hydraulisch abknicken und einfahren. Wie bei einer Schildkröte, die ihre Beine unter den Panzer zieht.
V6 von Honda statt Chevy-V8
Besonders die Korrosion im Salzwasser und die Abdichtung des Innenraums forderten Ideen. Der Corvette-Motor, mit dem Selby vor drei Jahren den Weltrekord aufgestellt hat, wurde ausgemustert. Zu schwer, zu teuer, zu empfindlich.
Hier wundert sich der Beifahrer: Der Weg aus dem Wasser wirkt fremd Quelle: SP-X / Bessinger
An seiner Stelle dient jetzt ein 3,7-Liter-V6-Benziner von Honda mit 250 PS. An Land treibt er die Hinterachse an. Doch sobald Selby an den Strand rollt und einen Schalter umlegt, lenkt ein Verteilergetriebe die Kraft an eine Jetdüse um.
Tüftler-Duo: Dave March und Fred Selby
Selby hat das Watercar mit seinem Kumpel Dave March gebaut. March hatte die Idee und das Geld, beide feilen seit 15 Jahren an dem Projekt: „Wir haben sicher hundert verschiedene Entwürfe ausprobiert und dabei fast genauso oft Schiffbruch erlitten“, erinnert sich Selby an viele nasse Füße. „Doch wir sind kein einziges Mal abgesoffen.“
An Land wirkt das 4,60 Meter lange Watercar sperrig, der Fahrkomfort miserabel. Aber im Wasser liegt der Viersitzer ruhig.
Watercar: Spielzeug für 135.000 US-Dollar
Aktuell interessieren sich das Militär und Katastrophenschützer für das Watercar. Dabei hat Selby auf solch komplizierte Kunden gar keine Lust. Für ihn ist das Watercar vor allem ein Spielzeug.
Obwohl das Watercar 135.000 Dollar kostet, ist die Produktion für das erste Jahr komplett ausverkauft. „Wir haben eine hohe zweistellige Zahl von Bestellungen“, freut sich Selby. Ein Dutzend Mechaniker baut derzeit sechs Monate an einem Auto-Boot. Bald wollen sie es in sieben Wochen schaffen.
Derzeit keine Konkurrenz
Das Watercar entstand in Eigenregie. Das zeigt sich vor allem im Innenraum Quelle: SP-X / Bessinger
Es gibt weder Händler noch Werkstätten, und wer ein Problem mit der Technik hat, der muss sich selbst zu helfen wissen. Doch die Bestellungen kommen aus aller Welt, erzählt Selby. Nur etwa die Hälfte der Autos bleibt in Amerika. Der Rest geht überall dorthin, wo Geld ist: „Hongkong, Russland, China, die Emirate“, zählt der Tüftler die gleichen Länder auf, in denen auch Sportwagen- und Yachthersteller gern Geschäfte machen.
Natürlich weiß Selby, dass sein Watercar mit denen nicht ernsthaft konkurrieren kann: „Es gibt schnellere Autos und schönere Boote“, räumt der Erfinder ein. Aber es gäbe kein Auto, das auch auf dem Wasser so viel Spaß macht, und kein Boot, mit dem man so schnell an Land fahren könne. „In dieser Kombination sind wir unschlagbar.“