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Motorsphere

Test BMW K 1600 GT und GTL

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Wir testen neue BMW-Tourer, denen in Sachen KFZ-Technik zum Auto nur zwei Dinge fehlen: ein weiteres Rad und noch ein weiteres Rad.

Je älter die Kundschaft wird, umso schwerer werden die Motorräder, die sie interessieren — analog zum eigenen steigenden Gewicht, entgegenlaufend der eigenen Fähigkeit, diese Maschinen mit Muskelkraft zu rangieren oder sonstwie zu bewegen. Das liegt daran, dass man im Alter Kraftfahrkomfort nicht nur schätzt, sondern auch bezahlen kann. Für diese Klientel hat BMW jetzt zwei Varianten jenes Motorrads gebaut, von dem sie vor vielen Jahren in einer doppelseitigen Anzeige behaupteten, sie würden sowas „nie“ bauen: Einen leistungsfähigen Reihensechszylinder quer zur Fahrtrichtung nämlich. Man wollte damals keine „Automobilmotoren auf zwei Räder setzen“.

Deshalb haben sie heute eine Motorradvariante des Reihensechsers konstruiert. Die Anzeige schoss gegen die leistungsfähigen Sechszylinder der japanischen Konkurrenten, die die damaligen Fahrgestelle traktierten wie ein Gorilla einen Hamsterkäfig. Diese Zeit ist ja lange vorbei. Heute baut BMW mit ihrem Superbike S 1000 RR ja auch „für den Alltag gezähmte Rennmaschinen“, was sie damals genauso „nie“ tun wollten, und sie bauen in einen modernen, steifen Rahmen diesen neuen Sechszylinder. Das ist „eine gute Sache“ ™, denn der ist schlicht großartig. Zunächst mal ist er kaum breiter als ein großer Vierzylinder heutiger Zeit und definitiv schmaler als die fetten Vierer von anno dunnemal, weil die Zylinderbuchsenabstände mit 5 mm geradezu gewagt klein sind und Aggregate wie die Lichtmaschine, die sonst auf der Kurbelwellenachse sitzen, bei der neuen BMW woanders hingewandert sind (die LiMa zum Beispiel hinter die Zylinderbank, über das Getriebe). Vor allem jedoch bringt der Motor Schub in allen Drehzahlen, drückt 70 Prozent seines maximalen Drehmoments schon bei 1500 U/min auf die Kardanwelle. „Mit der K 1600 GT wollten wir demonstrieren, was wir unter souveränem Touren verstehen“, gibt BMW gewohnt selbstbewusst zu Protokoll.

Es hat außerdem den Anschein, als wollten sie demonstrieren, was sie technisch auf dem Kasten haben. Es ist das komplexeste Straßenmotorrad, das je gebaut wurde. „So bis ins letzte Bit versteh‘ ich es auch nicht“, gibt der leitende Ingenieur zu. Die K 1600 ist das erste Motorrad mit einem farbigen TFT-Bildschirm, und dann ist es gleich der kontraststärkste überhaupt je verbaute, damit man es bei direktem Sonnenlicht lesen kann. Die K 1600 integriert das Garmin-Navi „Zumo 660? ins Cockpit, gebrandet als „BMW Motorrad Navigator 4?. Sie hat eine Traktionskontrolle mit Schräglagensensorik, Zentralverriegelung für Koffer und Staufächer, Kurvenlicht mit Schräglagenausgleich und automatischer Niveauregulierung, das während der Fahrt einstellbare Fahrwerk ESA II, ein per Drehring am Lenker bedienbares Menüsystem und eine zentrale, elektronisch gestellte Drosselklappe mit wählbaren Ansprech-Mappings.

Dieses Motorrad hat also kurz gesagt all das, was bei Autos ab der Mittelklasse aufwärts schon lange selbstverständlich ist — zumindest in der Aufpreisliste. Und obwohl fast die gesamte Aufzählung aus in der Motorradindustrie einzigartigen Features besteht, stellen gleich mehrere Leute die berechtigte Frage: Warum dann nicht gleich Cabrio fahren? Auf der Präsentation fahren die Fotografen und die BMW-Crew zum Beispiel im neuen 6er Cabrio mit. Das gibt es als 640i ebenfalls mit einem BMW-traditionellen Reihensechszylinder. Wie auf dem Motorrad bewegt man sich dort sehr direkt mit dem Gesicht durch das Element Luft, kann das Meer riechen, bevor es plötzlich unter einem liegt. Beides ist doch mit dieser ganzen Technik mittlerweile praktisch dasselbe, oder? Nein. „Nein“ aus demselben Grund, aus dem Schlittenfahren und Skilaufen nicht dasselbe ist: wegen der Schräglage.

Denn die neue GT ist trotz ihrer ellenlangen Zubehörliste immer noch ein Einspurfahrzeug, und das bedeutet: Man sitzt ohne Querkräfte im Sattel und surft über Straße, während der Horizont sich unter einem dreht. Es ist die billigste Variante, nahe am ebenfalls querkraftfreien Fliegen zu sein, und wenn sich der Flow einstellt, ist es ein Erlebnis, das süchtig machen kann. Denn der neue, schmale Sechszylinder auf seinem straffen Fahrwerk erlaubt eine Fahrdynamik, von der man auf BMWs altem Supertouring-Krapfen K 1200 LT nur träumen konnte. Die 1600er fährt sich wie die wie die K 1300 GT, die sie ablöst, nur mit einem laut röhrenden Sechszylinder als Untermalung. Es ist quasi ein großer Jet, wenn Modelle wie eine Triumph Street Triple metaphorische kleine Sportflugzeuge sind. Nach vielen erfolglosen Versuchen in ihren Tourenmodellen hat BMW es außerdem endlich geschafft, ein effektives Fahrtwindleitsystem einzubauen: zwei ausklappbare Hasenohren aus Plastik leiten eine Masse an Luft auf die Jacke, die in etwa im Bereich leicht verkleideter Halb-Naked-Bikes liegt.

Wie ihre Vorgänger rangiert sich das Teil mit seinen 320 kg vollgetankt ungefähr so gut wie das Münchner Hofbräuhaus, aber der Piloten-Arbeitsplatz ist derart bequem, dass solche Kraftanstrengungen nur nötig sind, wenn entweder Maschine oder Fahrer neuen Brennstoff brauchen. Die restliche Zeit verbleibt man einfach im Cockpit des Raumschiffs Weißwurst und zoomt die hin und her kippende Landschaft mit dem Gasgriff unter sich durch. Wer schon immer mal wissen wollte, wie sich der Steuer-Computer einer Lenkwaffe mit ein paar Kilotonnen Sprengkraft an Bord fühlt, sollte mal aus dem Cabrio auf die K 1600 GT steigen. Es ist ein radikal anderes Erlebnis.

Ein etwas anderes Erlebnis ist die Variante GTL, die mit tieferen Fußrasten und tieferem Sitz, einem anderen Lenker, einem Topcase mit Rückenlehne für Beifahrer, einem größeren Windschild und einem serienmäßigen Sound-System mit iPod– und USB-Anschluss noch stärker die Komfort-Tourer mit ständigen Beifahrern anspricht. Sämtliche wichtigen Ausstattungen gibt es jedoch auch für die GT in der Aufpreisliste, deshalb sollten alle Interessenten über 175 cm zur GT greifen. Denn die GTL ist auch leiser. Und wenn ich langsamer fahrend Musik statt das Brüllen des Sechsers hören will, kann ich ja wirklich Cabrio fahren. <- Diesen Absatz schrieb ich, als ich die GTL noch nicht gefahren war. Ich gebe hiermit retrospektiv meine Ignoranz zu: Die GTL macht richtig Laune.

Zunächst mal sitzt man deutlich lümmeliger, und viele wollen das ja. Dann ist das Audiosystem erstens serienmäßig und zweitens funktional. Man kann tatsächlich über Lautsprecher Musik hören, denn die BMW reguliert die Lautstärke automatisch in Abhängigkeit zur Geschwindigkeit. Es ist ein wunderbares Erlebnis, zu Michael Jackson oder Elvis Presley (waren auf dem BMW-Musikstick) durch die Townships Südafrikas zu rollen, obwohl „Liberian Girl“ und „In the Ghetto“ dazu vielleicht nicht die besten Titel sind. Die Kinder dort jedenfalls haben es geliebt (erkennbar daran, dass sie keine Steine geworfen, sondern geklatscht haben). Und ich habe mich am Ende sogar mit dem GTL-Tourer angefreundet, obwohl auf den Bergstrecken die zu tiefen Rasten durch die Kurven furchen. Mehr als das: Ich habe begonnen, diese technoiden Dampfer, die ich eigentlich nur zum Zwecke der Zurschaustellung bajuwarischer Überlegenheit gefahren bin, richtiggehend ins Herz zu schließen. Geschwindigkeit ist nicht alles. Gott im Himmel! Habe ich das grad geschrieben? Der geneigte Tourenkunde möge diese Überzeugungskraft als Hinweis auf die Tourentauglichkeit des Sechszylinders werten. Eine Probefahrt wird auch sein Herz gewinnen.

BMW K 1600 GT und GTL 2011

Ist: der beste Alptraum meines Lebens.

Kostet: 19.900 Euro (GT) oder 21.850 Euro (GTL)

Leistet: 160 PS (118 kW) bei 7.750 U/min

Stemmt: 175 Nm bei 5.250 U/min aus 1.649 ccm

Wiegt: ca. 320 kg vollgetankt (GT) und ca. 350 kg vollgetankt (GTL)

Tankt: 24 Liter Super (GT) und 26,5 Liter Super (GTL)

Hat: im Wortsinn alles Mögliche.

Empfehlenswertestes Zubehör ab Werk:

Electronic Suspension Adjustment (ESA II): 740 Euro

„Sicherheitspaket“ mit adaptivem Kurvenlicht, Traktionskontrolle und Reifendruckkontrolle: 850 Euro

Vorbereitung Navi: 190 Euro (das Navi kostet extra)

Bilder: BMW

 

Quelle: Mojomag

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