Der 20-jährige 600er-Fahrer Toby testet Hondas aktuelle CBR 600 RR C-ABS. Seine Meinung ist noch weitgehend unverschmutzt von üblichen Testvorurteilen.
Mal Klartext: Es gibt Motorräder, die sind gut, aber dennoch irgendwie behindert. Hier glänzt die BMW GS und die Suzuki Frau Strom. Dann gibt es noch Motorräder, die sind geil, aber keiner merkt es. Verbeugt euch, ihr Unwürdigen, hier kommt die Honda CBR 600 RR!
Der 600er-Markt ist tot, keine Sau will die Dinger haben. Selbst in England, wo die Versicherungen für 600er-Supersportler derart günstig sind, dass es bislang eine breite Käuferschicht für diese Maschinen gab, erschlafft die Nachfrage immens. In good old Germany war der letzte 600er-Supersportler-Boom im Jahre 2006. Zu der Zeit kamen grade Yamahas neu gestylte R6 und Suzukis aufgehübschte 600er und 750er Gixxer raus. Junge Leute mit ein bisschen Geld, ein wenig Geilheit auf gute Motorräder und einem Elternhaus mit tolerantem Weltbild haben sich diese Maschinen gekauft. Für die 34-PS-Eintragung in die Papiere ist nach wie vor eine Absegnung vom TÜV notwendig, also hat man sich dieses lästige kleine Stück Metall, das den Gasweg auf einige Millimeter begrenzt, eben gekauft und eingebaut. Nachfolgende tüftlerische Aktivitäten an besagtem Zusatzgewicht sind unumgänglich, alles andere wäre Blasphemie.
Bei nachfolgenden Modelljahren haben die Hersteller selbst für einbrechende Verkaufszahlen gesorgt. Suzukis Designer haben ihren künstlerischen Horizont offenbar mit bewusstseinserweiternden Pilzen upzudaten versucht, die über’s Verfallsdatum hinausgelaufen waren. So kamen die kleineren Gixxer-Modelle zu einem X-förmigen Quasimodo-Gesicht, inklusive dreier vom Fahrer anwählbaren Leistungsmodi, die keine Sau braucht, und einem klobigeren Auspuff. Yamaha hat im letzten Modelljahr mit fünf PS weniger Leistung und einem größeren und ebenfalls hässlicherem Auspuff dagegengehalten. Dass diese Entwicklung bei den Käufern keine Begeisterungsstürme ausgelöst hat, kann man sich irgendwie denken. Hondas 600er stand immer zwischen den Extremen, denn sie war gekommen, um zu bleiben: Hübsch, aber nicht herzzereißend geil wie die R6, schnell, aber ohne das Drama, das auch Graupen ein schnelles Gefühl gibt.
Die CBR 600 RR hat meines Wissens nie einen Vergleichstest der 600er-Supersportler gewonnen. Der Motor ist seit dem Modelljahr 2007 derselbe. Ein DOHC-Reihenvierzylinder (dieser Motor ist auch Basis des Einheitsmotors für die Moto2) mit konservativen 120 PS. Seit jeher besitzt die 600 RR eine Underseat-Auspuffanlage, obwohl allgemein bekannt ist, dass das für den optimalen Schwerpunkt scheiße ist. Massenzentralisierung und so. Desweiteren hat sich auch optisch seit 2007 (Modell PC40) nichts getan. Halt, stimmt nicht ganz: Honda bringt jedes Jahr ein paar sexy neue Dekors und Lackierungen für die RR als produktlebensverlängernde Maßnahme.
Das komplexe C-ABS ist bereits seit 2009 für die 600 RR und für die Fireblade verfügbar. Die wirklich gute Nachricht dabei ist: Das C-ABS von Honda funktioniert nicht so wie das aktuelle ABS der Triumph Speed Triple, es versucht nämlich nicht den Piloten umzubringen, indem es einfach viel zu früh die Bremse aufmacht. Dafür kostet es tausend Euro Aufpreis, wiegt zehn Kilo zusätzlich und bepackt die ansonsten zierliche 600 RR mit Plastiktaschen an der seitlichen Verkleidung, weil da die zusätzliche Technik unterkommen muss. Diese Dinger sitzen dort, wo vorher der Motor offen zu sehen war und versammeln entsprechend massiv Hitze, die dann in Richtung der Beine des Fahrers strömt. Außerdem fühlt sich die ABS-Bremse im Gegensatz zu der ohne ABS ziemlich stumpf an. Mein Tipp daher: das Geld für den ABS-Schrott sparen, dafür eine normale, sehr gute Bremsanlage bekommen und die übrige Kohle in Sprit investieren. Damit kommt man dann ziemlich weit, weil die Honda nicht über 6 Liter auf 100 Kilometer verbraucht und das Tankvolumen bei 18 Litern liegt.
Die CBR 600 RR hat außerdem die angenehme Eigenschaft, dass sie bereits beim ersten Aufsitzen passt wie ein maßgeschneiderter Anzug. Ich bin 1.82 Meter groß und es ist wirklich alles dort, wo es auch sein soll. Auf dieses Motorrad draufzusitzen ist ein bisschen, wie nach einer langen Reise endlich mal wieder das heimische Wohnzimmer zu betreten. Alles ist sofort vertraut, es passt einfach. Bei ihrem Einsatz im Oschersleben blieb sie bis auf Rennstreckenreifen serienmäßig. Ich war nicht dabei, aber der Fotograf dieser Story hat mir später erzählt: Dirk Schnieders kommt angeschlappt, federt die Gabel der Honda ein paarmal ein und rückt dann aus zum ersten Turn. Nach einer respektablen Rundenzeit von 1:37 passiert er wieder die Ziellinie, mit über 200 km/h auf dem Hinterrad. Er kommt später zu dem Fazit, dass die 600 RR ein schnelles und richtig gutes Motorrad ist. Er bestätigt damit auf der Rennstrecke ganz eindeutig das, was ich bereits auf der Landstraße vermutet habe. Das Fahrwerk der Honda spielt dank Stabilität und Präzision in der oberen Liga, der Motor gibt seine Leistung sehr linear ab und verärgert kaum durch Lastwechselreaktionen. Die Kupplung und das Getriebe arbeiten Honda-typisch makellos.
Unterm Strich muss ich sagen, dass man mit diesem Motorrad wirklich sehr gut bewaffnet ist. Und ich kann diese Behauptung noch mit einem weiteren Argument untermauern. Kürzlich war ausnahmsweise mal akzeptables Wetter bei uns in Süddeutschland, so richtig ohne Regen und sogar mit zweistelligen Temperaturen. Ich habe einer Freundin von mir erzählt, dass ich am Wochenende auf jeden Fall eine Runde fahren gehe. Sie hatte Bock mitzukommen, also sind wir zusammen in Richtung Schwarzwald aufgebrochen. Vorher hab ich ihr gesagt, dass normale Klamotten völlig ausreichend sind. Die Julia kommt also auf mich zugeschwebt, in Sneakers, einer supersexy zerrissenen Jeans und im Top. Wir fahren zusammen los und die Welt ist einfach absolut in Ordnung. Unterwegs kommt keine einzige Beschwerde über einen unbequemen Soziussitz, die Honda lässt sich trotz Mehrbelastung von vielleicht 50 Kilogramm genauso easy wie zuvor in Kurven legen.
Wir machen kurz Halt für nen Kaffee beim Höhenhotel Rote Lache in der Nähe von Baden-Baden. Ich will noch ein paar Bilder von der 600 RR vor dem Alb-Panorama machen. Ich sage also: Julia, ich will noch kurz ein paar Bilder von der hübschen machen. Sie schwebt auf die Maschine zu, setzt sich drauf und sagt: Du meinst von den zwei hübschen? Verflucht, ja! Das ist sozusagen sich anbahnende Erotik durch japanische Motorrad-Ingenieurskunst. Ich steh‘ voll drauf!Honda CBR 600 RR C-ABS 2011 Ist: funktionell erotisch. Kostet: 11.790 Euro (Aufpreis ABS: 1000 Euro) Leistet: 120 PS (88 kW) bei 13.500 U/min Stemmt: 66 Nm bei 11.250 U/min aus 599 ccm Wiegt: 194 kg vollgetankt (ABS? Dann plus 10 kg) Tankt: 18 Liter Super Hat: im Serienzustand 1:35er-Zeiten in Oschersleben geliefert.
(geschrieben und mit freundlicher Genehmigung von Tobias Münchinger)
Quelle: Mojomag