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Classic Driving News

Testarossa-Schreck: Dr. Jekyll & Mr. Hyde

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Im Kreise der Familie einen Ferrari Testarossa-Besitzer beim Spurt zu demütigen, gelingt erstmals 1990 mit dem Opel Lotus Omega. Die damals schnellste Serienlimousine der Welt stürmt binnen 17,3 Sekunden auf 200 km/h und rennt, wenn es nötig ist, bis 272 km/h.

272 km/h in einem Opel Omega: Nicht selten führt, was einst Begeisterungsstürme auslöste, ein paar Jahre später bestenfalls noch zu höflicher Anerkennung. Ganz anders liegen die Dinge beim Opel Lotus Omega. Die Faszination, die dieses Auto ausstrahlt, ist bis heute ungebrochen.

Die Faszination für den Opel Lotus Omega ist ungebrochen

Anfang der 90er Jahre gilt der Opel Lotus Omega als schnellste Serienlimousine der Welt. Und auch in der heutigen Zeit spielt der Lotus noch in der ersten Liga der Allerschnellsten im Land mit. Für alle Neulinge mal im Klartext: Die Rede ist hier nicht von einem dieser roten Renner, die beim exklusiven Sportwagen-Dealer im Schaufenster standen. Den Lotus Omega gab es bei Opel.

Auf den ersten Blick sieht dieser Wagen, zumindest von der Seite betrachtet, tatsächlich wenig spektakulär aus: Da steht eine viertürige Familienkutsche, bespoilert und mit Alu-Felgen ein bisschen auf dynamisch getrimmt. Niemand würde sich wundern, wenn nach dem Starten des Motors das vertraute Knurren eines 2.0i-Vierzylinders erklingen würde. Doch beim Gang um das Auto fällt, insbesondere von hinten, die Dimension der Reifen auf. Vorn rollt der Lotus auf 235er-, hinten auf 265er-Gummis.

#Ohne leichte Verbreiterungen hätten die Räder nicht unter die Kotflügel gepasst. Auch wer hinter dem Volant Platz nimmt, erlebt zunächst keine Überraschung. Der Blick schweift über vertrautes, fast langweiliges Opel Omega-Interieur, das Platzangebot ist großzügig, wie es sich für eine Limousine der oberen Mittelklasse gehört. Erst beim genaueren Hinsehen entdeckt der Betrachter, dass die Tachoskala bis 300 reicht. Sitze und Instrumentenbrett sind mit feinstem Connolly-Leder bezogen.

Treten des Kupplungspedals ähnelt einer Fitness-Übung

Der Schalthebel schließlich weist auf die Präsenz eines zusätzlichen sechsten Ganges hin. Der Dreh am Zündschlüssel erweckt einen - zumindest im Stand - eher unauffälligklingenden Reihensechszylinder zum Leben. Das Motorgeräusch ist gutgedämpft, seinen wilden Charakter kann der Lotus Omega zunächst noch verleugnen. Doch vor dem Losfahren steht der Tritt auf die Kupplung. Und hier outet sich dieser Opel mit Nachdruck als Sportgerät. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Das Treten des Pedals erinnert an eine Übung im Fitnessstudio. Mit dieser Kupplung einen Autobahnstau durchstehen zu müssen, wünscht man sich nicht. Erst nach einpaar Kilometern Eingewöhnung gelingt es, flüssig anzufahren und die Gänge zuwechseln.

Das von ZF gefertigte Sechsganggetriebe, es ist dem der Chevrolet-Corvette ZR 1 entlehnt, schaltet sich - ebenfalls ganz Omega-untypisch - hart und knochig. Die letzte Schaltstufe ist als Drehzahlsenkender Schongang ausgelegt. Seine Höchstgeschwindigkeit erreicht der Lotus daher im Fünften. Viel Zeit nimmt er sich bis dahin freilich nicht. Nach dem - hoffentlich einigermaßen weichen - Einkuppeln und einem beherzten Tritt aufs Gaspedal brüllt der Über-Opel auf wie ein mühsam gedämpftes Wettbewerbsfahrzeug.Und schießt los, als säße ihm der Teufel im Nacken. In nüchternen Zahlen: Von null bis 100 Stundenkilometer vergehen rund fünf, bis 200 km/h 17 Sekunden - erst irgendwo bei 280 hat sich der Lotus dann ausgetobt. Dagegen sehen andere zeitgenössische Sportlimousinen alt aus.

Raketen auf Rädern: Opel Lotus Omega vs. BMW Alpina B10

Vergleichbares schaffte höchstens noch ein Alpina BMW B 10, der den Lotus Omega laut Messung von auto motor und sport in der Höchstgeschwindigkeit um ein paar müde Stundenkilometer übertraf. Bei allen anderen Fahrdisziplinen lag der Opel-Blitz aber ganz klar vorn. Insbesondere die Überlegenheit bei den in der Praxis viel relevanteren Durchzugswerten ist imposant: Für den Spurt von 80 auf 120 Stundenkilometer zum Beispiel benötigte der Alpina etwas über neun Sekunden.

Der Lotus war hier glatt zwei Sekunden schneller. Um Opels Familienkutsche in eine Rakete auf Rädern zu verwandeln, griffen die Lotus-Techniker seinerzeit tief in die Trickkiste der Motorenbaukunst. Um nur das Wichtigste zu nennen: Der bekannte Reihensechszylinder C30SE von Opel, ein Vierventiler mit drei Liter Hubraum, wurde auf 3,6 Liter vergrößert und mit zwei Garrett-Turboladern T 25 zwangsbeatmet.

Selbst bei Vmax liegt der Lotus Omega absolut stabil

Zwei Ladeluftkühler reduzieren Temperatur und Volumen der verdichteten Luft, wodurch sich der Füllungsgrad und damit die Leistung des Motors weiter verbessern ließen. Das Zündsystem kommt ohne Verteiler aus, drei Zündspulen befeuern jeweils zwei Zylinder. Das schon von Hause aus gute Fahrwerk des Omega A 24V musste für den Einsatz im Lotus Omega nur wenig überarbeitet werden. Auch bei Höchstgeschwindigkeit gibt er sich absolutspurstabil. Vorder- und Hinterachse wurden geringfügig modifiziert, stärkere Federn und Dämpfer tragen dem höheren Fahrzeuggewicht Rechung. Am auffälligsten sind die überbreiten Reifen, mit denen der Lotus auf der Straße liegt wie das sprichwörtliche Brett.

Die zweiteiligen geschmiedeten 17-Zoll-Leichtmetallfelgen von Ronal, vorn im Format 8,5 J x 17 hinten 9,5 J x 17, kamen übrigens exklusiv im Lotus Omega zum Einsatz. Sie sind ein Erkennungszeichen für dieses Auto. Um die entfesselten Gewalten bändigen zu können, sind für den Straßeneinsatz angepasste Rennbremsen von AP montiert. Deren Wirkung ist auch nachheutigen Maßstäben imposant und mit einem ausgeworfenen Anker zu vergleichen. Ein Zugeständnis an die Sicherheit ist das 4-Kanal-ABS von Bosch. Das heute übliche High-Tech-Gedöns zur Stabilisierung des Fahrverhaltens gehörte damals noch nicht zum Angebot der Autohersteller- zum Glück, denn zum wilden Lotus würde derlei Firlefanz nicht passen.

Rarität: Nur 907 Opel Lotus Omega werden gebaut

Von der etwas schwergängigen Kupplung vielleicht einmal abgesehen, ist nur eines bei diesem Auto eine wirkliche Zumutung: Das Aussteigen fällt ungewöhnlichschwer. Doch das liegt nicht an beengten Platzverhältnissen. Vielmehr möchte, wer den Lotus Omega mal gefahren hat, ihn am liebsten nicht mehr hergeben. Das Spaßpotenzial ist unglaublich und der Understatement-Faktor kaum zu toppen: Wer den Lotus nicht kennt - und das dürfte weltweit auf das Gros der Verkehrsteilnehmer zutreffen -, muss ihn einfach gnadenlos unterschätzen. Ein Exemplar aufzutreiben, dürfte jedoch schwer fallen.

Nur 907 Stück wurden gebaut, lediglich 400 davon waren für Deutschland vorgesehen. Aktuell sind hier zu Lande schätzungsweise nur noch rund 100 Lotus Omega auf den Straßen im Einsatz.

 

Quelle: Motor Klassik

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