Nachfolger des Golf 2 Rallye, Vorgänger des Golf 4 R32: VW plante einen heißen Golf 3 für die Gruppe A. Das Projekt wurde zu teuer, aber der Prototyp überlebte. Testfahrt.
Quelle: Volkswagen/Martin Meiners Wolfsburg – Dieser Golf sollte in Serie gehen. Und zwar so, wie er auf unseren Bildern zu sehen ist. Mit all den Hutzen, Verbreiterungen und Spoilern, mit den fetten 16-Zöllern und dem brutalen Turbomotor. Das alles passt gar nicht zum biederen Image des braven Golf. Aber zu VWs Ambitionen, erfolgreich im Motorsport mitzufahren. Der Golf A59 ist kein Auto für den Wörthersee, trotz Turbozwitschern und hartem Fahrwerk. Er wurde für die Rallye-WM entwickelt. Ziel waren Erfolge in der Gruppe A. Hier hatte der Golf 2 GTI schon einen Weltmeistertitel geholt (1986). Im Januar 1992 entschied VW, bei der Rallye Monte Carlo anzutreten. Dafür sollte innerhalb von zwei Jahren ein neues Auto auf Basis des Golf 3 entstehen. Und eine technisch verwandte Variante mit Straßenzulassung, um das Rallyeauto zu homologieren. Das Reglement verlangte 2.500 Serienfahrzeuge. Unser Testauto wäre ihr Vorbild gewesen. VW Golf A59: Prototyp für die Rallye-TeilnahmeQuelle: Volkswagen/Martin Meiners VW wandte sich für das Projekt an Konrad Schmidt, Besitzer eines VW-Autohauses und einer Motorsport-Schmiede im bayerischen Cadolzburg (heute: SMS Engineering). Schmidt fuhr schon für Audi die DTM-Version des V8 und hatte das sportliche S2 Coupé entwickelt. Den Umbau eines Golf 3 Syncro (Allrad) zum Rallyeauto führte er intern als Auftrag 59. Das Projekt bekam den Spitznamen A59. VW kaufte weitere Profis ein. Norbert Kreyer, Karlheinz Goldstein und Eduard Weidl hatten zuvor bei Toyota die Celica rallyetauglich gemacht. Nun tüftelten sie mit Schmidt unter hohem Druck am neuen Sport-Golf. Schnell war klar: Das Ergebnis würde mit dem Serienauto nur noch wenig zu tun haben. Die verfügbaren Antriebskomponenten aus dem VW-Baukasten hielten die Ingenieure für ungeeignet. Der Allradantrieb nach mit Visco-Kupplung (mit automatisch ankoppelnder Hinterachse) flog sofort aus dem Auto. Passende Motoren und Getriebe fanden sie ebenfalls nicht bei VW. Deshalb entwickelten sie alles neu und kauften Bauteile zu. Neuer Motor, neues Getriebe, neuer AllradantriebEin Motor aus Aluminium sollte das Gewicht im Vorderwagen senken. Die damals bei VW üblichen Aggregate („EA 827“) hätten den Materialwechsel in Verbindung mit den avisierten Zylindermaßen nicht überlebt, die Wände zwischen den Kolben waren zu dünn. Kreyer entwarf und konstruierte innerhalb von neun Monaten einen neuen Sportmotor. Quelle: Volkswagen/Martin Meiners Je 86 Millimeter Bohrung und Hub ergeben 1.999 Kubikzentimeter Hubraum. Alle Kanäle sind strömungsoptimiert, die Ventile größer als in der Serie, die Zylinder weiter voneinander entfernt. Ein Schaltsaugrohr verbessert die Luftströmung in die Zylinder. Zusätzlich optimiert eine Wasseraufspritzung den Wirkungsgrad des Ladeluftkühlers. Wo im normalen Golf 3 ein Reserverad sitzt, befindet sich dafür ein großer Wassertank. VW plante den Einsatz von zwei G-Ladern im Golf A59. Das gleiche Bauteil, eine Art Kompressor, sorgte bis 1993 in den scharfen Versionen von Polo, Corrado, Golf 2 und Passat für Leistung. Kreyer war dagegen. Er setzte sich durch, sein Motor bekam einen Abgasturbolader der Firma KKK. Der spricht später an, ermöglicht aber mehr Leistung und baut kompakter. Als der erste Motor im April 1993 auf dem Prüfstand lief, leistete er 275 PS bei 6.000 Touren. In der Rallye-Version wäre das gleiche Aggregat mit dem vorgegebenen Restriktor (38 Millimeter) stärker gewesen. Bis zum Juli 1993 entstanden nur zwei Motoren, danach keine weiteren. Einer steckt im Golf A59 von VW, der Verbleib des anderen ist unbekannt. Goldstein adaptierte ein stabiles Sechsganggetriebe der Firma FF Developments mit Seilzugschaltung und kurzen Schaltwegen. Daran flanschte er ein Mittendifferenzial von Steyr-Daimler-Puch. Es kann bis zu 75 Prozent der Antriebskraft an die Hinterachse verteilen. Ein Steuergerät berechnet die ideale Verteilung aus Motorlast, Radschlupf und Karosserieneigung. Etwas Vergleichbares gab es nie in einem Serien-Golf, aber zum Beispiel im Rallye-As Mitsubishi Lancer Evolution. Golf-3-Karosserie mit Golf-4-EinflüssenQuelle: Volkswagen/Martin Meiners Gleichzeitig passten die Ingenieure die Golf-Karosserie an. Für die Optik ist das VW-Designzentrum in Düsseldorf verantwortlich. Alle Veränderungen dienen einem Zweck: Die riesigen Hutzen entlüften Motor und Bremsen, dicke Backen machen Platz für die Räder, der Spoiler verringert den Abtrieb und die Buckel auf der Haube vermeiden Kontakt zu den Domen. Sie sind nötig, denn alle Federbein-Aufnahmen im A59 sitzen höher als im normalen Golf. Im Rallye-Sport sind lange Federwege (durch lange Federbeine) unabdingbar. Alle Änderungen wären in der Serie angekommen. Die Radaufhängungen sind ebenfalls neu konstruiert. Vorn angelehnt an die serienmäßige Form, hinten aufwendiger: Die Mehrlenker-Aufhängung hält die Räder beim Einfedern gerade – in der Serie verändert sich der Sturz. Die Bremsen stammen rundum von Brembo. Eigentlich sollte eine Syncro-Karosserie die strukturellen Änderungen im Entwicklungsprozess minimieren. Aber der Allrad-Mitteltunnel des serienmäßigen Chassis war nicht hoch genug. Weidl schnitt ihn auf und erhöhte ihn mit Kunststoffteilen. So fanden Kardanwelle und eine doppelflutige Auspuffanlage mit zwei Katalysatoren Platz. Ein Ersatzrad in Fahrgröße füllt den Kofferraum fast vollständig aus. Ganz nebenbei greift der A59 bereits Designelemente des Golf 4 auf, zum Beispiel das hintere Kennzeichen im Stoßfänger oder das große VW-Zeichen in der Heckklappe. Seitenlinie und Frontschürze deuten optisch das spätere Topmodell Golf R32 (ab 2002, Baureihe Golf 4) an. Bügel statt Klima, Schalter statt RadioDie zivile Version des A59 wäre eine Art Kundensportauto mit Straßenzulassung geworden. Wenig fühlt sich nach Golf an, umso mehr nach Schotterpiste. Sein Fahrwerk federt straff und rappelt hart über Kopfsteinpflaster. Die Rennkupplung erfordert beim Anfahren mehr Gefühl, als man in ein paar Stunden Testfahrt entwickeln kann. „Bestimmt anfahren“, lautet der Tipp von VW. Gar nicht so leicht: Der Motor hat durch seinen großen Turbo eine ordentliche Anfahrschwäche. Wer die mit schleifender Kupplung ausgleichen will, verschleißt die Reibscheibe. Also: viel Gas, den Fuß schnell runter vom linken Pedal und zur Not ein Nicken akzeptieren. Im Motorsport geht es ja nicht um Komfort. Quelle: Volkswagen/Martin Meiners Den gibt es ohnehin nur in homöopathischen Dosen. Schalensitze und Rückbank sind zum Teil mit Leder bezogen, Armaturenbrett und Türverkleidungen entsprechen dem Serienstand. Elektrische Fensterheber, Radio und Klimaanlage fehlen komplett. Dafür gibt es einen digitalen Tacho von Bosch und einen Überrollbügel. Im Handschuhfach kamen Diagnoseanschlüsse sowie eine Ladedruckregelung unter. Damit hätte sich (auf Rennstrecken) die Leistung erhöhen lassen. Ungewohnt roh für einen GolfIst der Golf in Bewegung, sind alle Wehwehchen vergessen. Ab 2.000 Touren baut der Turbo Druck auf, bei dreieinhalb kommt der Schub. Dann marschiert der A59 stärker vorwärts als die meisten seiner Ahnen und alle seine Brüder. Der stärkste Seriengolf leistete zu Zeiten des A59 190 PS aus sechs Zylindern. Im Vergleich fährt er zahm. Beim Lastwechsel zwitschert es herrlich laut aus dem Motorraum des A59. Der Golf bewegt sich stramm und zackig, er wankt und kippelt wenig. Nicht der typische Golf, den jeder fahren kann. Sondern eine wirklich extreme Variante. Erst in Generation sieben gab es mit dem Golf R (310 PS) einen kräftigeren Serien-Golf. Selbst der fühlt sich lange nicht so kompromisslos an wie der Prototyp von 1993. Mit seinen schmalen Schalensitzen, der Seilzugschaltung mit den kurzen Wegen, dem Momo-Lenkrad mit dem dicken Kranz und seinem Überrollbügel ist der A59 einzigartig. Einen richtigen Nachfolger gab es nie. Einen vergleichbaren Vorgänger auch nicht. Er ordnet sich irgendwo zwischen Golf 2 Rallye und Golf 4 R32 ein, nur eben viel sportlicher. Es ist beeindruckend, was Schmidt und seine Kollegen in eineinhalb Jahren auf die Beine stellten. VW testete das Auto 20.000 Kilometer lang auf dem Nürburgring, unter anderem mit Walter Röhrl am Steuer. Ein paar Macken kamen mit der Zeit dazu. Beim Start braucht er die Hilfe vom Gasfuß, unter hoher Last klingelt der Motor. Die Abstimmung war beim Projektende noch nicht abgeschlossen. Typisch Golf 3: Der Himmel hängt in den Innenraum. An dieser Stelle ist das Einzelstück ganz Serienauto. Der Plan: 2.500 Autos für je 80.000 DMQuelle: Volkswagen/Martin Meiners Hätte VW den Plan A59 durchgezogen, hätte jedes Auto der Kleinserie 80.000 Mark gekostet – so viel wie ein Audi S2 Coupé mit 230 PS. In einer Zeit, als ein Basis-Golf mit rund 22.000 Mark in der Preisliste stand. Die Händler forderten den Sport-Golf, wurden aber enttäuscht. Die Änderungen an der Karosserie waren zu komplex, die Neuentwicklungen zu zahlreich – der Aufwand viel zu hoch. Vermutlich erinnerte sich VW an den Golf 2 Rallye. Im Motorsport fuhr er meist hinterher, im Verkauf lief es schleppend. Im zweiten Verkaufsjahr sank sein Basispreis um rund 11.000 auf 35.650 Mark. Das hätte dem A59 nicht passieren dürfen. 1993 ging es VW wirtschaftlich nicht gut, ein riskantes Rallye-Projekt passte nicht in die Zeit. Der technikverliebte Ferdinand Piëch wurde Anfang 1993 Vorstandsvorsitzender von VW. Was er von dem Super-Golf hielt, ist nicht überliefert. Das Ende des A59 fällt aber in seine Amtszeit – und in eine enorme Spar-Epoche der Wolfsburger. VW sammelte den einzigen fahrbaren Prototyp bei SMS ein, stellte ihn ins Museum und erklärte das Thema A59 für beendet. Nur ein fertiger, fahrbarer PrototypSo richtig vorbei war es damit aber nicht. Denn außerhalb von Wolfsburg beschäftigten sich Fans und Firmen noch lange mit dem Auto. SMS behielt einen Prototyp. Er steht noch heute im Showroom der Filiale und unterscheidet sich in vielen Details vom Museumsstück. Dazu zählen Kühlkanäle in der C-Säule für die Hinterachsbremse, ein verstellbarer Spoiler am Dach und ein Schloss im Kofferraumdeckel. Das SMS-Auto war tatsächlich nur ein Schaustück. Motor und Getriebe sind Serienteile, aufgewertet durch einen Turbo und ein anderes Saugorhr. Das Hinterachs-Differenzial ist ein Platzhalter aus Kunststoff. Kardanwelle und Auspuffanlage fehlen vollständig, genauso Bügel und die sportliche Innenausstattung. Dafür erkennt man den erhöhten Mitteltunnel. Quelle: Volkswagen/Martin Meiners Der britische Journalist und Rennfahrer Chris Eyre recherchierte die Geschichte des A59 für das Magazin „Volkswagen Driver“ im Jahr 2014. VW spricht offiziell von zwei Autos, von denen nur eins fahrbar sei. Laut Eyre waren es insgesamt vier Fahrzeuge. Er ging Hinweisen aus dem Netz nach, prüfte Gerüchte und besuchte den Prototyp bei SMS. Dort erfuhr er von den beiden zusätzlichen Autos. Im Gespräch mit MOTOR-TALK sagte Eyre, er habe ein Jahr lang nach Autos und Teilen gesucht. Vier Autos und viele NachbautenEr berichtet, dass SMS eine unvollendete Karosserie ohne A59-Technik an einen griechischen Tuner verkaufte. Ein viertes Auto befand sich zum Projektende im Umbau zum Gruppe-A-Renner. Volland Racing kaufte den Wagen, ausgestattet mit Getriebe und Allradsystem der Firma Xtrac sowie einem verschweißten Käfig. In dieser Konfiguration wäre VW im Motorsport angetreten. Besitzer Rolf Volland ließ vom Bodykit des Autos Formen anfertigen, um die Teile später nachbauen zu können. Der A59-Motor kam im Volland-Golf nie zum Einsatz. Dafür aber ein 2,0-Liter-Turbo des Tuners Hohenester mit mehr als 500 PS. Volland gewann fünf deutsche Rallyecross-Meisterschaften mit dem Auto, trotz Verschleißproblemen mit dem Xtrac-Differenzial. Im Gespräch mit MOTOR-TALK deutete Volland an, dass er die Formen noch besitzt und theoretisch Teile nachfertigen könnte. Quelle: Volkswagen/Martin Meiners Vom A59 blieben also ein fahrbarer Prototyp (bei VW), ein rollbares Schaustück (bei SMS), eine Rohkarosserie (in Griechenland) und ein halbfertiger Gruppe-A-Renner (bei Volland). Außerdem gab es ein Windkanal-Modell des VW-Designzentrums. Von den Kohlefaser-Kevlar-Verbreiterungen sollen weniger als zehn Sätze entstanden sein. Getunte Autos im A59-Stil tragen Nachbauten, manche die von Volland. Vom zweiten Motor gibt es keine Spur, eine Rallye-Version des Aggregats wurde nie gebaut. Aber die Pläne wurden laut Eyres Recherchen an die Lehmann Motorentechnik AG verkauft. Dort entstanden Versionen ohne Turbo für einige Tourenwagen-Audi in Südafrika, später Turbomotoren mit fast 500 PS für den Einsatz in Le Mans. VW investierte viel Geld und Aufwand in das Projekt A59. Die Serienversion wäre gegen Mitsubishi Lancer Evolution und Subaru WRX STI angetreten – allerdings zu einem deutlich höheren Preis. Im Motorsport hätte er außerdem Toyota Celica und Ford Escort herausgefordert. Daraus wurde nichts. Das Sparprogramm hatte Vorrang. Und so richtig passt der A59 eben wirklich nicht in das Bild, das VW bis heute vom Golf zeichnet. Der Fahrer muss sich anstrengen und auf das Auto konzentrieren, auf Komfort verzichten und die Optik mögen. Im Stau ist er nichts. Auf der Landstraße wäre er alles gewesen. VW Golf 3 A59 (Straßenversion, 1993): Technische Daten
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