20 Jahre nach der Wende feiern Youngtimer-Fans eine Einheit der besonderen Art: Der Trabi ist auch in den alten Bundesländern zum Kultmobil avanciert. Im Trabant-Club Sputnik sind zahlreiche Trabi-Fahrer organisiert. Im Jahr 1990 hatten sich Autofahrer an ein seltsames Phänomen gewöhnt, wenn sie mit 180 Sachen aus der Autobahnkurve geschossen kamen: Die Luft stank plötzlich nach Zweitaktgemisch, eine bläuliche Rauchfahne waberte über dem Asphalt, und aus heiterem Himmel tauchte ein Trabi auf der linken Spur auf. Ein rollendes Verkehrshindernis, dessen Fahrer sich vor zehn Minuten voller Optimismus daran gemacht hatte, einen Lkw zu überholen. Mancher Wessi am Volant riss dann wie gewohnt an der Lichthupe, doch andere nahmen sich zusammen. Höfliche Mercedes-Fahrer schalteten an der Ampel sogar die Lüftung aus, damit der Trabi vor ihnen wieder losfahren konnte. An der Kreuzung führte die begrenzt atemberaubende Beschleunigung der Rennpappe zu Sprüchen wie "Rechts kommt ein Trabi und links ist auch frei". Kurzum: Der Trabi war für viele nur ein Witzobjekt, das Symbol eines gescheiterten Systems, das sicher bald von den Straßen verschwinden würde. Trabi zu verschenken Und zunächst sah es auch ganz danach aus. Die Trabi-Kolonnen wurden kleiner, die Zahl der Gölfe und Kadetts in den neuen Bundesländern stieg sprunghaft an. Der Sachsenring Trabant geriet zum ungeliebten Stinker, wurde für ein Butterbrot verkauft, in Scheunen abgestellt oder gleich verschrottet. "Meinen ersten Trabi bekam ich geschenkt", erinnert sich Timo Jürgenschellert vom Trabant-Club Sputnik: "Der Besitzer hat mir Papiere und Schlüssel in die Hand gedrückt und wollte schon wieder die Tür zumachen." Er musste den Mann dazu überreden, ihm wenigstens eine kurze Einweisung auf das Auto zu geben. Als gelernter Kfz-Mechaniker konnte Jürgenschellert zwar die Trabi-Technik schnell überblicken, doch die vielen kleinen Eigenheiten des Wagens waren ihm zunächst fremd. Schließlich stammt Jürgenschellert aus dem Münsterland, weit weg vom Osten Deutschlands. Im Osten wird mehr getunt Seit 1997 gibt es den Trabant-Club Sputnik (www.sputnik-trabantclub.de). Seine Mitglieder kommen aus ganz Nordrhein-Westfalen, aus dem Ruhrpott und dem Münsterland, aus Düsseldorf, Bochum oder Dortmund, aus Waltrop oder Ascheberg. Mitglieder aller Altersklassen haben sich dem Club angeschlossen, vom 18-jährigen Fahranfänger bis zum Pensionär. Sie veranstalten gemeinsame Schraubertreffen, fahren zu Trabi-Veranstaltungen im In- und Ausland, sammeln Spenden für soziale Einrichtungen und präsentieren ihre Fahrzeuge bei Oldtimer-Treffen. Dabei freuen sich die Sputnik-Mitglieder über den Austausch mit Trabant-Clubs aus dem Osten. "Die Mauer im Kopf war bei Trabi-Fans schon Mitte der 90er Jahre verschwunden", meint Club-Schriftführer Thomas Wentker. Bei den Autos könne man aber immer noch Unterschiede erkennen: "Viele unserer Clubmitglieder legen Wert auf Originaltreue, bei Trabi-Fans im Osten wird viel mehr getunt", berichtet Wentker. Während man in der Bundesrepublik für seinen Golf jedes Ersatzteil nach Lust und Laune aus dem Katalog bestellen konnte, war für Trabi-Piloten zu DDR-Zeiten häufig Tauschwirtschaft angesagt. Ersatzteile gab es im Tausch gegen andere Teile, gegen delikate Fleisch- und Wurstwaren, gegen blaue Fliesen fürs Bad oder sonstige Dinge, die in der Mangelwirtschaft knapp waren. Wenn bestimmte Ersatzteile wie der Auspuff gerade verfügbar waren, wurden sie in rauen Mengen gekauft, um den Vorrat an "Zahlungsmitteln" aufzustocken. Dass Tauschwirtschaft auch heute noch und selbst im Westen funktionieren kann, weiß Timo Jürgenschellert am besten: "Meinen aktuellen Trabi bekam ich im Tausch gegen den Zahnriemenwechsel bei einem alten Audi", erzählt der Kfz-Mechaniker. Ersatzteillage ist gut, Zubehör begehrte Mangelware Nach der Wende wurde der Tauschhandel im Witz auf die Spitze getrieben - Trabi-Fahrer: "Ich hätte gerne zwei Scheibenwischer für meinen Trabant." Tankwart: "Okay, das klingt nach einem fairen Tausch." Heute hat das in der Not geborene Hamstern für Fans des DDR-Youngtimers den Vorteil, dass viele Ersatzteile problemlos und günstig zu bekommen sind. Manche Dinge sind trotzdem knapp geworden, Innenausstattungen und Chromstoßstangen zum Beispiel. Die Trabi-Sportausführung ? bestehend aus Turnschuhen auf der Hutablage ? gab es zwar nur im Witz, doch es existiert tatsächlich eine Menge Original-Zubehör, das bei Sammlern hoch im Kurs steht. In Timo Jürgenschellerts Trabi prangt ein Thermometer auf dem Armaturenbrett, und der Schalthebel hat eine durchsichtige bernsteinfarbene Spitze mit einem Miniatur-Oldtimer darin. "Heiß begehrt bei Sammlern sind auch Schonbezüge für die Sitze", berichtet Thomas Wentker. Kfz-Mechaniker Jürgenschellert und Landmaschinen-Mechaniker Wentker sind von der unkomplizierten Technik des Trabi immer wieder begeistert. "Das Auto ist extrem einfach aufgebaut", sagt Wentker, "man kann praktisch alle Reparaturen selbst durchführen." Sogar technisch weniger Versierte greifen gern zum Schraubenschlüssel. Die Bibel der Trabi-Fans ist das Buch "Wie helfe ich mir selbst", abgekürzt "Whims", ein Reparaturratgeber aus DDR-Zeiten. Trabi-Preise ziehen an Die Preise für gut erhaltene Trabanten haben in den letzten Jahren angezogen, doch im Vergleich zu anderen Oldies ist der Wagen immer noch ein günstiges Hobby. Für den Trabant-Club Sputnik ist es aber mehr als das. Die Westfalen wollen ein Stück Kulturgut aus der deutsch-deutschen Geschichte erhalten - eins, das sowohl den Schrecken der sozialistischen Mangelwirtschaft zeigt als auch die Cleverness, mit der sich Konstrukteure und Besitzer zu helfen wussten. Übrigens: Auch wenn die baumwollverstärkte Duroplast-Beplankung der "Rennpappe" immer wieder das Vorurteil nährte, der Trabi könne nicht rosten, so löst sich mancher Trabant sehr wohl in seine Bestandteile auf. "Schweller, Radläufe, Bodenblech und viele andere Stellen rosten", berichtet Thomas Wentker. Eine teure Restaurierung lohnt nicht, da noch viele gute Exemplare auf dem Markt sind. Und obwohl die Zahl der zugelassenen Trabis rückläufig ist, ist das Kultmobil kaum in seiner Existenz bedroht: Im Jahr 2009 verzeichnete das Kraftfahrtbundesamt noch mehr als 34.000 Trabis auf deutschen Straßen.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 04.10.2010
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