79 Deutsche wurden vergangene Woche wegen gekaufter Führerscheine überführt. Dabei kaufen viel mehr Führerscheinlose ihren Lappen im Ausland – trotz EU-Gesetz.
Berlin – Der Erwerb eines deutschen Führerscheins dauert in der Regel einige Wochen. Mit Hilfe des Internets geht es viel flotter. Dort werden solche Dokumente - ohne Prüfung und vor allem ohne MPU - zahlreich angepriesen. Wie viele Deutsche die illegalen Dienste in Anspruch nehmen, lässt sich kaum nachweisen. Straftaten im Bereich „Führerschein-Tourismus“ sind schwer zu entdecken und noch schwerer zu ahnden. Vergangene Woche klappte es in mindestens 79 Fällen. Da nahm die Polizei im tschechischen Karlsbad, den Vertreter eines entsprechenden Anbieters und zwei Dolmetscherinnen vorläufig fest. „Gegen ein Bestechungsgeld von 3.000 Euro mussten die deutschen Führerscheinbewerber weder den theoretischen noch den praktischen Unterricht absolvieren“, erläuterte Polizei-Sprecherin Katerina Böhmova. Es gab Hausdurchsuchungen und Verhöre. Die Zahl der bislang bestätigten 79 Fälle werde sehr wahrscheinlich auf mehr als 200 ansteigen, sagte sie. Hundertprozentige ErfolgsgarantieIn allen Fällen ging es den Käufern um das Gleiche. Sie wollten die MPU umgehen. Die Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPU) wird meist nach Alkohol- oder Drogenfahrten angeordnet. Gerade für Menschen, die regelmäßig zu viel trinken, stellt die MPU eine fast unüberwindbare Herausforderung dar. Eine Herausforderung gab es für die „Fahrschüler“ in Karlsbad hingegen nicht. „Dieser Geschäftsführer der Fahrschule hat seinen Kunden eine hundertprozentige Erfolgsgarantie gegeben. Die problematischen Bewerber mussten weder Theorieunterricht noch Fahrstunden absolvieren, und bei der Fahrprüfung am Ende halfen ihnen sogar gerichtlich vereidigte Dolmetscherinnen“, sagte Polizeisprecherin Katerina Böhmova zu „Radio Praha“. In Deutschland wurde der Führerschein-Tourismus laut "Heilbronner Stimme" von einem 53-Jährigen aus der Nähe von Heilbronn organisiert. Die Staatsanwaltschaft Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis) ermittelt gegen ihn und könnte in einem zweiten Verfahren auch die Käufer der Führerscheine ins Visier nehmen. Machtlos trotz GesetzEin Einzelfall bleibt die Geschichte nicht. Auf Anfrage von MOTOR-TALK bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), dass es im laufenden Jahr bereits 1.000 Fälle registriert hat, in denen es um solche illegalen Führerscheine geht. Die Dunkelziffer dürfte darüber liegen, hieß es weiter. Trotz zahlreicher Gerichtsurteile und der dritten europäischen Führerscheinrichtlinie, bleibt die Handhabe für deutsche Behörden schwierig. Nach dem EU-Gesetz muss Deutschland den neuen ausländischen Führerschein einer Person, die ihre eigentliche deutsche Fahrerlaubnis verloren hat, nicht anerkennen. Allerdings gibt es bis heute kein zentrales elektronisches Führerschein-Register für Europa. Darum fällt das Auffinden der Sünder so schwer. „Das Problem besteht seit Jahren, aber einige Nachbarländer und auch die EU tun einfach zu wenig dagegen“, sagt Gerhard von Bressensdorf, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF) zu MOTOR-TALK. Wenig Fortschritte in den vergangenen Jahren„Das Problem“ hängt vor allem mit dersogenannten 185-Tage-Frist zusammen: Wer nach einem Führerschein-Entzug in Deutschland ein gutes halbes Jahr in einem anderen Land der EU gelebt hat, kann dort eine neue Fahrerlaubnis erwerben - und damit ohne MPU in Deutschland fahren. Ein im Ausland erworbener EU-Führerschein ist laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zunächst einmal in Deutschland anzuerkennen. Nur, wenn dem Besitzer nachgewiesen werden kann, dass er seinen Führerschein unter Umgehung des Wohnsitzprinzips erschlichen hat, drohen Konsequenzen. Eine vorgebliche Verlagerung des Wohnsitzes ist dabei für die Führerschein-Trickser eine kleine Hürde. Sie bieten ein Komplettpaket mit neuer, gefälschter Adresse und die entsprechenden Behördengänge offen im Internet an. Handhabe hat die Polizei kaum. Um Tricksern und Käufern etwas nachzuweisen, müssen deutsche und ausländische Behörden eng zusammen arbeiten. Die Ermittlungen der Behörden in Karlsbad und Mosbach haben mehr als ein Jahr in Anspruch genommen. Fahrlehrer rechnen mit 20.000 illegalen FührerscheinenSo bleibt die Situation auch mit neuen Gesetzen und Urteilen schwierig. Unrechtmäßig erworbene Führerscheine unterliefen nun mal die geltenden Vorschriften, stellt das KBA nüchtern fest. Unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip ausgestellte Führerscheine seien dabei nach wie vor „eine Herausforderung“. Tatsächlich hat sich mit der seit 19. Januar 2013 für EU-Staaten verpflichtenden dritten europäischen Führerscheinrichtlinie wenig getan. Von Juli 2004 bis Dezember 2005 - also vor dem Gesetz - hatte das KBA noch 2.489 solcher Fälle ausgewiesen – auf das Jahr gerechnet nur etwas mehr als 2015. In der Realität dürften außerdem noch deutlich mehr Deutsche mit erschlichenem Lappen unterwegs sein. „Wir rechnen damit, dass die Anzahl illegal im Ausland erworbener Führerscheine im Bereich von 20.000 jährlich liegt“, sagte Gerhard von Bressensdorf vom Verband der deutschen Fahrlehrer zu MOTOR-TALK.
Quelle: mit Material von DPA, Radio Praha, Heilbronner Stimme, MOTOR-TALK |