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Ein Tag beim Reifenhändler - Unsere MOTOR-TALKerin Jule gibt am Reifen Gummi

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Nie wird es beim Reifenhändler heißer als im Herbst. Unsere Kollegin Jule schraubte sich einen Tag mit den Profis schon mal warm.

Interview am obligatorischen Reifentisch: Fililalleiter David Wilke und Redakteurin Jule Interview am obligatorischen Reifentisch: Fililalleiter David Wilke und Redakteurin Jule Quelle: MOTOR-TALK/ Andreas Friese

Berlin - Manche Erfindungen sind so wertvoll, dass sie zweimal gemacht werden müssen. Der Luftreifen z. B. wurde 1846 von Robert William Thomson zum Patent angemeldet, setzte sich aber nicht durch. 42 Jahre später hatte John Boyd Dunlop dann mehr Erfolg. Sein Fahrrad-Luftreifen war wegweisend für den Erfolg der Automobile. 124 Jahre später stehe ich in der Reifenwerkstatt von Reifen-Müller in Halensee. Zum ersten Mal nicht als Kundin.

Reifenhändler erwarten besonders gute Umsätze

Der beste Teil des Tages: Fragen stellen. Fällt unserer Kollegin leichter als Reifen wuchten Der beste Teil des Tages: Fragen stellen. Fällt unserer Kollegin leichter als Reifen wuchten Quelle: MOTOR-TALK/ Andreas Friese

In der Filiale klingelt es, ständig. Das gute, alte Telefon. Dabei scheint draußen noch die Septembersonne. „Von O bis O‘ haben die Leute im Kopf“, sagt David Wilke, der Filialleiter.

Die heiße Phase des Reifenwechselns beginnt, wenn es draußen empfindlich kalt wird. Mit Sonderaktionen versuchen viele Händler, den Zeitraum zum Wechsel zu entzerren. Üblicherweise kommen alle Autofahrer gleichzeitig.

Dabei dürfte es in diesem Jahr noch schwerer werden. Für die Jungs am Rad, und für die Kunden. „Statistisch gesehen, ist alle 4-5 Jahre ein neuer Reifensatz fällig“, sagt Wilke. 2009, im Jahr der Abwrackprämie, tauschten knapp zwei Millionen Menschen ihre alten Karren gegen Neuwagen. 2010 kam die Winterreifenpflicht. Dieser Winter wird also Reifenwechselwinter.

Keine Lounge-Atmosphäre gewünscht

Reifenhändler haben ein anderes Image als Autohäuser. Beim Reifenhändler geht es um Reifen, sonst nichts. Stehtische, Deko, alles aus alten Gummis gemacht. Hier geht alles schneller, direkter, ohne SchiSchi und Trara. Der Automat spuckt Kaffee in „groß“, „mittel“ und „klein“ aus. Soja-Latte-Macchiato-Brühe kommt hier nicht in die Tasse.

Pausenraum. Umziehen. Blaumann und Sicherheitsschuhe statt Laptop und Jeans. Mit Blick auf die Stahlkappen steigt Wehmut auf. Damals, als Studentin, waren meine blauen DocMartens tägliche Begleiter.

Meine Begleiter für heute heißen Adrian, Rene und Andreas. Das Trio mit den extrem kraftvollen Unterarmen ist anfangs ein bisschen schüchtern. Frauen, so höre ich später, verirren sich allenfalls mal in die Werkstatt. Mit denen habe ich eines gemeinsam: Trotz passendem Outfit stehe ich oft hilfreich im Weg.

Wenn man es kann, geht es fix

Pro Hebebühne arbeiten zwei Monteure: In 30 Minuten sind vier Winterreifen montiert Pro Hebebühne arbeiten zwei Monteure: In 30 Minuten sind vier Winterreifen montiert Quelle: MOTOR-TALK/ Andreas Friese

Um 10 Uhr sind zwei Kundenfahrzeuge auf den Hebebühnen, dazu Rene und Andreas. Das Duo arbeitet zusammengerechnet seit 23 Jahren an der Bühne. Ein Super-Team. Zack, zack, hat der Benz neue Winterräder. Unendlich viel langsamer ziehe abschließend die Muttern mit dem Drehmomentschlüssel fest. Es knackt. Rene nickt.

Die Arbeit ist nicht schwierig, aber schwer. Ein Reifen wiegt mit Stahlfelge um die 30 Kilo. Viel Herausforderung bietet ein Reifenwechsel nicht, es sei denn, es werden Runflat- oder UHP-Reifen montiert.

Zur Hochsaison rollen 40 Autos pro Tag über die Bühnen. Macht 160 Reifen. Um das zu wuppen, werden zeitweilig zusätzliche Mechaniker eingestellt. Nur mit zwei Männern pro Bühne läuft das Geschäft.

Rene erklärt mir, wie ich den Reifen des Mercedes auf Felge ziehe. Mit Druckluft schiebt sich der Reifen über den Felgenrand, es knallt extrem. Das ist normal, aber mein Gesichtsausdruck rettet Rene vermutlich den Tag.

Reifendruckkontrollsystem wird Pflicht

Knochenarbeit: Andreas transportiert hier geschätzte 120 Kilo Reifen und Felgen Knochenarbeit: Andreas transportiert hier geschätzte 120 Kilo Reifen und Felgen Quelle: MOTOR-TALK/ Andreas Friese

Spannend und teuer wird der Besuch beim Reifenhändler mit der ECE-Regelung Nr. 64. Alle nach dem 1. November 2014 zugelassenen Neuwagen müssen ein Reifendruckkontrollsystem (RDKS) haben. Das misst – entweder mit direktem oder indirektem System – den Reifendruck.

Ab Werk gibt es die neuen Reifen mit meist direktem System, dann muss der jeweils andere Reifensatz nachgerüstet werden. Kosten dafür: ca. 200 Euro.

„Der TÜV wertet das Fehlen des Systems als geringen Mangel, der aber als sicherheitsrelevant sofort behoben werden muss“, sagt David Wilke.

Der älteste Reifen war volljährig

Die Lebensdauer von Reifen schwankt zwischen 7 und 10 Jahren, abhängig davon, welchen Experten man fragt. Dann härtet die Gummimischung so aus, dass die Gummis porös werden. Der älteste Reifen, der in die Werkstatt gefahren kam, war 18 Jahre alt. „Der war noch aus den 90ern“, lächelt Wilke. „Manche Kunden sind halt beratungsresistent. Wenn die Gummimischung derart ausgehärtet ist, fährt sich das Profil nicht mehr ab.“

Die meisten Kunden haben aber eher mehr als weniger Geld, das macht die Nähe zum Grunewald. „Wir haben sogar ein bisschen Prominenz hier.“ Aus alten Sat1-Serien, Kriminalkommissare. Detaillierter wird Wilke nicht.

Alufelgen für den Anhänger

Die Auswuchtmaschine zeigt am Display an, wo wie viel Gewicht fehlt, um die Unwucht zu beseitigen Die Auswuchtmaschine zeigt am Display an, wo wie viel Gewicht fehlt, um die Unwucht zu beseitigen Quelle: MOTOR-TALK/ Andreas Friese

Die „besonderen“ Wünsche sind weniger skurril als erwartet und zeugen von echter Zuneigung zum Fahrzeug. „Einer wollte für seinen Anhänger Alufelgen haben. Dabei war das Ding 20 Jahre alt.“ Das musste Wilke ihm abschlagen. Die Radnabe war so dicht am Anhängeraufbau, da passten keine Alufelgen. Die hatten alle eine zu große Einpresstiefe. Und Distanzscheiben am Anhänger wären etwas viel des Guten.

Nach sechs Stunden und viel Kleinarbeit (bei der schweren haben mich die Profis gar nicht erst ans Rad gelassen, den Rädern zuliebe) schmeiße ich Blaumann und Stahlkappenschuhe in den Spind. Was nehme ich mit? Räderwechseln, das ist definitiv kein Job für mich.

Wann wechselt Ihr? Macht bei unserer Umfrage mit.

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