Vor 75 Jahren setzte Mercedes einen Rekord für die Ewigkeit. Die Rekordfahrt war nicht nur eine technische und fahrerische Leistung. Sondern auch eine der größten sportlichen Tragödien.
Köln - Nur wenige Weltrekorde halten so lang wie ein Menschenleben. Vor allem, wenn dabei Technik im Spiel ist. Doch der Mercedes 12-Zylinder-Rekordwagen W 125 hat seinen Spitzenplatz in der Bestenliste nun seit einem Dreivierteljahrhundert inne: Der Stromlinien-Renner ist 1938 auf öffentlicher Straße so schnell gefahren wie niemals jemand zuvor – oder danach. Die Zahl der automobilen Geschwindigkeitsrekorde ist groß. Es gibt sie für Serienautos, verschiedene Arten von Rennwagen, unterschiedliche Antriebskonzepte sowie diverse Distanzen und Start-Modi. Was den Mercedes-Rekord aus der Masse heraushebt, sind neben seiner spektakulären Dauer auch die tragischen Umstände seiner Entstehung aus der erbitterten Konkurrenz zweier Rennställe und zweier Rennfahrer. Mercedes-Benz gegen Auto UnionMitte der 30er-Jahre lieferten sich Mercedes-Benz und Auto Union nicht nur auf den Rennstrecken heiße Zweikämpfe. Auch außerhalb der Rundkurse, bei den damals extrem populären Geschwindigkeits-Rekordfahrten, wollten beide Rennställe dominieren. Die Nationalsozialisten kanalisierten die Jagd nach immer höherem Tempo im Oktober 1937 in der eigens geschaffenen „Rekordwoche“ auf einem Teilstück der Autobahn Frankfurt-Darmstadt. Die Strecke war schon beim Bau als mögliche Autorennbahn geplant. Dass sie im damals schon geplanten Kriegsfall auch teilweise zum Landen von Flugzeugen hätte genutzt werden können, war kein Zufall. Zu den spektakulärsten der immerhin 16 bei der Rekordwoche aufgestellten Weltrekorde zählte die erste Überschreitung der 400 km/h-Marke durch den Auto Union-Rennfahrer Bernd Rosemeyer. Den großen Geschwindigkeits-Star seiner Zeit. Mercedes trat ebenfalls an, musste sich aber aufgrund technischer Probleme geschlagen geben. Das wollte man in Untertürkheim jedoch nicht auf sich sitzen lassen und ließ Verbindungen spielen. So setzte die Oberste Nationale Sportbehörde trotz eines Protestes der Auto Union für den 28. Januar 1938 einen Revanche-Termin für die Konkurrenten an. Showdown mit 736 PSDie Rechnung für Mercedes geht auf, es kommt zum Showdown. Am Morgen des 28. Januar steht der Mercedes-Stromlinienwagen am Startpunkt, am Steuer sitzt Rudolf Caracciola, Cheffahrer des Rennstalls. Die windschlüpfrige Karosserie ist um einen Zwölfzylinder-Kompressormotor herum gebaut – mit 736 PS ist er das stärkste bis dato von den Schwaben entwickelte Triebwerk. Der 5,6 Liter große Benziner muss Schwerstarbeit leisten, aber nur für wenige Sekunden. Das ermöglicht Kompromisse: Statt durch Fahrtluft wird der Kühler durch ein Eis- und Wasserbad temperiert. So können die Ingenieure auf Kühllufteinlässe an der Karosserie verzichten. Das Ergebnis ist eine vollkommen glatte Karosserie in Tropfenform. Selbst die Räder sind verkleidet. Einzig zwei kleine Lufteinlässe an der Front stören die fast fugenlose Oberfläche – sie versorgen den Motor mit Sauerstoff. Quelle: Daimler Als der W 125 um kurz nach acht seinen Kompressor-Sopran für eine erste Probefahrt in die kühle Morgenluft bläst, rechnete noch niemand mit einem Rekord. Doch als Caracciola wenige Sekunden nach dem fliegenden Start das seidene Messband an der Kilometer-Markierung mit der stumpfen Nase seines Autos durchschneidet, ist das Ergebnis ein Fabelwert: 423,7 Km/h – mehr als 17 km/h schneller als Rosemeyers alter Rekord. Rekordjagd ohne RücksichtBei der Auto Union reagiert man geschockt. Der Revanche-Termin hatte die Sachsen eh schon kalt erwischt, gerade so eben kann man den 545 PS starken Typ C fit für die Herausforderung bekommen. Was an Entwicklungszeit fehlt, soll Bernd Rosemeyer wettmachen. Der Deutsche- und Europameister ist schnell und für seine risikofreudige Fahrweise bekannt. Doch es reicht nicht; bis in den Mittag hinein versucht er, den Rekord zu knacken. Dann zieht Wind auf, das Team will weitere Fahrten auf den kommenden Tag verschieben. Rosemeyer aber pocht aufs Weitermachen. Um 11.46 Uhr steigt er ein letztes Mal ins Cockpit. Um 11.47 Uhr ist er tot. Quelle: Daimler Kurz nach Kilometer 9 erfasste eine plötzliche Windböe Rosemeyers Wagen bei Tempo 430. Er kam von der Strecke ab, überschlug sich und landete in der Böschung. Als der Teamarzt ihn erreichte, sah der Rennfahrer unverletzt aus. Als ob er schliefe, gab der Mediziner später zu Protokoll. Der Tod Rosemeyers war ein Schock für die deutschen Motorsportfans. Tausende kamen zu seiner Beerdigung, sein Leben und seine Leistungen wurden zu Titanenhaftem verklärt. Im Tod wurde er endgültig zum Superstar – auch, weil die Nazis ihn in soldatischem Duktus dazu stilisierten. Ende einer ÄraFür automobile Rekorde bedeutet Rosemeyers Tod das Ende einer Ära. Die Auto Union steigt aus dem Konkurrenzkampf aus, auch Mercedes war die Lust vergangen. Der eigentlich geplante Bau eines noch viel schnelleren Über-Rennwagens verlief im Sande. Quelle: Daimler Caracciolas Rekord auf öffentlicher Straße sollte nie wieder geknackt werden. Die Autobahn-Rennstrecken sind längst wichtige Verkehrsadern, auf denen für motorsportliche Spielereien kein Platz mehr ist. Rekordfahrten werden heute auf den Salzseen in Utah und Nevada oder auf den Rundstrecken von Nardo und Indianapolis absolviert. Die aktuell höchste jemals von einem Auto erreichte Geschwindigkeit liegt bei 1.227,98 km/h, gemessen am 15. Oktober 1997 in der Black Rock Desert bei einer Fahrt des Raketenautos Thrust Super Sonic Car. Der Geschwindigkeits-Rekord auf einer „öffentlichen Straße“ liegt bis heute bei 423,7 Km/h. Quelle: SpotPress |