Mit dem Mercedes 35 PS baute Daimler das erste richtige Auto. Leider hat kein Exemplar überlebt. Aber der Nachfolger: Unterwegs im 115 Jahre alten Simplex 40.
Nizza – Oldtimer haben was – und das ist so ganz anders als bei modernen Autos. Ohne Elektronik und Schnickschnack, ohne nerviges Gepiepe und oberlehrerhafte Warnungen fahren sie los. Ein Mercedes Strichacht oder W123 begeistert viele Mercedes-Fans noch heute, auch ein W124. Die bieten Klassiker-Feeling mit annähernd zeitgemäßem Komfort. Der Mercedes Simplex 40 ist der direkte Nachfolger des Mercedes 35 PS von 1900. Des ersten Autos nach heutiger Vorstellung also: quasi ein leichtes Facelift, oder im Mercedes-Sprech: die gemopfte Version. Optisch gibt es zwischen dem 35 PS und Simplex 40 kaum Unterschiede. Vom Mercedes 35 PS wurden 29 Fahrzeuge gebaut, überlebt hat keines. Der Nachfolger Simplex 40 verkaufte sich ein paar hundert Mal, von ihm existieren noch ein paar Autos. Eines davon besitzt das Mercedes-Museum, das es ab und zu auf die Straße lässt. Der erste Kühler, das erste Auto35 PS und Simplex 40 sind deshalb besonders, weil sich Daimler damit von Kutschenbau und motorisiertem Dreirad verabschiedete. Erstmals kam ein Vierzylinder mit Kühler und geschlossenem Kühlsystem zum Einsatz. Rund 8.000 Vierkantröhrchen vergrößern im Bienenwabenkühler die Kühloberfläche und senken die Motortemperatur. Durch diese Steuerung steigerte sich die Leistung erheblich, der Gaswechsel erfolgte schneller und genauer. Über die offene Schaltkulisse lassen sich fünf Gänge einlegen, darunter ein Rückwärtsgang. Das Differenzial gleicht in Kurvenfahrten die Geschwindigkeiten der Räder aus. Technik, die im Grundsatz noch heute zur Anwendung kommt. Der schmalere und stabilere Rahmen aus Pressstahl senkt den Schwerpunkt im Vergleich zur Kutsche deutlich ab, dadurch fährt das Auto sicherer und dynamischer. „Der erste Mercedes war ein echter Quantensprung, hier wurde das Potenzial der noch neuen Erfindung erstmals konsequent umgesetzt“, sagt Gerhard Heidbrink, Mercedes-Benz-Classic-Archivar. Mercedes Simplex 40: Vor dem Fahren kommt das KurbelnHinter dem Wabenkühler sitzt ein Vierzylindermotor mit 6,8 Litern Hubraum und 45 PS bei ca. 1.100 Umdrehungen pro Minute. Bei Vollgas fährt der 1,2-Tonnen-Mercedes 75 - 80 km/h – damals auf nicht asphaltierten Straßen. Damit zählte der Simplex zu den schnellsten Autos seiner Zeit. Eine Rennversion schaffte sogar 110 km/h. Es braucht dicke Oberarme und viel Schwung, bis der warme Motor läuft. Erst nach fünf Versuchen gelingen zwei nacheinander folgende Umdrehungen mit der Kurbel, und der Vierzylinder startet. Die Ventile schnattern, die Karosserie schüttelt sich. Mit ein bisschen mehr Handgas am Lenkrad und früh eingestellter Zündung beruhigt sich das Auto. Die eigentliche Herausforderung folgt nun: Anfahren und schalten. Statt drei Fußpedalen besitzt der alte Mercedes deren vier, zwei davon sind für die Bremse. Dazu kommen zwei Hebel rechts neben dem Fahrer: ein Schalthebel und noch einer für die Bremse. Ein echter SupersportwagenEin Gangwechsel läuft wie folgt ab: Kupplung treten, Gas weg, Gang raus, Kupplung loslassen, Kupplung wieder treten, Gang fest einlegen, Kupplung loslassen und Gas geben. Und zwar schnell. Der Vierzylinder stampft wie ein Schiffsmotor aus dem unteren Drehzahlbereich los, schüttelt die vorderen Kotflügel durch und versetzt das kleine, dicke Holzlenkrad in kräftige Vibration. „Der Simplex 40 war zur damaligen Zeit ein technisch anspruchsvolles Auto und ein echter Supersportwagen“, sagt Archivar Heidbrink. Autos waren vor 115 Jahren noch seltene Spielzeuge für Reiche. Um ihre Autos in Szene zu setzen, starteten Herrenfahrer Anfang des vergangenen Jahrhunderts vor allem bei Rennen wie dem Bergrennen La Turbie, einer kleinen Gemeinde oberhalb von Monaco. Auf etwa fünf Millionen Euro schätzen Experten den Wert dieses Simplex 40. Trotzdem ist dieser Meilenstein der Automobilgeschichte für viele Oldtimerfans uninteressant. Nicht nur, dass das Auto unerschwinglich ist. Vor allem stresst es bei der Fahrt. Und Oldtimer fahren sollte doch eigentlich Genuss bereiten. Mercedes Simplex 40: technische Daten
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