Er ist nicht der bekannteste Schnauzbart-Träger Deutschlands, aber der erfolgreichste. Dieter Zetsche sprach mit MOTOR-TALK über Digitales, Handel und Kulturwandel.
Quelle: Frau Rabe fotografiert / Jennifer Adler für MOTOR-TALK Berlin – Von der deutschen Mercedes-Zentrale bis ins MOTOR-TALK-Hauptquartier schlendert man in gemütlichen 35 Min. 2 Kilometer coolstes Berlin liegen zwischen uns und denen. Zur guten Nachbarschaft gehört ein Besuch, und auch deshalb kam Dr. Dieter Zetsche (63) vergangene Woche zum Frühstück vorbei. Aber auch, weil er neugierig ist. Dieser Mann gehört zu der Art von Chef, Alphatier oder Mann, die stets ein Lächeln im Gesicht tragen, wenn ihnen Unbekanntes begegnet. Das gibt ihm, was in der Branche nicht jeder hat: Charisma. Klar, Dieter Zetsche kann sich anpassen. Ein Start-up-mäßiges Büro wie unseres betritt er in Jeans, mit Pullover und ohne Krawatte. Um Autorität muss der Daimler-Boss sich nicht bemühen, es hört ihm sowieso jeder zu. Quelle: Frau Rabe fotografiert / Jennifer Adler für MOTOR-TALK Seit 11 Jahren steht Zetsche an der Spitze des Daimler-Konzerns. Er definierte die Marke neu, beendete das Chrysler-Experiment und schrumpfte den aufgeblähten Hightech-Konzern zurück zu einem Auto- und Lkw-Hersteller. Die Trennung von Chrysler 2007 war der erste große Einschnitt, den er verantwortete. Internet und Smartphones verändern den HandelDie MOTOR-TALK Kollegen überlegen: Wäre es blöd, nach einem Selfie zu fragen? Autobosse hatten wir schon öfter hier – aber noch keinen so prominenten. Davon gibt es nicht viele, neben Zetsche vielleicht noch Carlos Ghosn von Renault und Sergio Marchionne von Fiat. Die Jeans ist bei Zetsche nicht nur Anpassung. Der freundliche Herr drängt seinen Konzern in Richtung Digitalisierung, Apps, Carsharing, autonomes Fahren. Er will nicht nur dabei sein, sondern anführen. Internet und Smartphones haben schon viele Branchen von Grund auf verändert, der Autohandel wird folgen. Das weiß Zetsche. Einer, der viel Erfahrung damit hat, ist mobile.de Geschäftsführer Malte Krüger. Seit sechs Jahren führt er Deutschlands erfolgreichste Autoanzeigen-Plattform. Rund 40 Prozent aller in Deutschland verkauften Gebrauchtwagen werden über mobile.de gehandelt, sagt Malte Krüger. Das wusste Dieter Zetsche vor seinem Besuch noch nicht. Zetsche brilliert als Zuhörer: die Körperhaltung tiefenentspannt, die Augen hellwach, der Geist blitzschnell. Für den Neuwagenkauf spiele das Internet noch keine große Rolle, sagt er. Und fügt dramaturgisch perfekt ein verheißungsvolles „noch“ dazu. Daimler experimentiere seit einiger Zeit mit einer eigenen Plattform. Quelle: Frau Rabe fotografiert / Jennifer Adler für MOTOR-TALK Bestellmarkt bei Neuwagen rückläufigGenauer: Mercedes-Benz begann 2013 mit dem Neuwagenverkauf im Internet, zunächst nur in Hamburg. Seit Sommer 2016 werden Mercedes-Neuwagen bundesweit im Internet angeboten. Allerdings nur vorkonfiguriert: Das Spiel mit den Häkchen und Optionen findet im Mercedes-Onlinestore nicht statt. Eine bewusste Entscheidung. „Der Bestellmarkt bei Neuwagen ist rückläufig. Nach wie vor leben wir in der Fiktion, dass weltweit „Order to Delivery“ (Lieferung auf Bestellung, Anm. d. Red.) der bedeutendste Prozess wäre,“ sagt Zetsche. Tatsächlich dominiert bei Daimler und überall in vielen Märkten das Geschäft mit Bestandsfahrzeugen. Insbesondere in den größten Märkten, also in China und den USA. Noch finden Kaufabschlüsse beim Händler vor Ort statt. Doch zur umfangreichen Information ist das Internet für Autokäufer längst unverzichtbar. Laut der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) recherchieren 74 Prozent der Autokäufer online nach Informationen. „Ich kann mir vorstellen, dass es in zehn Jahren fast nichts anderes mehr gibt“, sagt Zetsche. Von Trendgetränken wie Fritz-Cola (muss sein in Friedrichshain) lässt er die Finger. Zum Hefezopf gibt es nur Mineralwasser. Direktvergleich: Zetsche sieht PotenzialIm Internet vergleichen Kunden Autos verschiedener Hersteller direkt miteinander. Das klingt banal, für Hersteller und Händler ist es das aber nicht. Wir können das gut, sagt Malte Krüger im Gespräch mit Dieter Zetsche. Aber wir werden es bald noch besser können. Weil unsere Kunden sich genau das wünschen. Zetsche pflichtet bei: „Die Hersteller hätten vermutlich eine bessere Durchdringung, wenn sie zu ihren Modellinformationen direkt die Informationen des Wettbewerbs geben würden. Aktuell muss sich der Kunde diese selbst suchen“. Natürlich kann mobile.de als Multimarken-Plattform schneller und zwangfreier handeln als Mercedes. Doch Zetsche sagt klar: „Wenn der Kunde sich etwas wünscht, wird er es bekommen. Wenn wir ihm die Dinge nicht bieten, holt er sie sich woanders.“ Er hält kurz inne. „Die Logik tut zwar weh, aber es hilft nichts“, sagt Zetsche. Aus der Krise an die SpitzeQuelle: Frau Rabe fotografiert / Jennifer Adler für MOTOR-TALKVor wenigen Jahren waren Audi und BMW deutlich profitabler und verkauften mehr Autos als Mercedes. Ohne Metaphern vom sinkenden Stern aus Sindelfingen kamen Handelsblatt und Wirtschaftswoche kaum einen Tag aus. Zetsche musste wiederholt Gewinnziele nach unten korrigieren. Ende 2012 drohte dem Konzernboss angeblich sogar ein vorzeitiges K. o. Hohe Investitionen in neue Modelle drückten die Margen aus dem laufenden Geschäft. Heute schmunzelt Zetsche, wenn er sich daran erinnert, beißt genüsslich in ein Stück Hefezopf und sagt, als hätte das alles zum Plan gehört: „Wir haben uns 2011 auf der Pkw-Seite zum Ziel gesetzt, BMW und Audi bis 2020 zu schlagen.“ Der ehrgeizige Dr. Z erreichte sein Ziel viel früher. 2016 konnte Mercedes-Benz erstmals seit 2005 wieder mehr Autos verkaufen als Audi und BMW. „Jetzt sind wir vier Jahre früher als geplant da, und könnten sagen: Wunderbar, Liegestuhl. Aber das tun wir nicht. Die traditionellen Wettbewerber bleiben stark und Firmen wie Google, Apple und Alibaba kommen hinzu“, sagt Zetsche. Alle großen Blechbauer wissen: Wir müssen uns neu orientieren. Ohne Elektro wird es schon sehr bald nicht mehr gehen. In neuen Geschäftsfeldern ist Bewegung. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass Menschen nach wie vor glauben, man kann den Fortschritt aufhalten.“ Hört Zetsche wirklich 2019 auf?Was ist nun das neue Ziel von Dieter Z. nach turbulenten Jahren bei Daimler? Erfolgreich ist der Konzern, aber wie lange hält das, ohne Veränderung? Zetsche will den Supertanker Daimler auf das kommende Jahrzehnt vorbereiten. Auf allen Ebenen. Bei den Autos, den Lastwagen, aber auch in der Kultur, beim Miteinander. Gemeinsam mit Audi und BMW kaufte Mercedes den Kartendienst „Here“, als Basis für die nächste Stufe des autonomen Fahrens – unabhängig von Google und Apple. Die Carsharing-Marke „Car2Go“ will man mit BMWs „DriveNow“ zusammenlegen – damit dürfte es für viele Wettbewerber „Game over“ heißen. Game over? So ganz kann man sich noch nicht vorstellen, dass ein Dieter Zetsche in zwei Jahren in den Ruhestand oder den Aufsichtsrat wechselt. Jede Faser Zetsche will gewinnen. Kaum vorstellbar, dass Mr. Mercedes damit aufhört. |