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Autokino in Deutschland heute - Vom Teenagertraum zur Nischenkultur

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Kino, knutschen, große Freiheit: Die Blütezeit des Autokinos kennen viele nur noch aus Papas Jugenderinnerungen. Aber das Autokino lebt. Trotz Dauerwinter.

Harry Potter flimmert über den weiten Kino-Parkplatz, hier auf der Messe Hannover. Der Ton kommt aus dem Autoradio, die Romantik ist im Preis inbegriffen. Harry Potter flimmert über den weiten Kino-Parkplatz, hier auf der Messe Hannover. Der Ton kommt aus dem Autoradio, die Romantik ist im Preis inbegriffen. Quelle: dpa

Berlin - Vor 80 Jahren erfand ein Amerikaner das Autokino. Nach Deutschland schwappte der Trend 1960. Jüngere kennen das Autokino oft nur vom Hörensagen - sie haben etwas verpasst. Damals, als fast jeder Junge ein Auto hatte, aber kaum jemand eine eigene Wohnung, als Knutschen in der Öffentlichkeit noch verpönt war, damals war das Autokino die Chance auf den kleinen Ausbruch am Freitagabend. Auf spannende Filme und gleichzeitig etwas Privatheit mit dem Mädchen der Träume, ein Highlight zwischen Autobahnrastplatz und Dorfdisco.

Eine Blütezeit, lange her und fast vergessen. „Autokinos waren noch in den 70ern richtige Geldquellen“, sagt der 71 Jahre alte Walter Jann, Betreiber mehrere Autokinos in Deutschland. Der Abstieg begann Anfang der 80er. Der wachsende Homevideo-Markt, die Privatisierung des Fernsehens - immer öfter kamen Spielfilme ganz profan ins Wohnzimmer.

Hinzu kam noch ein ganz anderes Problem: 1980 wurde die Sommerzeit wieder eingeführt. Plötzlich wurde es im Sommer erst um halb elf dunkel.

Mischnutzung hält Autokinos am Leben

Einfahrt zu Deutschlands ältestem Autokino: Das Drive In Gravenbruch eröffnete 1960. Einfahrt zu Deutschlands ältestem Autokino: Das Drive In Gravenbruch eröffnete 1960. Quelle: dpa Walter Jann bezeichnet sich als "Retter der Autokinos" in der alten Bundesrepublik. Der Autokino-Baron sozusagen. Von den einst rund 20 westdeutschen Autokinos gehören ihm fünf, und die hält er am Leben - teilweise seit 40 Jahren.

Darunter ist auch das erste Autokino Deutschlands, das 1960 in Gravenbruch (Neu-Isenburg) eröffnete. 2012 war es mit 71.000 Zuschauern das erfolgreichste Kino in Janns Verbund.

„Das Autokino würde sich nicht mehr lohnen, wenn wir die Fläche nicht anderweitig nutzen würden“, erklärt der Unternehmer. Bei Tageslicht dienen Janns Autokinos als Gebrauchtwagenbörsen. Wer am Tage sein Auto verkaufen will, zahlt 20 bis 35 Euro pro Stellplatz. Kinobesucher zahlen abends sieben Euro pro Person. Rund 1000 Stellplätze gibt es an jedem Standort, auch im Winter laufen Filme. Der Ton kommt per UKW aus dem Autoradio.

Berlin: Mädels in Pettycoats

In Berlin bemüht sich seit 2009 ein junges Team um eine Autokino-Reanissance. Auf dem zentralen Festplatz nahe dem Flughafen Tegel wird abends eine 180-Quadratmeter-Leinwand aufgeblasen. Die Betreiber setzen auf die Mischung aus Moderne, Flair und Mythos: Per SMS können Burger und Coke bestellt werden, „und unsere Mädels in Pettycoats bringen Essen und Getränke zum Auto“, sagt Chef Stefan Hietel. Mit dem Imbissgeschäft verdient er das meiste Geld.

Blockbuster statt Nouvelle Vague

Was Hietel erst lernen musste: Nicht jeder Film funktioniert im Autokino. „Wir dachten, dass Klassiker gut laufen - aber das hat sich nicht bewahrheitet“, sagt er. Action, Blockbuster und Endzeitdramen füllen den Festplatz. Je kulturlastiger das Angebot, desto mehr der 200 Stellplätze bleiben frei.

Besonders voll wird es, wenn ein Blockbuster etwas mit Autos zu tun hat. In Berlin sind die Fast-and-Furious-Filme ein Renner. Gute Besuchszahlen erhofft sich Stefan Hietel auch vom neuen „Star Trek“-Film und von „Oblivion“ mit Tom Cruise.

Zempow: Das einzige Autokino der DDR

Oldtimer und Autokino haben Gemeinsamkeiten: Ihre Hochphase liegt lange zurück, aber beide haben noch lange nicht ausgedient. Oldtimer und Autokino haben Gemeinsamkeiten: Ihre Hochphase liegt lange zurück, aber beide haben noch lange nicht ausgedient. Quelle: dpa Ein Nischenangebot braucht ein großes Einzugsgebiet. Hietel sagt, mindestens eine Million Menschen. Es geht aber auch anders, wie zum Beispiel in Zempow (Brandenburg). Dort steht das ehemals einzige Autokino der DDR. „Es gibt keine Stadt in der Nähe“, sagt der Filmemacher Jean Christopher Burger, der es 2006 in einem Dokumentarfilm verewigte. 1977 begannen die Vorführungen, auf dem Gelände einer Hühnermast-LPG.

Zempow ist ein ungewöhnliches Autokino. Ein Relikt, wie die westdeutschen Kinos - aus einem untergegangenen Land. Zempow gehört heute zu Wittstock im Landkreis Ostpriegnitz-Ruppin. Zu DDR-Zeiten eine Kornkammer, geprägt von Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung. Und vielen jungen Menschen, die sich treffen, zusammen ausgehen, sich verlieben wollten.

Heute ist davon kaum noch etwas übrig. Das Autokino schon. "Bio-Rinder äsen am Wegesrand. Die einzige Straße in Zempow führt auch zur einzigen Attraktion", bewirbt die Gemeinde einen der wenigen verbliebenen sozialen Anlaufpunkte außerhalb der Kernstadt Wittstock. Hier sammelt sich die Jugend aus den umliegenden Dörfern. Im benachbarten Kyritz, eine ehemalige Kreisstadt wie Wittstock, hat das Kino nach der Wende irgendwann dicht gemacht.

Boom zwischen Ostsee und Erzgebirge

Trotzdem: Wenn es etwas wie einen Autokino-Boom gibt, dann in Ostdeutschland. Hier eröffneten in den vergangenen Jahren mehrere neue Autokinos, mit aufblasbaren Leinwänden, aus denen man im Winter einfach die Luft ablässt. Wie alle Saisonbetriebe kämpfen die meisten Autokinos zum Saisonstart mit dem verlängerten Winter. Der erfahrene Autokino-Veteran Walter Jann ist auch dafür gerüstet: Gegen Pfand verleiht er Heizlüfter an seine Gäste.

Quelle: dpa (Stefan Weißenborn)

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