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Mercedes: Techniktransfer vom Motorsport 1 in die Serie - Von der Formel 1 in die A-Klasse

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Mit neuen Hybridsystemen und Turboladern fährt Mercedes derzeit in der Formel 1 von Sieg zu Sieg. Ist das reine Renntechnik oder sind die Systeme auch für die Serie geeignet?

Brackley - Mercedes surft gerade auf der Erfolgswelle, zumindest in der Formel 1. Nach vielen Jahren der Ernüchterung stehen die Fahrer des Teams Mercedes-Petronas-AMG wieder regelmäßig auf dem Podest. Von neun Rennen gewann Mercedes acht.

Gründe für den Erfolg gibt es viele: Einer davon ist die enge Zusammenarbeit mit den Entwicklern der Serienfahrzeug in Stuttgart, sagt Mercedes. Denn anders als noch vor ein paar Jahren gebe es einen Technologietransfer zwischen der Formel 1 und den Serienautos - und umgekehrt.

Neue Zylinderbeschichtung

Ein Beispiel: Die Stuttgarter Ingenieure haben schon vor einiger Zeit eine neue Zylinderbeschichtung für die Serienfertigung entwickelt, die nun auch in den Rennwagen von Nico Rosberg und Lewis Hamilton zum Einsatz kommt. Die thermisch gespritzte Beschichtung in Zylinderbohrungen nennt sich Lichtbogen-Draht-Spritzen (LDS) oder „Nanoslide“. Genau wie bei der chemischen Nikasil-Beschichtung wird dabei die Oberfläche des Zylinders speziell bearbeitet.

Bei „Nanoslide“ wird ähnlich dem Mig/Mag-Schweißen ein dünnes, besonders reibungsarmes Material auf die Außenwände des Zylinders aufgetragen. Vorteile: dünnere Zylinderwände, weniger Gewicht und geringe Abmaße. Dazu sollen weniger Reibung, weniger Verschleiß sowie mehr Leistung entstehen. In der Serie wird die Technik schon bei einigen Mercedes-V8-AMG und V6-Motoren angewendet, Vierzylinder-Motoren für die kleineren Klassen sollen nächstes Jahr folgen.

Schnell und sparsam

Effizienz und Formel 1? Bisher schloss sich das aus. Was zählte, war die pure Leistung der Boliden. Anfang des Jahres wurde jedoch das Reglement drastisch geändert. Anders als noch vergangenes Jahr müssen die Rennwagen nun mit ihrem Kraftstoff haushalten. Pro Rennen dürfen die Motoren 100 Kilogramm, rund 140 Liter, verbrennen. „Der Fokus der Entwicklung liegt nicht mehr auf der schieren Power und den Einzelteilen, sondern auf dem Gesamtpaket. Dazu zählt der Antriebsstrang ebenso wie die Aerodynamik“, sagt Paddy Lowe, technischer Direktor vom Rennstall Mercedes-Petronas-AMG.

Das soll heißen: Statt das jeweils beste Detail für ein möglichst schnelles Auto zu bauen, müssen die Ingenieure ein schnelles und sparsames Auto entwickeln. Aus diesem Grund sitzt hinter dem Fahrer auch kein V8, sondern ein 1,6-Liter-V6-Motor, kombiniert mit zwei elektrischen Motoren, die rund 160 PS leisten. Trotz geringerem Hubraum und den vergleichsweise niedrigeren Drehzahlen von 15.000 Umdrehungen sollen die V6-Motoren auf rund 750 PS kommen. Das ist Hybrid-Technik in ihrer Vollendung.

Turbolader für mehr Strom

Rosberg und Hamilton können die elektrische Energie in Batterien speichern. Und zwar nicht nur beim Bremsen, sondern auch durch Wärmeenergie am Auspuff. Dazu ist im Abgasrohr eine kleine Turbine eingesetzt, die zusätzlichen Strom liefert. Die neue Generation von Abgasturboladern lädt die Batterien so auch beim Gasgeben.

Das neue Hybrid-System heißt nicht mehr „Kynetic Energy Recovery System“ (KERS), sondern nur noch ERS, weil nun nicht mehr ausschließlich kinetische Bremsenergie genutzt wird. Außerdem ist es kompakter und leichter geworden. Wog die erste Batterie des KERS-Systems 2007 im Rennwagen noch 107 Kilogramm und hatte eine Energieeffizienz von 39 Prozent, kommt die aktuell eingesetzte Batterie auf weniger als 24 Kilogramm und 80 Prozent Effizienz.

Das ist auch für Hybrid-Serienfahrzeuge ein interessanter Ansatz. Um mehr Reichweite und dadurch auch mehr Akzeptanz für E-Fahrzeuge oder Hybridmodelle zu erreichen, müssen die Batterien leistungsfähiger werden. Mercedes sagt, dass sie in diesem Bereich besonders eng mit den Formel-1-Ingenieuren zusammenarbeiten, um neue Ideen für die Serienentwicklung zu bekommen.

Serienproduktion nicht ausgeschlossen

Derzeit werden die Batterien ausschließlich durch Rekuperation oder durch Strom aus der Steckdose geladen. Letzteres dauert mehrere Stunden, bis der Akku wieder voll ist. „Die F1-Technik ist sehr interessant, auch für Serienfahrzeuge“, sagt ein Mercedes-Entwickler. Einfach den neuen Turbolader an die vorhandenen Motoren zu schrauben, klappt aber nicht – der Platz reiche nicht aus. Deshalb müsse erst eine neue Generation von Motoren entwickelt werden, um die neue Hybrid-Turbo-Technologie zu testen. Das dauert. Ob und wann die Systeme überhaupt in die Serie finden, dazu will sich kein Ingenieur äußern.

Bei der Zusammenarbeit mit den Renn-Experten geht es den Entwicklern aber nicht nur um Bauteile oder Technologien, sondern auch um Arbeitsprozesse und Ideen. „Wir denken oft in andere Richtungen, probieren viele Dinge aus und sind damit ein ständiges Versuchslabor. Manchmal kommt auch etwas Interessantes für die Serienproduktion raus“, sagt Paddy Lowe. Wie beim neuen Turbolader. Doch anders als in der Serienentwicklung haben die Renningenieure mehr Freiheiten. Lowe: „Wir bauen keine Prototypen vorab – jeder unserer Rennwagen ist ein Prototyp.“

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