Wie muss ein Mensch sein, der nach fünf Monaten Training das schwerste Autorennen der Welt mitfahren will? Ohne Erfahrung im Motorsport. MOTOR-TALK-Redakteurin Nicola Wittenbecher spürte dieser Frage beim 24-Stunden-Rennen-Qualifying nach und stellte fest: Es macht einen Unterschied, ob man normal ist. Oder Felix Baumgartner.
Nürburgring - Sich selbst vermarkten, das kann er: „From Heaven to Green Hell“ steht in großen Lettern auf seinem Rennanzug. Am 14. Oktober 2012 sprang Felix Baumgartner zu ewigem Ruhm. Aus 39.000 Metern stürzte er sich aus der Stratosphäre zur Erde. Und die Welt sah ihm dabei zu. Bald stürzt er sich in einem der leistungsstärksten Autos am Ring, einem Audi R8 LMS mit V10-Motor und 570 PS bei Nacht und Nebel, Hitze und Sonne in die Hatzenbach-Kombination, die Fuchsröhre. Er fährt das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Unter der Beobachtung von Kameras, Reportern, Fans und Schaulustigen. Eigentlich kann der 1,73 Meter große Mann dabei nur verlieren. Gewinnen will er auch gar nicht. Die Nordschleife hat insgesamt 73 Kurven, davon 33 Linkskurven und 40 Rechtskurven. Nordschleife und Grand-Prix-Strecke zusammen sind 25,378 Kilometer lang. Felix Baumgartner ist an diesem Wochenende an der Nordschleife, um das Qualifikationsrennen für das 24-Stunden-Rennen zu fahren. Das Qualifikationsrennen wird zum ersten Mal veranstaltet, um eine zusätzliche Trainingsmöglichkeit zu bieten. Die 10 Besten qualifizieren sich direkt für die Top 30 beim 24-Stunden-Rennen. Baumgartner ist neu hier. Als wahrscheinlich einziger blickt er auf keine Motorsportkarriere zurück. Seine Teamkollegen sind Rennprofis. Frank Biela. Marco Werner. Pierre Kaffer. „Audi hat mir das hier nicht angeboten, weil ich ein guter Rennfahrer bin“Felix Baumgartner steht für fixe Ideen. Dass dieser Mann hier keinen Sieg holen kann, keinen Rekord aufstellen wird, ist klar. „Da hätte ich in den letzten 20 Jahren den falschen Sport gemacht, wenn ich jetzt mit 45 komme und irgendjemand von diesen Jungs an die Wand fahre.“ Trotzdem denkt er, dass er Dank intensiver Vorbereitung mithalten kann. Was Baumgartner helfen soll, ist seine penible Vorbereitung. Der Mann ist Extremsituationenprofi. Und Perfektionist. Er achtet auf Feinheiten, wägt ab. Und er ist schnell, vor allem im Kopf. Wenn etwas keinen Sinn macht, interessiert es ihn nicht. 53,2 Sekunden betrug der knappste Vorsprung des Siegers zum Zweitplatzierten bei einem 24-Stunden-Rennen. Unterhält man sich mit Baumgartner, erlebt man einen lebhaften, hochkonzentrierten Mann. Wenn er spricht, dann mit vollem Körpereinsatz. Seine Arme teilen die Luft, sein Lieblingselement, mit weit ausholenden Gesten. Er will Bilder formen, um seine Worte zu verstärken. Obwohl er lebendig diskutiert, schweift sein Blick wie ein Scanner durch den Raum. Baumgartner kontrolliert gern alles. So hat es dieser österreichische Junge aus ärmlichen Verhältnissen und mit stockkonservativen Eltern bis ins All und nun hierher geschafft. „Wenn ich ins Ziel komme, haben die anderen schon geduscht“"Ich war schon immer anders. Ich steige immer ganz von oben ein“, grinst er. Nur, die Nordschleife kann er nicht kontrollieren, egal wie viel er trainiert. Hier, wo schon viele Menschen mit Talent, aber ohne Fortune ihr Leben ließen. Wo Niki Lauda einst beinahe verbrannte, da gibt es gute Vorbereitung. Aber nichts schlägt jahrelange Erfahrung. Das wissen die Alten am Ring. Baumgartner fehlt alles, was Ortsansässige unter Erfahrung verstehen. Er fuhr die Nordschleife noch nie bei Regen. „Ich hatte das Pech, dass es bisher immer trocken war, wenn ich gefahren bin.“ Das stresst ihn. Denn auf unbekannte Variablen lässt er sich ungern ein. 120 Feuerwehrmänner mit 11 Fahrzeugen sind beim 24-Stunden-Rennen im Einsatz. 100 Helfer stehen für medizinische Notfälle bereit. Auch die Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg seines Teams setzt ihn unter Druck. „In meinem Sport bin ich Einzelkämpfer gewesen. Sieg und Niederlage gehörten mir. Bei einer Niederlage war völlig klar, wer schuld war.“ Zu den Risiken, selbst zu versagen, kommen hier am Ring die unberechenbaren Faktoren wie andere Fahrer auf der Strecke. Dazu der Druck von schnellen Fahrern in sehr schnellen Autos. Die schieben von hinten. Alles Stresskomponenten, die der Mann, der beim Sprung aus der Stratosphäre einen Puls von 169 hatte, nicht kennt. Andere haben diesen Puls, wenn sie mit ihren Enkeln spielen. Baumgartner formuliert sein Ziel für das 24-Stunden-Rennen ungewöhnlich bescheiden: „Ankommen, und das Auto heil übergeben.“ „Ich hab leider Gottes keine Angst vor der Geschwindigkeit“Bis zu 300 km/h wird er beim Rennen erreichen, auf jeder der 25,378 Kilometer langen Runden. Ist das schnell oder lahm für jemanden, der mit Überschallgeschwindigkeit zur Erde geschossen ist? „Geschwindigkeit ist immer davon abhängig, wo sie stattfindet“, sagt er. „Auf der Nordschleife hast du Kurven, du hast sehr viel Topographie, du siehst über manche Anhöhen nicht drüber. Das macht einen Riesenunterschied.“ Rund 300 Meter Höhenunterschiede gibt es auf der Nordschleife. Das größte Gefälle beträgt 11 Prozent. Die größte Steigung 17 Prozent. Dennoch hilft ihm seine fast 20-jährige Erfahrung als Basejumper, um den Umgang mit dem Tempo zu meistern. Das Training aus dem Extremsport, die Vorbereitung auf den Stratos-Sprung, all das hat seine Reflexe geschärft. Er hat eine Körperbeherrschung wie kein anderer. „Ich hab kein Problem mit Geschwindigkeit. Das ist in manchen Punkten hinderlich, weil mir ein bisschen die natürliche Angst fehlt.“ Selbst wenn er viel zu schnell ist. „Ich fahre mit 240 über die Strecke und rieche die Currywurst“Andere, ganz neue Erfahrungen sammelte Baumgartner auf der Nordschleife in der Nacht. „Da gab es sehr viele neue Eindrücke, die einen ablenken können. Ständiges Blitzlicht von Zuschauern, Feuerwerkskörper an der Strecke. Und dann diese Gerüche! Da hat jeder den Grill an und du riechst das im Auto.“ So profan sind Dinge, die Menschen in einem Rennwagen bewegen. „Mein Name eilt mir hier voraus“Der Stratosphären-Held bekommt im Vorfeld viel Kritik. Er habe gar keine Berechtigung, hier zu sein, auch noch mitzumischen und dann gestandenen Rennfahrern die Show zu stehlen. 6:11,13 Minuten dauerte die schnellste Runde, die je ein Rennfahrer auf der 20,832 km langen Nordschleife gedreht hat. Das war Stefan Bellof 1983 mit einem Porsche 956. Baumgartner weiß, dass das Interesse an ihm hier nicht überall auf Gegenliebe stößt. Dass das alles nichts mit Motorsport zu tun hat. Dennoch sieht er keinen Grund, nicht hier starten zu dürfen. „Ich und Audi – wir würden das nicht machen, wenn wir festgestellt hätten, dass ich hinten und vorne nicht Auto fahren kann.“ Trotzdem bereitet ihm der Hype um seine Person ein schlechtes Gewissen. „Neben dir steht ein 5-facher Le-Mans-Sieger und keiner spricht mit ihm. Aber leider Gottes leuchte ich hier am meisten aufgrund meines Sprunges“. Felix Baumgartner und sein Team haben das Qualifying am Wochenende mit dem 13. Platz in der Gesamtwertung abgeschlossen. Seine schnellste Runde dauerte 9:02 Minuten, die beste Runde seines Teams lag bei 8:29 Minuten. Die insgesamt schnellste Runde des Wochenendes fuhr das BMW-Sports-Trophy-Team mit 8:28 Minuten. Das 24-Stunden-Rennen findet vom 19. bis 22. Juni auf dem Nürburgring statt. |