Deutschland ist Autonation, doch die Branche befindet sich im Wandel. Der Produktionsstandort Deutschland muss zunehmend um seine Berechtigung kämpfen. Ein Überblick.
Quelle: picture alliance / dpa Sindelfingen - Wer zum ersten Mal an einer Produktionsstraße für Autos steht, der dürfte überrascht sein. Staub und Schmutz? Fehlanzeige. Wummernde Maschinen und kreischende Werkzeuge? Keine Spur. Stattdessen blitzsaubere Hallenböden und ruhige Geschäftigkeit. Außer dem Summen des Bands und dem Sirren der Roboter und Werkzeuge in den Händen der Facharbeiter ist wenig zu hören. Forschung sichert Arbeitsplätze in der ProduktionQuelle: picture alliance / dpa In den vergangenen 20 Jahren haben die Automatisierung und der Einsatz von Robotern in der Autoindustrie viele Handgriffe überflüssig gemacht. Das Daimler-Werk am 100 Jahre alten Standort in Sindelfingen steht beispielhaft dafür. Dort hat der Autobauer in den 90er Jahren angefangen, Entwickler rund um das Band anzusiedeln. 1995 wurde dort das Entwicklungszentrum für Daimlers Pkw-Sparte eröffnet. Inzwischen arbeiten rund 9.000 der rund 35.000 Beschäftigten in Sindelfingen in der Entwicklung. Aus Sicht der IG Metall ist das nicht schlecht: Die Nähe der deutschen Produktionsstandorte zu Forschung und Entwicklung sichert deren Existenz. "Innovation sichert Beschäftigung", sagt Babette Fröhlich, Autoexpertin der IG Metall. Die deutschen Standorte der Autohersteller stünden nicht mehr so stark im Lohnwettbewerb wie früher. "Da geht es mehr um Qualifikation als um Stundenlöhne." Hersteller müssen ihre Produktion standardisierenBranchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management bringt es auf eine einfache Formel: "Was in Deutschland teurer ist, muss besser sein." Diese Entwicklung dürfte sich in Zukunft noch fortsetzen. Inzwischen ist Daimler dabei - wie andere Hersteller auch - seine Produktion umzubauen. Nicht nur die Autos sollen nach dem Baukastenprinzip standardisiert werden, das gleiche gilt für Fabriken und Anlagen weltweit. Bei Daimler sollen deutsche Standorte zu Kompetenzzentren werden, die Kollegen im Ausland schulen und beim Anlauf anderer Produktionen helfen. So soll die Produktion weltweit schneller umgestellt werden. Alle großen deutschen Hersteller haben ihre Produktion auf diese Weise neu ausgerichtet. BMW setzt genauso auf flexible, weltweit anpassbare Produktionsprozesse wie Volkswagen. "An dieser Strategie kommt kein Autohersteller vorbei", sagt Bratzel. Daimler und Volkswagen bauen auf deutsche StandorteQuelle: picture alliance / dpa Daimler investierte dafür im vergangenen Jahr mehr als drei Milliarden Euro in deutsche Standorte und kündigte bereits für die kommenden Jahre Milliardeninvestitionen unter anderem in Untertürkheim und Sindelfingen an. VW-Chef Martin Winterkorn bezeichnete die 29 deutschen Standorte im vergangenen Jahr als "Rückgrat des Konzerns" und will trotz neuer Sparrunden, in den kommenden fünf Jahren mehr als die Hälfte der geplanten Investitionen von 64,3 Milliarden Euro in deutsche Standorte stecken. Allerdings ist die Entwicklung vor allem in Deutschland zweigeteilt, so Peter Fuß, Automobil-Experte bei der Wirtschaftsberatung Ernst & Young. Während Hersteller wie BMW, Audi oder Daimler hierzulande investieren, bauen Marken wie Ford oder Opel eher ab. Die Oberklasse-Hersteller haben den entscheidenden Vorteil, dass ihre Fahrzeuge mehr Gewinn abwerfen. Produktion könnte in Wachstumsmärkte wandernDie Branche verdient den Großteil ihres Geldes schon lange nicht mehr in Europa geschweige denn in Deutschland. China und die USA sind die Wachstumsmärkte. Dort fuhr die Autobranche 2014 gut zwei Drittel ihrer Gewinne ein. Parallel entwickelt sich die Autoproduktion. Seit 2009 bauen die deutschen Hersteller mehr Autos außerhalb der Heimat als in Deutschland. "Natürlich besteht das Risiko, dass weniger in Deutschland produziert wird, zumal der europäische Markt nicht weiter wächst", sagt Fuß. Ist ein Ende der Automobilproduktion in Deutschland also nur eine Frage der Zeit? In den vergangenen sechs Jahren wuchs die Zahl der Beschäftigten bei deutschen Herstellern laut IG Metall noch um etwa 40.000 auf 455.000. Digitalisierung ist eine neue ChanceAutomobilexperte Peter Fuß sieht deshalb noch kein Ende: Forschung und Entwicklung, aber auch Digitalisierung dürften die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Standorte erhalten, ist er sicher: "Automobilproduktion wird es in Deutschland geben, solange die Hersteller damit Geld verdienen." Klar ist, sagt Stefan Bratzel, dass angesichts der wachsenden Digitalisierung vor allem Höherqualifizierte Chancen haben werden. Die deutschen Autofabriken könnten also in Zukunft noch weniger an eine Werkstatt erinnern. Weitere MOTOR-TALK-News findet Ihr in unserer übersichtlichen 7-Tage-Ansicht |