An Ruhe kann Matthias Müller derzeit nicht denken. Nach dem Lieferausfall ist für den VW-Chef vor dem Lieferausfall. Denn die offenen Baustellen sind geblieben.
Quelle: picture alliance / dpa Hamburg - Zwei streikende Lieferanten legten fast den gesamten VW-Konzern lahm: Nach dem Ende des Boykotts von zwei Prevent-Firmen kann Volkswagen wieder aufatmen - oder auch nicht. Zwar läuft die ins Stocken geratene Produktion wieder an, doch die Dauer-Reizthemen Konzernumbau, Sparkurs und Diesel-Affäre bleiben. Am Montagabend sprach VW-Chef Matthias Müller im "Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten" über seine vielen Baustellen. Der Konflikt mit zwei langjährigen Zulieferern habe zuletzt einen hohen Druck erzeugt, sagte der Manager. Zukünftig dürfte der Prevent-Streit laut Müller Konsequenzen für die Einkaufspraxis von VW haben. Zwar gebe es keinen Anlass, nun für alle möglichen Teile eine Mehr-Quellen-Strategie zu prüfen. "Aber wir werden uns genau unsere Einkaufsverträge anschauen und sehen, wie wir das optimieren." Ein Lieferstopp der Prevent-Firmen ES Automobilguss (Getriebeteile) und Car Trim (Sitzbezüge) wegen angeblich grundlos stornierter Verträge durch Volkswagen hatte in der vergangenen Woche empfindliche Ausfälle in der Fertigung zur Folge - vor allem beim Golf und Passat. Quelle: picture alliance / dpa Der Boykott in der Beschaffung hatte den grundlegenden Umbau des Konzerns und sogar die Aufarbeitung der Diesel-Affäre für einige Tage fast vollständig überdeckt. Nun widme er sich verstärkt wieder diesen Themen, sagte Müller. In Hamburg setzt der Konzern Projekte mit der Hansestadt zu intelligentem Verkehr und umweltfreundlicher Mobilität auf. Diese sollen die Keimzelle für weitere Vorhaben werden. Batteriezellen-Fertigung ist zu teuerBeim Ausbau seiner Geschäfte rund um die E-Mobilität wird VW Müller zufolge keine eigene Zellfertigung anschieben. "Das wäre ein Witz", sagte er mit Blick auf die Kosten. Man sehe sich aber die gesamte Prozesskette an - von der Rohstoffbeschaffung über die Fertigung der ganzen Batterie bis zum Einbau ins Auto. "Dann werden wir - wohl noch in diesem Jahr - bekanntgeben, wie wir mit diesem Thema umgehen." VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte der Deutschen Presse-Agentur kürzlich gesagt, er sehe keine zwingende Notwendigkeit für eine eigene Zellfertigung, für eine eigene Batteriefabrik aber sehr wohl. Müller verärgert über Alleingang der Deutschen PostAußerdem kämen Konzepte zum autonomen Fahren voran, meinte der VW-Konzernchef. "Dieser Hype wird sich relativieren." Noch sei viel an Entwicklungsarbeit zu leisten, und der Fall eines verunglückten Tesla mit Assistenzsystem in den USA zeige, dass es Gefahren gebe. "Aber wir werden uns da öffnen", sagte Müller. Der neue Digitalchef Johann Jungwirth sei "einer, der das ganze Unternehmen umkrempelt". Darüber, dass die Deutsche Post einen Elektro-Scooter vorstellte, ärgere er sich, räumte Müller ein. Er hoffe, dass VW doch noch "etwas mit der Post machen" könne. "Mir wäre es recht. (...) Das richtig automatisierte Fahren wird wohl zuerst bei Nutzfahrzeugen kommen." VW-Chef schließt Kündigungen ausDie schwierigen Verhandlungen über einen "Zukunftspakt" bei VW mit Einsparungen und einem drohenden Jobabbau - nicht nur, aber auch eine Folge des Diesel-Skandals - kommen aus Sicht Müllers bald auf die Zielgerade: "Das Ergebnis wird in zwei bis drei Monaten vorliegen." Direkte Arbeitsplatz-Verluste schloss er erneut aus: "Wir werden niemanden rausschmeißen oder betriebsbedingt kündigen." Die Zusammensetzung der VW-Belegschaft müsse sich jedoch wandeln. Zur Aufarbeitung der Affäre um Millionen manipulierte Dieselmotoren wollte sich Müller nicht äußern. Kritik an der Rolle des US-Chefunterhändlers Francisco Garcia Sanz - auch VW-Einkaufsvorstand - konnte er nicht nachvollziehen: "Ich bin der festen Überzeugung, dass er der Richtige ist." Auf das Warum der Affäre habe er noch heute keine Antwort, sagte Müller. VW liefere alle nötigen Informationen - die Bekanntgabe von Ergebnissen sei Sache der Ermittler. Quelle: picture alliance / dpa Osterloh informiert BelegschaftAm Dienstag unterstrich der VW-Markenchef Herbert Diess die Dringlichkeit für grundlegende Reformen bei der gewinnschwachen Pkw-Kernmarke. "Volkswagen steht für sehr hochwertige Produkte und bei Kunden beliebte Fahrzeuge - jedoch verdient das Unternehmen mit ihnen derzeit kaum Geld. Das wiederum wird dringend benötigt, um Investitionen in die Zukunftsthemen zu stemmen", schrieb der Manager in einer gemeinsamen Information von Unternehmen und Betriebsrat, die an die Belegschaft verteilt wurde. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh betonte in dem zweiseitigen Papier: "Klar ist: Es geht beim Zukunftspakt nicht um Tarifverträge, sondern um die Zukunft unserer Arbeit." Im Fazit des Schreibens heißt es: "Neben einer nachhaltigen Rendite steht auch die Sicherheit der Arbeitsplätze im Mittelpunkt." Im Frühling war bekannt geworden, dass es im Management Pläne für einen Abbau von mehr als 3.000 VW-Verwaltungsstellen gibt. Diese Streichungen wären etwa über Altersteilzeit trotz einer laufenden Beschäftigungssicherung möglich. Erstmals sind nun auch Details der sechs Arbeitsgruppen bekannt, die den Zukunftspakt bis Ende des Jahres ausarbeiten sollen. Die Themen der Gruppen und ihre Leiter heißen im Einzelnen: Fahrzeugbau (Thomas Ulbrich), Komponente (gemeint sind zentrale VW-eigene Bauteilgruppen wie Fahrwerke, Thomas Schmall), Entwicklung (Frank Welsch), Verwaltung (Arno Antlitz), Value Engineering (Profitabilität über den gesamten Lebenszyklus eines Autos, Jörg Teichmann), personelle Transformation (nötige Veränderungsprozesse auf der Personalseite, Martin Rosik). Weitere MOTOR-TALK-News findet Ihr in unserer übersichtlichen 7-Tage-Ansicht Quelle: dpa |