Neue Sammelklagen im Diesel-Skandal: US-Anwälte klagen drei VW-Konzernmarken und Top-Manager an. Die Anklageschriften klingen schroff, doch am Ende geht es um die Beweise.
San Francisco/Wolfsburg – Vor wenigen Tagen hatte Matthias Müller noch Optimismus versprüht. „Es gibt auch die Möglichkeit, in Amerika durch gute Arbeit eine Renaissance zu erleben - und das werden wir tun", kündigte der VW-Boss am Montag im dpa-Interview an. Doch der nächste Rückschlag folgte umgehend. Während Müller in Deutschland versuchte, Zuversicht zu verbreiten, reichten US-Anwälte neue Sammelklagen ein. Sie wollen im Abgas-Skandal jetzt den VW-Chef und weitere Top-Manager persönlich zur Rechenschaft ziehen. Abgasskandal: Klagen gegen Winterkorn und MüllerIn den Klagen, über die zuvor bereits die "Bild"-Zeitung berichtet hatte, geht es zumeist um Vorwürfe wegen Betrugs, Vertragsbruchs, irreführender Werbung und Wettbewerbsverzerrung. Neben zahlreichen US-Autobesitzern klagen auch VW-Vertragshändler und andere Autohäuser, die sich als Opfer des Skandals sehen. „Volkswagens illegales Komplott entstand aus Gier und der Ambition, den weltweiten Automarkt um jeden Preis zu dominieren", heißt es in einer mehr als 700 Seiten umfassenden Anklageschrift. Die 22 Anwälte, die zahlreiche US-Autobesitzer und -händler vertreten, erheben massive Vorwürfe. Die Rede ist von „schmutzigem Spiel", „Lügen und Tricks", summa summarum: dem „unverschämtesten Unternehmensverbrechen der Geschichte". Zu den mutmaßlichen Gesetzesverstößen zählen Betrug, Vertragsbruch, irreführende Werbung und Wettbewerbsverzerrung. Vor allem auf Martin Winterkorn - den Ex-VW-Chef, den die Affäre um manipulierte Emissionswerte bei Hunderttausenden Diesel-Wagen zu Fall brachte - haben sich die Anwälte eingeschossen. Er sei der "Chef-Architekt" in Volkswagens Strategie gewesen, die Verkäufe im US-Markt durch gezielte Täuschung anzukurbeln. Gegen Winterkorn gab es bereits zuvor Zivilklagen in den USA. Er hatte die Manipulationen zwar im September eingeräumt - beteuerte aber, vorher nichts davon gewusst zu haben. Nun gerät auch sein Nachfolger Müller ins Visier. Ihm wird in der Anklage vorgeworfen, in großem Stil durch den Betrug profitiert zu haben. In seinem vorherigen Job als Chef der VW-Luxustochter Porsche sei Müller ein langjähriger "Leutnant" Winterkorns gewesen. Anklage gegen VW, Audi, Porsche und BoschUnter seiner Regie sei mit dem Porsche Cayenne Diesel eines der manipulierten Modelle auf den Markt gekommen. Es sei davon auszugehen, dass Müller von dem Komplott „wusste oder es rücksichtslos missachtete", so die Klageschrift. Die beim Bezirksrichter Charles Breyer in San Francisco eingereichten Sammelklagen markieren den Auftakt zu einem Mammut-Prozess, der für VW teuer werden könnte. Mehr als 500 Zivilklagen von US-Verbrauchern aus dem ganzen Land wurden in Nordkalifornien inzwischen gebündelt, um das komplexe Verfahren zu vereinfachen. Die Anklage richtet sich gegen VW sowie die Konzerntöchter Audi und Porsche. Dazu kommt der Zulieferer Bosch, der die zur Manipulation benötigte Software geliefert haben soll. Viele VW-Manager angeklagtZudem zielt die Anklage auch auf andere Top-Entscheider - neben VW-US-Chef Michael Horn unter anderem Audi-Boss Rupert Stadler, Bosch-Chef Volkmar Denner sowie die Leiter des US-Geschäfts von Porsche und Audi und die ehemaligen VW-Ingenieure Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz. Der Rundumschlag macht deutlich: Die Darstellung von VW, der Betrug sei das Werk einzelner Mitarbeiter, halten die Kläger für unglaubwürdig. Der Vorwurf einer Verschwörung bis in die Chefetagen ist im US-Recht brisant und kann Strafen kräftig in die Höhe treiben. Volkswagen wollte sich zu den Anschuldigungen nicht äußern, wie ein Sprecher mit Verweis auf das laufende Verfahren erklärte. Die heftigen Vorwürfe bleiben so vorerst ungekontert - es ist die Stunde der Anwälte. Sie fordern harte Strafen, die über die Wiedergutmachung der Schäden hinausgehen. Das heißt: Sofern Richter Breyer die Manager verurteilt, könnte es nicht nur für den VW-Konzern - dem bereits eine Strafe in zweistelliger Milliardenhöhe durch das US-Justizministerium droht - teuer werden, sondern auch für die Top-Manager persönlich. Es handelt sich bislang allerdings "nur" um Zivilklagen. Ob es in den USA auch mögliche strafrechtliche Konsequenzen gibt, ist noch unklar. Update: Worauf wollen die Kläger in den USA hinaus?Nirgendwo klagt es sich so schön wie in Amerika. Deutsche Autobesitzer wenden sich an eine Stiftung in den Niederlanden, denn eine Sammelklage ist hier nicht möglich. Rund 60.000 Geschädigte schlossen sich bis Mitte Januar der Stiftung „Stichting Volkswagen Car Claim“ an. Sie plant, einen außergerichtlichen Vergleich zu erzielen. In den USA ist das anders. Die US-Anwälte klagen drei Konzernmarken und viele Manager in drei Sammelklagen an. Ihre Schriften sind 719, 90 und 74 Seiten lang. Sie benutzen grobe Schlagworte wie „Komplott“, „Gier“ und „Firmenverbrechen“. Ob es tatsächlich Beweise gegen Winterkorn, Müller, Stadler und Co. gibt, ist bisher nicht bekannt. Bisher ließ sich nicht nachweisen, dass die Chefs von der Betrugssoftware wussten. Um sie zu belangen, muss die Anklage Fakten liefern. VW sucht intern selbst nach diesen Fakten. Dafür hat der Konzern die amerikanische Anwaltskanzlei Jones Day engagiert. Die internen Ermittlungen laufen, Ergebnisse gibt es erst im April 2016. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kläger mehr wissen als VW und Jones Day. Mit der Klage schießen die Anwälte aber effektvoll in die Luft. VW muss sich mühsam aus der Affäre kämpfen, Wiedergutmachung leisten und das eigene Image neu aufbauen. Die Umrüstung der deutschen Fahrzeuge läuft nur langsam an, für den US-Markt gibt es bisher keine Lösung. Negative Berichterstattung jeglicher Art stört den Vorgang. Nach dem Bekanntwerden der Klagen reagierte die VW-Aktie kaum. Trotzdem könnten die Kläger auf eine schnelle Reaktion von VW spekulieren und einen Vergleich anstreben. Wenn das Gericht die Manager tatsächlich schuldig spricht, kann es sehr teuer werden. Denn Managerversicherungen zahlen nur, wenn die Vorstände nicht mit Vorsatz oder grob fahrlässig gehandelt haben. VW verspricht volle KooperationVolkswagen hat vor der ersten Anhörung im Mammut-Prozess volle Kooperation versprochen. "Wir unterstützen das Bemühen von Richter Charles Breyer [...] eine rasche und faire Lösung zu finden", sagte eine Sprecherin der US-Tochter Volkswagen of America. VW sehe sich verpflichtet, den US-Ermittlern bei einer schnellstmöglichen Aufklärung zu helfen. "Unser Fokus liegt darauf, Vertrauen wieder herzustellen", sagte die Sprecherin Aus Gerichtsdokumenten, die der Deutschen Presse-Agentur dpa vorliegen, geht hervor, dass die VW-Anwälte auch zugesichert haben, sich um einen Ausweg aus dem Datenschutz-Dilemma zu bemühen, das die Aufarbeitung des Falls bislang erschwert. Die US-Ermittler haben Probleme, an Protokolle und andere Informationen zu kommen, die von deutschen Gesetzen geschützt sind. |