Lässt sich der Konflikt zwischen Kampfradler und Aggro-Autofahrer lösen? VDA-Geschäftsführer Kay Lindemann und Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther im Streitgespräch.
Quelle: dpa/picture-alliance/Strößenreuther/VDA Aufgezeichnet von Haiko Prengel Berlin - Raser, Falschparker, Kampfradler. In großen Städten ist die Situation zwischen Auto- und Fahrradfahrern angespannt. Wie kommt es zu den gegenseitigen Aggressionen – und wie lässt sich ein gemeinschaftlicher Straßenverkehr erreichen? Das diskutieren im Streitgespräch Dr. Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie, und Heinrich Strößenreuther, Deutschlands wohl engagiertester Fahrradfahrer-Lobbyist (u. a. "Volksentscheid Fahrrad" in Berlin). Herr Strößenreuther, Herr Lindemann: Wie konnte es zu diesem Krieg auf den Straßen kommen? Strößenreuther: Der Straßenkrieg wurde jahrzehntelang gefördert – durch lächerliche Bußgeld-Kataloge, verniedlichende Gerichtsurteile gegen Verkehrsrowdies und durch systematisches Wegschauen beim Parken auf Radwegen und in zweiter Reihe. Wer über illegale Geschäftskonzepte von Lieferdiensten mit deren vorsätzlichem Falschparken die Hand hält, muss sich nicht über die Einstellung wundern „Wenn für die die StVO nicht gilt, warum soll sie dann für mich gelten?“ Quelle: dpa/Picture Alliance Lindemann: Wir sollten uns vor solchen Schlussfolgerungen hüten. Die Straßenverkehrsordnung wird von der großen Mehrheit ja eingehalten. Aber wir brauchen sicherlich mehr Rücksicht im Straßenverkehr. Das gilt für alle Verkehrsteilnehmer, für Autofahrer ebenso wie für Fahrradfahrer oder Fußgänger. In den Städten hat der Radverkehr kräftig zugenommen, die Verkehrsinfrastruktur ist hierfür oftmals noch nicht ausgelegt. Wenn Autofahrer zum Beispiel während einer Grünphase nicht rechtzeitig rechts abbiegen können, weil sehr viele Radfahrer Grün haben und geradeaus fahren, dann muss hier Abhilfe geschaffen werden. Ansonsten bauen sich Spannungen auf. Strößenreuther: Für den Straßenkrieg sind aber auch die Automobilkonzerne verantwortlich, die immer PS-geilere Geschosse auf den Markt bringen. Lindemann: Die Hersteller bauen immer mehr Sicherheits- und Assistenzsysteme in die Autos ein. Sie tragen also dazu bei, dass Risiken, die vom Auto ausgehen, sinken und nicht steigen. Schön wäre es, wenn auch bei Radlern das Risikobewusstsein zunähme. Die Helmtragequote liegt leider nur bei 17 Prozent. Kein Rabatt bei VerkehrsregelnOhne Frage gibt es Raser und rücksichtslose Falschparker. Aber verhalten sich nicht auch etliche Radfahrer rücksichtslos – Stichwort Kampfradler? Strößenreuther: Der Unterschied zwischen Automachos und Kampfradlern liegt bei 1,5 Tonnen mit 60 km/h. Es darf jeder selbst entscheiden, was wohl das größere Problem ist. Die meisten Rotlichtverstöße begehen übrigens Fußgänger, über die selten gesprochen wird. Lindemann: Bei Verkehrsregeln gibt es keinen Rabatt für einzelne. Egal mit welchem Gefährt man unterwegs ist, jeder muss sich an die gleichen Regeln halten. Wie lässt sich ein gemeinschaftlicher Straßenverkehr erreichen, der die Interessen aller Verkehrsteilnehmer berücksichtigt? Quelle: dpa/Picture Alliance Lindemann: Es kommt vor allem auf jeden Einzelnen an. Autofahrer dürfen beim Abbiegen und beim Türöffnen den Schulterblick nicht vergessen. Beim Überholen müssen sie den Sicherheitsabstand einhalten. Umgekehrt müssen Radfahrer die Verkehrsregeln beachten. Ich bin selbst häufig mit dem Rad unterwegs und ärgere mich, wenn manche Radler bei Rot über Ampeln fahren. Damit gefährden sie sich und andere. Daher muss die Verkehrsüberwachung durch Fahrradstreifen auch Radler ins Visier nehmen. Strößenreuther: Für den Radverkehr sind in Berlin drei Prozent der Verkehrsflächen abgeteilt, Autofahrern stehen 20 Mal mehr zu, obwohl beide Verkehrsarten den gleichen Verkehrsanteil haben. Eine Verdopplung der Radwegfläche heißt zumutbare drei Prozentpunkte weniger für den Autoverkehr und wäre aus Klimaschutz- und Emissionsgründen schnellstens umzusetzen. Erst baulich getrennte Flächen verhindern die Konflikte und entziehen dem Straßenkrieg die Grundlage. Und obendrein kann mehr Radverkehr Fahrverbote verhindern. SUV verschärfen die PlatznotWas können die Autohersteller tun – etwa durch intelligente Technik, die vor Unfällen mit Radfahrern und Fußgängern schützt? Lindemann: Technik im Auto hilft selbstverständlich, um die Verkehrssicherheit zu verbessern. Neue Autos werden heute so konstruiert, dass das Verletzungsrisiko bei einem Aufprall deutlich geringer ist als früher. Auch die Geräusch- und Schadstoffemissionen moderner Pkw sind bereits sehr gering. Strößenreuther: Schon heute könnten GPS-basiert Geschwindigkeiten autonom herunter geregelt und die Abbiegegeschwindigkeiten reduziert werden – daran hat allerdings die Automobilindustrie kein Interesse. Im Moment sind ja eher schwere SUV im Trend, die mehr verbrauchen und durch ihre Größe die Platznot noch verschärfen. Quelle: dpa/Picture Alliance Lindemann: Im Trend liegen vor allem kleinere SUV, die eine höhere Sitzposition und etwas mehr Platz bieten, aber gleichzeitig überschaubare Abmessungen haben. Übrigens ist bei SUV auch eine beeindruckende Verbrauchsreduktion gelungen. Und die Hersteller bieten neben SUV die ganze Palette an, vom Kleinwagen bis zum Familienvan. Die Entscheidung, welches Modell ein Kunde wählt, liegt nur bei ihm. Welche Hürden gibt es bei der Umsetzung der Lösungen, und inwieweit ist auch zivilgesellschaftliches Engagement nötig, um für einen dauerhaften Frieden zu sorgen? Strößenreuther: Politiker sind in Teilen auch rational handelnde Wesen – deshalb dürfen wir sie bei dem Verkehrskonflikt nicht alleine lassen. In Berlin haben wir ihnen mit unserem Volksentscheid Fahrrad den Rücken gestärkt. Wir haben mit unserer Kampagne gezeigt, dass man mit einer modernen Mobilitätspolitik, die aufs Fahrrad setzt, Wahlen gewinnen kann. Ein Aussitzen im Verkehr will niemand mehr, denn es sind alle genervt von zu vielen Autos und von fehlenden Alternativen für sicheres Radfahren. Wenn wir „freie Wahl für freie Bürger haben“ und zwar von Kids bis Senioren, dann herrscht Frieden auf dem Asphalt. Lindemann: Es hat sich als sinnvoll erwiesen, die Infrastruktur für Autos und für Radfahrer baulich deutlich stärker zu trennen. Ich warne aber vor einer Politik nach dem Credo: Man muss dem Auto Platz wegnehmen, damit das Fahrrad profitiert. Nein, wir müssen intelligente Lösungen suchen und alle Interessen ausbalancieren. Das Auto leistet den größten Anteil des Personenverkehrs, daran wird sich nichts Wesentliches ändern. Von Verbots- und Zwangsmaßnahmen, um den Autoverkehr zu reduzieren, halte ich überhaupt nichts. Es gehört zu unserem gesellschaftspolitischen Grundverständnis, dass jeder Bürger sein Verkehrsmittel selbst wählen kann. Alles andere wäre Bevormundung. Ab sofort verschicken wir unsere besten News einmal am Tag über Whatsapp und Insta. Klingt gut? Dann lies hier, wie Du Dich anmelden kannst. Es dauert nur 2 Minuten. Quelle: Erschien zuerst im Mitgliedsmagazin des ACV Automobil-Club Verkehr |