• Online: 1.283

Der neue Golf VII: Ein Gastkommentar - Warum der Golf ein Auto, aber keine Ikone ist

verfasst am

Der Golf 7 ist ein gutes Auto, das sich objektiv kaum Fehler leistet. Aber: Langsam scheint VW der Erfolg zu Kopf zu steigen. Das nimmt fast religiöse Züge an.

Von Sebastian Viehmann, Focus Online

Der neue Golf soll Benchmark sein Der neue Golf soll Benchmark sein Wolfsburg - „Der Golf 7 ist ein Motor für Absatz, Rendite und Arbeitsplätze“, sagt VW-Chef Martin Winterkorn zum neuen Golf. Der Golf ist VWs Aushängeschild; klar, dass von Design über Entwicklung bis hin zum Marketing alle stolz auf ihre Arbeit sind.

In den kommenden Monaten fährt VW eine dreistufige Werbekampagne; 14.000 Verkäufer wurden geschult, in 32 Märkten wird der Wagen eingeführt – und zwar parallel. Mit dem Golf steht und fällt VWs Wachstumsstrategie.

Doch offenbar vergisst VW langsam aber sicher, dass der Golf ein Auto ist, und kein Heilsversprechen auf vier Rädern. Bei der ersten Fahrveranstaltung des Wagens hatte man jedenfalls diesen Eindruck. Ein paar Beispiele:

Ist ein Golf unfehlbar?

„Die Benchmark für den Golf ist nur der Golf, und alle anderen müssen sich danach ausrichten.“ Sätze wie diese hört man oft bei Volkswagen. Das klingt nach einer päpstlichen Bulle und Unfehlbarkeit. Was da nicht mitschwingt, sind zum Beispiel Probleme mit Steuerketten bei TSI-Motoren, ein PR-Desaster mit defekten Doppelkupplungsgetrieben in China oder die Tatsache, dass auch VW nicht von Rückrufaktionen verschont bleibt. Wie die ADAC-Rückrufdatenbank auflistet, mussten in diesem Jahr bereits der Golf 6, der Touran, der Beetle, der Jetta, der Polo 5 und der Caddy wegen Problemen mit TSI-Motoren in die Werkstatt.

Auch der Autor dieser Zeilen hatte ein paar aufschlussreiche Erlebnisse mit einem Golf 4 Variant: Durchgebrannte Abblendlichtbirnen zum Beispiel, die man nur nach Ausbau der Batterie wechseln konnte. Oder die Tatsache, dass irgendwann die linke Seitenscheibe einfach krachend in der Tür verschwand, weil eine Kunststoffklammer gebrochen war.

Damaliger Kommentar der VW-Werkstatt: „Ja, das Problem kennen wir.“ Der Golf mag ein gutes Auto sein, unfehlbar ist er nicht. Auch die siebte Generation muss ihre Langzeitqualitäten erst unter Beweis stellen.

Das Auto. Das Auto?

„Nur der neue Golf kann ,Das Auto' genannt werden.“ Das ist ein Mantra, das im VW-Konzern offenbar einem religiösen Glaubensbekenntnis gleich kommt. Zugegeben: In der Golf-Klasse gibt der Golf den Ton an, nicht nur bei den Zulassungszahlen.

Das gilt aber nur für Europa. Unter den meistverkauften Autos der Welt rangiert der Golf nämlich mit Ach und Krach auf Platz 10. In China ist der Wuling Sunshine „das Auto“, in den USA der Ford F-150, in Russland der Lada. Auch in Indien, in Südamerika oder in Afrika würde niemand auf die Idee kommen, den Golf als „Das Auto“ zu bezeichnen.

Und mal abgesehen davon, dass eine solche Einstellung jegliche Konkurrenzprodukte pauschal abwertet: Was war denn dann der VW Käfer? Eine Seifenkiste mit Hilfsmotor?

Der Golf und die Cola-Flasche

Eine Ikone ist ein Heiligenbild. Auch manche Marken bezeichnet man als Ikone, oder zumindest bezeichnen sie sich selbst so. Bei Coco-Cola kann man das sogar nachvollziehen. Schließlich steht keine andere Marke so sehr für den „American Way of Life“.

Aber wenn der neue Golf neben einer Cola-Flasche platziert wird und darüber der Satz prangt: „Nur der Golf und wenige andere Produkte wurden zu einer Ikone“ – man beachte die Reihenfolge – dann fragt man sich schon, ob Volkswagen Gott nur noch in einer Hilfsfunktion auf dem Beifahrersitz duldet.

Liebe Volkswagen-Manager: Die Corvette ist eine Ikone. Die Ente auch. Der Porsche 911 sowieso. Der Käfer natürlich ebenfalls. Aber der Golf ist und bleibt ein Auto.

Das Auto für die „relativ Armen“

Angenehm niedrige Ladekante Angenehm niedrige Ladekante Der Golf sei ein Auto für jedermann, findet Volkswagens neuer Marketingchef Jürgen Stackmann. „Er passt auf jung, auf reich und auf relativ arm“, so Stackmann bei der Golf-Präsentation auf Sardinien. Da hat er recht: Für einen gut ausgestatteten Golf 7 muss man mehr als 20.000 Euro einplanen. Das ist leider nicht nur relativ, sondern auch absolut gesehen eine ganze Menge.

Geradezu sympathisch wirkte da ein Versprecher des VW-Entwicklungschefs Ulrich Hackenberg, der über die rückenfreundlich niedrige Ladekante des Wagens referierte: Man könne bequem einen Milchkasten einladen. Gemeint war wohl eher ein Bier- oder Wasserkasten. Wobei zum brav-soliden Image des VW Golf sicher auch ein Kasten warmer Milch gut passen würde.

 

 

Quelle: Focus

Avatar von MOTOR-TALK (MOTOR-TALK)
82
Diesen Artikel teilen:
82 Kommentare: