Michael Schumachers zweite Karriere will nicht in Schwung kommen. Die Pause stellt sich immer mehr als sein größtes Problem heraus. Heute ist alles anders als 2006. Nicht nur die Reifen. Ist die Zeit von Schumi bereits abgelaufen? Es ist die meistgestellte Frage im Fahrerlager: "Wir lange tut sich Michael Schumacher das noch an?" "Bild" schrieb bereits eine Wachablösung herbei. Schumacher, das war gestern. Heute ist Vettel. Der erfolgreichste Fahrer der Formel 1 ringt nach Erklärungen, wenn wieder mal ein schlechtes Ergebnis Fragen aufwirft. Mal sind es die Reifen, mal das Auto, mal das Setup, mal die Strategie. Hin und wieder auch er selbst. Schumacher schöpft aus der Suche nach der Lösung seine Motivation. "Das Schöne an der Formel 1 ist, dass sie immer wieder Überraschungen bietet. Bei uns sind es im Moment leider viele schlechte. Aber das macht es umso interessanter, da wieder rauszukommen." Das ist eine Absage an alle, die ihn endgültig in die Rente schreiben wollen. "Michael", sagt sein Teamchef Ross Brawn, "ist keiner, der einfach so das Handtuch wirft. Der beißt sich da rein." Schumacher im Rückwärtsgang? Das Comeback des Rekordsiegers gibt Rätsel auf. Viele sehen Parallelen zu Radprofi Lance Armstrong, dessen Zeit offensichtlich abgelaufen ist. Bei Schumachers Versuch, Anschluss an die Spitze zu schaffen, ist Stagnation eingetreten. "Ich erkenne fast so etwas wie Rückschritt", sagt Gerhard Berger, der vor Saisonbeginn zu jenen zählte, die Schumacher alles bis hin zum achten WM-Titel zugetraut hatten. Die Kurven zeigen nach unten. Aus den vergangenen fünf Rennen holte Schumacher vier Punkte. Die letzten fünf Startplätze waren zweistellig. Es stimmt, dass sich der Mercedes GP W01 zuletzt eher rückwärts als vorwärts entwickelt hat, doch davon ist auch Nico Rosberg betroffen. Die Analysten fragen sich, was Schumacher bremst. Keine Tankstopps, kein Nummer-eins-Status Vier Jahre nach seinem Rücktritt ist nichts mehr, wie es war. Als er aufhörte, gab es noch Tankstopps. Ein Rennen, unterteilt in gleich große Portionen, kam Schumacher entgegen. Auto und Reifen veränderten in den Etappen zwischen den Tankstopps nur marginal ihr Verhalten. Es war eine Aneinanderreihung von Qualifikationsläufen, und das beherrschte keiner so wie der frühere Abonnementsieger. Heute muss er das Auto ins Ziel tragen. Bei Mercedes ist Schumacher nicht mehr die uneingeschränkte Nummer eins. Ferrari war zwischen 1996 und 2006 für den Chefpiloten maßgeschneidert. Was die volle Unterstützung des Teams bei einem Fahrer auslösen kann, zeigte Eddie Irvine während Schumachers Verletzungspause 1999. Der Nordire fuhr plötzlich, als wäre er gedopt. Rennfahren findet auch im Kopf statt. Konkurrenz nach Schumachers Vorbild Die Gegner haben heute eine andere Qualität. Schumacher tritt gegen Fahrer an, für die er Modell gestanden hat. "Die vierte Kartgeneration", wie sie Toro Rosso-Chef und Schumacher-Kenner Franz Tost beschreibt. "Die sind genauso fit, genauso ehrgeizig, genauso egoistisch wie er. Nur eben 15 Jahre jünger." Keiner schreckt mehr vor dem roten Helm zurück. Früher traute sich das nur Juan Pablo Montoya. Heute weiß jeder: Wenn ich mich mit Schumacher anlege, bin ich im TV-Bild. Die Arbeitswut des siebenfachen Weltmeisters wird nicht mehr belohnt. 2006 spulte er 16.029 Testkilometer ab. Sein Pensum ist auf 3.220 Kilometer geschrumpft. Der Lernprozess findet am Rennwochenende statt. Schumachers Ruf nach Lockerung der Testbeschränkungen zeigt, was ihm fehlt. Schumacher fehlen die Helferlein Die Elektronik wurde immer weiter beschnitten. Jene Spielzeuge, die Schumacher wie kein Zweiter seinem Fahrstil zunutze machte, weil er früher als andere begriff, wo die elektronischen Helfershelfer Defizite des Autos kaschieren und Stärken ausbauen konnten. Traktionskontrolle, Motorbremse, Startautomatik und intelligente Differenzialsperren gibt es entweder gar nicht mehr oder nur stark eingeschränkt. Zum Schluss sind da noch die Reifen. Schumacher kennt keine Reifen von der Stange, die über einen breiten Bereich anständig Grip liefern, aber nicht jenen Extraklebstoff bieten, den seinerzeit nur die Ausnahmekönner nutzen konnten. "Michael hat immer dann Mühe, wenn der Reifen kritisch ist. Fühlt er sich konstant und robust an, fährt er gleich schnell wie Nico", analaysiert Brawn. Tritt die Reifenmisere auf, dann verliert der Ex-Champion Zeit in den langsamen Kurven. Da zirkelt Rosberg sein Auto feinfühliger um die Ecken. Schumachers Fahrstil Gift für die Reifen Christian Danner fällt auf: "Michael probiert es zu sehr mit der Brechstange, wenn er merkt, dass der Grip nicht da ist." Schumacher experimentiert mit seinen Linien, um herauszufinden, wo der Hund begraben liegt. Doch was er auch macht - am Kurvenausgang fehlt der Grip. Franz Tost beobachtet: "Michael beginnt beim Fahren zu denken. Früher kam das instinktiv." Für Ex-Teamkollege Rubens Barrichello keine Überraschung: "Michaels Fahrstil ist Gift für die aktuellen Reifen. Er gewinnt seine Zeit normalerweise vom Einlenken bis zum Scheitelpunkt, weil er es wie kein anderer beherrscht, in die Kurven reinzubremsen und dann das Auto im Scheitelpunkt herumzuwerfen. Das stresst den Hinterreifen. Der aktuelle geht dabei in die Knie. Früher hat ihm Bridgestone einen Reifen gebaut, der das aushält." Hoffnung in die neue Saison mit Pirelli Bei den begrenzten Möglichkeiten der heutigen Formel 1 ist es für Schumacher nicht mehr mit Feintuning getan, sondern mit einer Radikalkur. Und das fällt mit 41 Jahren schwerer als mit 22. Schumacher setzt seine ganze Hoffnung auf 2011, wenn mit Pirelli ein neues Zeitalter beginnt. Ob es ein besseres wird, muss bezweifelt werden. Pirelli wird wie Bridgestone einen Sicherheitsreifen bauen.
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 24.08.2010
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