Weil VW angeschlagen ist, bleiben an den Standorten dicke Steuererträge aus. Die Kommunen versuchen, an anderer Stelle Geld einzunehmen – bei den Bürgern. Eine Liste.
Wolfsburg – Die fetten Jahre sind vorbei. Für VW, und für die Städte, die bisher gut vom Weltkonzern vor Ort leben. Der offiziell von einer „kleinen Gruppe“ verursachte Abgas-Skandal sorgte 2015 für den höchsten Verlust der Firmengeschichte, fast 2 Milliarden Euro. Zweistellige Milliardensummen hat VW für die Kosten des Skandals zurückgestellt. Analyst Frank Schwope von der NordLB schätzt den absehbaren Schaden auf bis zu 35 Milliarden Euro. Quelle: dpa/Picture Alliance Jetzt trifft der Skandal große Teile der Bevölkerung. Denn wo es keinen Gewinn gibt, fließen auch keine Steuern. Die Gewerbesteuerzahlungen von Wolfsburg an die deutschen Standorte brechen ein. Der "tatsächliche Steueraufwand Inland" der Wolfsburger, zu dem mehrere Abgabenarten gehören, sank von 2014 auf 2015 von mehr als zwei Milliarden Euro auf rund 800 Millionen Euro. Bezahlen müssen dies am Ende die Bürger. Die VW-Standorte erhöhen als Ausgleich die Abgaben und bitten die Einwohner zur Kasse. Das zeigt eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Einige Beispiele ausgewählter Städte: Wolfsburg (Stammwerk, Zentrale, viele Zulieferer)
Braunschweig (Werk für Fahrwerksteile)
Baunatal bei Kassel (Komponenten, vor allem Getriebe)Die Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) hatte in der nordhessischen Stadt 2014 bei gut 72 Millionen Euro gelegen, 2015 kam mit gut 32 Millionen Euro noch nicht einmal die Hälfte zusammen. "Baunatal ist nicht nur was die Gewerbesteuer betrifft, stark von dem ansässigen VW-Werk geprägt", sagt Stadtsprecherin Susanne Bräutigam. "Natürlich kommt der weit überwiegende Teil der Gewerbesteuer von VW", sagt sie. Noch habe Baunatal ein Finanzpolster. Aber: Im Haushalt 2016 ergebe sich ein Loch über 7,5 Millionen Euro. "Nach der mittelfristigen Ergebnisplanung ist auch für das Jahr 2017 mit einem Defizit zu rechnen", berichtet Bräutigam. Eine Konsequenz sei nun: Die Kulturveranstaltungen im Rahmen des "Baunataler Herbstpalastes" werden nicht mehr an zehn, sondern nur an sechs Tagen stattfinden. Weissach (Porsche-Forschungszentrum)Dort gibt es zwar in diesem Jahr noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagt. Doch nach fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen. In Weissach, wo etwa 5.500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, waren die Gewerbesteuereinnahmen schon vergangenes Jahr eingebrochen. Statt 70 Millionen Euro nahm die Gemeinde nur 38,8 Millionen Euro ein. Die allgemeinen Rücklagen lagen Anfang des Jahres noch bei 90 Millionen Euro. Doch allein in diesem Jahr braucht die Gemeinde 12 Millionen Euro aus dem Sondertopf. 2017 wird er weitere 32 Millionen Euro leichter. Quelle: dpa/Picture Alliance Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen. In früheren Jahren bekamen Familien, die Häuser bauten oder kauften, noch 5.000 Euro je Kind. Auch die Zuschüsse für das "Mach-Mit-Programm", das Volkshochschulkurse oder Musikunterricht mit immerhin 40 Euro im Monat pro Kind bezuschusst, wurden eingestellt. Erhöht hat Weissach die Gebühren für die Nutzung der Strudelbachhalle und die Preise für eine Bestattung. So kostet eine Urnenbestattung in der Erde statt bislang 145 Euro nun 420 Euro. Ingolstadt (Audi, 44.000 Beschäftigte)Nur noch 60 Prozent des langjährigen Gewerbesteuer-Durchschnitts hält der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger, für realistisch. Daher geht es wohl bald ans Finanzpolster. Die Vorauszahlungen habe der VW-Konzern schon Ende 2015 auf Null gestellt, sagt der Ingolstädter Stadtrat Hans-Joachim Werner. Aber im laufenden Jahr sehe es noch gut aus, meint Fleckinger: Die Stadt habe mit nur noch 68 Millionen Euro Gewerbesteuer gerechnet, "aber wegen Nachzahlungen kommen wir auf 105 Millionen. Der Haushalt 2016 läuft." Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen; Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben sind gedeckelt. Aber es gibt keinen Einstellungsstopp, das neue Kunstmuseum kommt wie geplant und das Hallenbad "ist eben neu eingeweiht. Wir jammern schon auf hohem Niveau", sagt SPD-Fraktionschef Werner. Osnabrück (Werk baut derzeit alten Tiguan)Die Stadt steht unter Haushaltsaufsicht und ist in der angespannten Lage dauerhaft auf Kassenkredite angewiesen - also auf Schulden für das laufende Geschäft. 2015 verhängte die Stadt eine Haushaltssperre und eine Einstellungs- und Beförderungssperre; Letztere galt bis zur Genehmigung des Doppelhaushalts 2016/2017 durch die Kommunalaufsicht. 2015 zog Osnabrück die Grundsteuer B (un- und bebauter Grundbesitz) und die Gewerbesteuer an sowie Vergnügungs- und Spielgerätesteuer. Auch eine Zweitwohnungssteuer gibt es neuerdings, die neben direkten Steuereinnahmen indirekt auch die Zahl der Erstwohnsitzanmeldungen erhöht und so mehr Geld aus dem Finanzausgleich bringt. Zudem prüft Osnabrück bei den Abgaben fortlaufend Anpassungsmöglichkeiten, etwa im Bereich Marktstandsgelder und Kita-Gebühren. Salzgitter (Motorenwerk und MAN-Werk)Zu konkreten Spar-Beispielen machte die Stadt keine Angaben. Die Lage ist seit Jahren angespannt. Nach gut 82 Millionen Euro Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) 2014 gab es 2015 im Jahr des Beginns des Diesel-Skandals nur noch 49 Millionen Euro. 2016 sollen sogar nur noch 25 Millionen Euro zusammenkommen. Salzgitter hat bereits seit mehreren Jahren einen nicht ausgeglichenen Haushalt, es greift ein Sicherungskonzept mit "erheblichen Sparanforderungen". Deshalb muss Salzgitter Kassenkredite nutzen, um das laufende Geschäft zu finanzieren. Diese Geldaufnahme musste wegen der negativen Steuerentwicklung zuletzt noch verstärkt werden. Sachsen (z. B. Passat- und Golf-Produktion)In Chemnitz, einem der drei sächsischen VW-Standorte, rechnet die Stadt für 2016 mit sechs Millionen Euro weniger Einnahmen als eigentlich geplant. "Der VW-Konzern ist für die Stadt Chemnitz von wichtiger Bedeutung", sagt Stadtkämmerer Sven Schulze. Konkrete Angaben macht er mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht. Für 2016 rechnet die Kämmerei mit einem Fehlbetrag von rund 11,8 Millionen Euro. Ob man langfristig nachsteuern müsse, werde sich zeigen, sagt Schulze. In den drei Werken in Zwickau, Chemnitz und Dresden beschäftigt Volkswagen rund 10.000 Mitarbeiter. Das größte Werk steht in Zwickau, wo VW mit 7.900 Beschäftigten zugleich der größte Arbeitgeber ist. Ende Juni trennte sich Volkswagen Sachsen dort von knapp 700 Leiharbeitern und befristet Beschäftigten. Nach der Diesel-Affäre im Vorjahr verhängte Zwickau mit Blick auf zu erwartende Steuerausfälle zunächst eine Haushaltssperre, hob diese jedoch Ende 2015 wieder auf. Durch Steuernachzahlungen aus den vergangenen Jahren habe man das Defizit ausgleichen können, hieß es. Dennoch trifft der VW-Skandal die kleine westsächsische Stadt: Waren für 2016 eigentlich 47,5 Millionen Euro Einnahmen aus Gewerbesteuern geplant, musste das auf 35 Millionen Euro korrigiert werden. Unter anderem muss deshalb die geplante Sanierung einer Schule verschoben werden.
Quelle: dpa |